Südsudan:Gottverlassen auf dem Platz der Freiheit

Prisoners in South Sudan

Gefangener im Zentralgefängnis von Rumbek, der Hauptstadt des Bundesstaates Lakes State im Südsudan

(Foto: dpa)

Große Pläne hatte die internationale Gemeinschaft für die jüngste Nation der Welt, den Südsudan. Davon ist wenig geblieben. Die Ethnien der Dinka und der Nuer bekämpfen sich bis aufs Blut. 1,3 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Die Geschichte eines Scheiterns.

Von Tobias Zick, Malakal/Juba

Das also war Malakal, das war die Hoffnung. Eine pulsierende Stadt, so erzählen es die Leute, und um sich das jetzt ausmalen zu können, braucht es viel Fantasie. Übrig geblieben ist eine Geisterstadt, nur noch bevölkert von Soldaten, die aus zerschossenen Hütten starren, unter Bäumen kauern, in Pfützen pinkeln. Sechs mal haben sie seit Januar die Stadt gestürmt, immer abwechselnd, drei mal die Rebellen, drei mal die Regierungstruppen.

Gründlicher hätte man den Traum, den eine wohlmeinende Weltgemeinschaft hier wahr machen wollte, nicht zerstören können. Straßenzug um Straßenzug: verkohlte Mauern, verwundenes Wellblech. Sie haben das katholische Krankenhaus abgefackelt, sie haben die Lebensmittellager der Hilfsorganisationen geplündert, von deren Zelten stehen nur noch Gerippe, und ein paar Jeeps des Welternährungsprogramms, ohne Räder und mit zerschlagenen Scheiben, rosten am Ufer des Weißen Nil vor sich hin, der dem Augenschein nach eigentlich Brauner Nil heißen müsste.

"Tja, wenn sich zwei Elefanten streiten, dann leidet das Gras"

Gottverlassen der Platz der Freiheit, wo sie vor drei Jahren die Gründung ihrer neuen Nation bejubelten; endlich unabhängig vom Sudan und einem islamischen Fundamentalisten-Regime, mit dem die Rebellen des mehrheitlich christlichen Südens jahrzehntelang im Krieg gelegen hatten. Ein zerschossenes Schild trägt die Reste eines Zitats von Salva Kiir, einst Rebellenchef und nun Präsident; es handelt vom Kampf gegen Korruption: " . . . dann müssen wir uns selbst ändern", ist noch zu lesen.

Malakal, Hauptstadt von Upper Nile, dem ölreichsten Bundesstaat des Südsudan, der jüngsten Nation der Welt, in der mittlerweile etwa 1,3 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Vor den marodierenden Truppen einer in zwei Fraktionen zerfallenen Armee; die einen angeführt von Präsident Salva Kiir, einem ethnischen Dinka, die anderen vom geschassten Vizepräsidenten Riek Machar, einem ethnischen Nuer. "Tja, wenn sich zwei Elefanten streiten, dann leidet das Gras", sagt müde lächelnd ein älterer Mann, der unter einer Zeltplane auf einem rostenden Bettgestell sitzt. Ein altes afrikanisches Sprichwort, es könnte kaum treffender sein als hier.

Das Gras also, das sind in dem Fall die Menschen von Malakal.

Wer überlebt hat, den hat die Angst davongetrieben, manche in die Sümpfe und Steppen ringsherum, die meisten aber in diese neue Stadt hier: Der Markt, das ganze Alltagsleben, all das ist jetzt aufs Engste verdichtet in den Mauern der Vereinten Nationen, dem Camp der Blauhelme, die im Dezember kurzerhand ihre Tore für flüchtende Zivilisten öffneten, weil sie andernfalls Massaker gigantischen Ausmaßes befürchteten. Draußen am Haupttor drängen sich liegen gelassene Autos, Kleinbusse, Tuktuks; rostende Zeugnisse der Panik, in der die Menschen hierher geflohen sind, vor den wildgewordenen Streitkräften ihres schon wieder zerfallenen Staates.

