Musikalisches Vergnügen:Mit Schwung im Kreis herum

Premiere in Bad Tölz: Erstmals findet anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Tölzer Kurhauses ein "Kocherlball" statt. Etwa 100 Tänzer amüsierten sich und wünschen sich eine Fortsetzung

Von Claudia Köstler

Es hat schon etwas Gnadenloses, wenn der Wecker an einem Sonntag um 4.30 Uhr morgens klingelt. Aber immerhin ist im Juni um diese Zeit die Sonne am Horizont zu sehen, und was noch viel wichtiger ist: Es ist die richtige Zeit, um sich auf den Weg zu machen für einen "Kocherlball". Schließlich hatten früher die "Kocherl", also das Küchenpersonal, die Dienstmägde und Diener nur in aller Herrgottsfrühe Zeit, einen Ball zu besuchen. Weil sie wieder arbeiten mussten, wenn ihre Herrschaften aus der Kirche kamen, tanzte das Personal eben frühmorgens in den Tag. In München ist die Wiederbelebung des Balls bereits 1989 geglückt und lockt seither Zehntausende an, die sich jährlich unterm Chinesischen Turm drehen und walzen. Um den 100. Geburtstag des Tölzer Kurhauses gebührend zu feiern, griff nun am Sonntag auch die Stadt Bad Tölz die Tradition auf.

Das Bild des ruhig in der Morgensonne stehenden Kurhauses änderte sich Punkt sechs Uhr morgens schlagartig: Eine illustre Gästeschar strömte auf die Terrasse des Kurhauses. Viele von ihnen trugen Tracht, manche kamen im historischen Kocherlgwand oder im Magistratsrock, andere waren optisch weder der klassischen Brauchtumsfraktion zuzuordnen noch irgendwelchen Ständen. Auffallend war vor allem auch das durchmischte Alter: Von Jugendlichen bis Senioren war alles vertreten.

Als Tanzmeister Hans Irger schließlich "Auf geht's" rief und die "Musicanti Bavaresi" den "Tölzer Schützenmarsch" frisch und schwungvoll intonierten, war alle Müdigkeit verflogen: Eine bunte Menge von rund 70 Tänzerinnen und Tänzern folgte auf die Tanzfläche, drehte sich, formierte Zug und Gegenzug, Viererketten und Achterreihen zu so vielversprechenden Liedern wie "Glückliche Herzen" oder "Vergnügungszug". "Wir dachten, das ist etwas, das gut hier reinpasst. Früher tanzten hier die Kurgäste, heute beleben wir eine Tradition neu", begrüßte der Zweite Bürgermeister Andreas Wiedemann die Besucher, als erstmals Zeit war für Kaffee, Brotzeit und einen Ratsch. Schon in der nächsten Runde konnten sich auch diejenigen, die anfangs noch von den Sesseln unter den Arkaden aus die Szenerie beäugt hatten, dem Rhythmus nicht mehr entziehen. Selbst eine Kollegin der schreibenden Zunft, eigentlich in beruflicher Beobachterposition unterwegs, wurde aufgefordert und wirbelte fortan selbst übers Parkett.

"I gfrei mi so", sagte Franz Mayrhofer, der an diesem Tag die musikalische Leitung inne hatte und mit seiner Gruppe für virtuosen Schwung sorgte. Denn es sei "eine absolute Freude, Unterhaltungsqualitäten von früher heute wieder aufleben zu lassen", sagte er. Rund eineinhalb Stunden später sind aus den anfänglich 70 Tänzern längst an die 100 geworden, darunter auch Landrat Josef Niedermaier mit Frau Andrea. Sie hätte ihn an diesem Morgen "aus dem Bett geschmissen und gesagt, wir gehen zum Kocherlball. Aber ist man erst einmal drin im Schwung, dann geht's", sagte er augenzwinkernd, war er doch mit sichtlicher Freude auf dem Parkett unterwegs. Christina Dahms hingegen wollte "immer schon mal auf den Münchner Kocherlball, habe es aber nie geschafft". Deswegen war klar, "wenn so was schon vor der Haustüre stattfindet, dann gehen wir da hin", sagte die Tölzerin.

Marlies Woisetschläger aus Königsdorf fiel auf mit ihrer Küchenmädchen-Haube: "Man muss Rollen auch mal füllen", erklärte sie. "Super", war ihre Bilanz über den Ball: "