Das Flüchtlingslager ist in zwei Hälften gespalten, auf der einen Seite die Nuer, die vor den Regierungstruppen geflohen sind, auf der anderen die Dinka und die Schilluk, die Racheakte der Rebellen fürchten, und mehrere Male, wenn draußen in der Stadt gekämpft wurde, sind auch hier im Lager junge Männer mit Steinen aufeinander losgegangen. Nun kommt zum Elend noch die Regenzeit; immer mehr Zelte versinken im hüfttiefen Schlamm, Frauen tragen auf ihren Köpfen Schalen voll trockener Erde, als notdürftiges Füllmaterial, barfuß durch stinkende Brühe. Einige der Nothelfer sagen, so schlimm hätten sie es bislang nur in Haiti erlebt, nach dem Erdbeben 2010. Doch das war eine Naturkatastrophe. Diese hier ist menschengemacht. "Und wir müssen alles per Flugzeug herbringen", sagt Andrea Paiato, Koordinator der Internationalen Organisation für Migration (IOM): Zelte, Lebensmittel, sogar Holz - weil entlang der Überlandstraßen Kämpfer beider Seiten lauern. "Die haben keine Hemmungen, uns zu plündern."

Vor einem Blechcontainer fläzt in einem Stuhl ein Mann mit dick umrandeter Brille und grauem Fusselbart, er trägt einen alten Schlafanzug. "Krieg hatten wir hier in den vergangenen Jahrzehnten ständig", brummt er, "aber so schlimm war es noch nie." Er heißt Bol Lothgok, ist einer der Stammesälteren vom Volk der Nuer, ehemaliger regionaler Bildungsminister und außerdem beinamputiert, eine Folge seiner Diabetes, und deswegen hat er von den Flüchtlingshelfern das Privileg zugeteilt bekommen, in einem Container schlafen zu dürfen statt in einem der Zelte. "Wenn ich nicht behindert wäre", sagt er und klopft auf seine Beinprothese, "dann wäre ich da draußen und würde kämpfen."

Den Rebellenführer Riek Machar nennt er "Doktor Machar"; die Schuld für das ganze Elend, das ist für ihn klar, liege allein bei dessen Gegner, Präsident Salva Kiir, und die ständigen Friedensgespräche, zu denen die beiden in einem Luxushotel in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba zusammensitzen, sind "reines Blabla. Alles Zeit- und Geldverschwendung."

Die Schuldfrage

Was die Schuldfrage angeht, so gibt es gute Gründe, das differenzierter zu betrachten, aber mit dem Blabla liegt der Mann schon näher an der Realität. Nachdem die beiden verfeindeten Anführer sich Mitte Mai mal wieder auf ein Waffenstillstandsabkommen geeinigt hatten, hielt Präsident Salva Kiir in der Hauptstadt Juba eine bizarre Ansprache, in der er den Zuhörern dafür dankte, dass sie "so lange der Hitze der Sonne getrotzt" hätten - wobei dies "Teil des Kampfes" sei. Zuvor führte er aus, wie er von den internationalen Vermittlern zu dem Handschlag mit seinem Rivalen Machar gedrängt worden war und wie wenig er auf das Abkommen gibt. Zu dem Zeitpunkt war der Waffenstillstand längst wieder gebrochen. Diese Woche schlossen die beiden erneut einen Friedenspakt, den bald ein ähnliches Schicksal ereilen könnte.

Juba, ein schattiger Garten im Hinterhof eines Gästehauses; aus den Boxen wummert Reggae, ein junger Mann mit zusammengebundenem langen schwarzen Haar, Vollbart, Brille, Langarmshirt, lässt sich ein kühlendes Corona-Bier in die Kehle laufen. Er heißt Mathieu Rouquette, ist Franzose und Landesdirektor von "Mercycorps" und damit einer von etlichen westlichen Mitarbeitern von Hilfsorganisationen, die sich am Rand der Verbitterung bewegen; darüber, dass die UN viel zu lange viel zu nachsichtig mit den Regierenden der gehätschelten neuen Nation umgegangen sind - und dass sie selbst nun die Scherben aufkehren müssen. "Hier ist so viel Geld investiert worden", sagt er kopfschüttelnd, "Milliarden Dollar. Alles in dem naiven Optimismus: Hey, lasst uns hier Staatsaufbau spielen." Er wird Ende Juni seine Mission im Südsudan beenden und dann eine Auszeit nehmen. "Ich muss dringend etwas unternehmen", sagt er, "damit ich nicht vollends zum Zyniker werde."

Der Südsudan als unabhängige Nation war ein Herzensprojekt der internationalen Gemeinschaft. Sie wollte die schwarzen Christen im Süden aus diesem künstlichen Staatsgebilde namens Sudan herauslösen, einer Hinterlassenschaft der Kolonialzeit, in die sie mit den Muslimen des Nordens gepresst worden waren - und gegen die sie jahrzehntelang einen verheerenden Krieg führten. In Washington tagte schon in den Achtzigerjahren eine Gruppe von sechs Diplomaten und Akademikern regelmäßig in einem italienischen Bistro; sie nannten sich "Der Rat" und gaben sich Titel wie "Der Kaiser" oder "Der Speerträger". Sie feilten an Plänen zur Unterstützung der christlichen Rebellen und betrieben Lobbyarbeit bei ihrer Regierung für die Unabhängigkeit des Südens. Mit Erfolg. Vier von ihnen schrieben vergangenes Jahr einen Brief an Präsident Kiir, in dem sie wetterten: "Wir können nicht die Augen davor verschließen, wenn die Opfer von gestern die Täter von heute werden."

Sechs Milliarden Dollar Öl-Einnahmen - und das meiste fließt in Waffenkäufe

An guten Absichten hat es nicht gefehlt. Die norwegische Regierung, die die Rebellen des Südsudan jahrelang im Kampf gegen das Regime in Khartum unterstützt hatte, schickte einen Stab von Beratern in den jungen Staat, um bei der Formulierung eines nationalen Ölgesetzes zu helfen; der erste Absatz darin lautet, wie auch in Norwegen: "Das Öl gehört dem Volke."

Sechs Milliarden Dollar sind es jährlich, die der südsudanesische Staat offiziell durch Ölverkäufe einnimmt, ein Großteil davon fließt nun in Waffenkäufe oder auf Auslandskonten; die Restfunktionen des Staates hält die internationale Gemeinschaft aufrecht, mit Steuergeld aus ihren Mitgliedsländern. Mindestens 1,8 Milliarden Dollar braucht das Land nach UN-Schätzungen dringend im Laufe dieses Jahres, um eine Hungerkatastrophe abzuwenden. Kürzlich haben Amerika, Großbritannien und Norwegen zugesagt, ihre Hilfen um 600 Millionen Dollar aufzustocken, doch es fehlen weitere 600 Millionen.

Das Hauptquartier von Unmiss, der Mission der Vereinten Nationen im Südsudan: In einem Containerbüro sitzt Hilde Johnson, die Frau, die sich als Hebamme dieses jungen Staates eingesetzt hat wie kaum jemand. Sie trägt ein schwarzes Wickelkleid mit asiatischem Blumenmuster, und aus ihren Augen blitzen Trotz und Angriffslust. Geboren ist sie als Tochter norwegischer Missionsschullehrer in Tansania, betont gerne, dass sie fließend Swahili spricht und sich schon als Kind mehr als Afrikanerin denn als Europäerin gefühlt habe. Sie war norwegische Entwicklungsministerin, hat als Vermittlerin entscheidend an den Verhandlungen zum Friedensabkommen mitgewirkt, der Basis für die Unabhängigkeit des Südsudan, und als es 2011 soweit war, ernannte UN-Chef Ban Ki Moon sie zur Unmiss-Chefin. Nun hat sie gerade verkündet, dass ihre Mission endet und sie das Land verlassen wird.

Die Regierung? Nicht erreichbar

"Fragen Sie irgendwen, der auf irgend eine Weise etwas mit dem Südsudan zu tun hat, und jeder wird Ihnen sagen, dass er zutiefst enttäuscht ist", sagt sie.

Könnte man im Rückblick sagen, dass das ganze Staatsaufbau-Projekt zu ehrgeizig war? Sie beugt sich nach vorn: "Wenn Südsudan nicht seit 2005 die Schritte zur Autonomie gemacht hätte, dann wäre der Bürgerkrieg mit Khartum weitergegangen. Und die Schnelligkeit und das Ausmaß der Gewalt, mit der diese Krise aufgezogen ist, konnte niemand voraussehen."

Auf die Frage, was die internationale Gemeinschaft aus dem Desaster lernen kann, überlegt sie lange: "Wir müssen noch sehr viel besser werden in unseren Analysen der politischen Kräftespiele, der tief sitzenden Konflikte. Ein Land zu sein ist eine Sache, eine Nation zu werden eine andere. Und dieser Weg ist hier im Südsudan nun noch viel länger geworden."

Ein paar hundert Meter von ihrem Container entfernt warten Tausende Flüchtlinge darauf, in ein neues regenfesteres Areal umgesiedelt zu werden; das Camp verlassen will niemand. Sie gehören dem Volk der Nuer an, und sie fürchten, dass die Dinka-Soldaten draußen in der Stadt sie verprügeln, vergewaltigen, massakrieren würden. Die Hilfsorganisationen bauen eine neue Schule, ein Platz für eine Getreidemühle ist mit neuem Stacheldraht abgezäunt; in einem Großzelt wird eine Leinwand aufgespannt, damit die Flüchtlinge darin die Fußball-WM verfolgen können. Alle Zeichen deuten darauf, dass die Menschen noch sehr lange hier bleiben werden.

Man hätte gern Regierungsmitglieder der jungen Nation gefragt, was sie tun, um die Not ihrer Bürger zu lindern. Der Innenminister hat sich auf einen Interviewtermin eingelassen, Samstagmorgen 10 Uhr, in seinem Haus, gegenüber vom Präsidentenpalast. Auf der Internetseite der Regierung beschreibt er seine Vision: "Sicherheit für die Menschen der Republik Südsudan zu garantieren, auf der Basis von demokratischen Prinzipien, Rechtsstaatlichkeit und guter Regierungsführung." Reichlich Anknüpfungspunkte für Nachfragen also.

Punkt zehn Uhr; vor dem Stahltor, das die Zufahrt zum Grundstück versperrt, bauen sich Soldaten auf, befehlen, dass man den Minister doch bitte selbst auf dem Handy anrufen solle, wenn man einen Termin bei ihm habe. Das Handy des Ministers ist abgeschaltet. Sie werden ihn nicht anrufen, blaffen die Soldaten. Und ihre Blicke bedeuten, dass es kontraproduktiv wäre, noch länger darauf zu beharren.

Die Regierung des Südsudan: nicht erreichbar. So, wie es die Mehrheit der Bürger seit Monaten erlebt.

Gibt es überhaupt Hoffnung auf ein Funktionieren dieses Staates, auf echten Frieden? Zurück zu Bol Lothgok, dem Nuer-Älteren im Schlafanzug vor dem UN-Container. Die Aussichten stünden im Prinzip gut: "Frieden ist möglich. Sobald der Gegner restlos besiegt ist. Dann bilden wir eine neue Regierung, und wir können weitermachen mit dem Aufbau der Nation." Den Gegner restlos besiegen, als Basis für den Neuanfang? Natürlich, sagt der Mann mit der Beinprothese: "Wir Nuer sind schließlich die besten Kämpfer des Landes. Nein, eigentlich die besten von ganz Afrika.

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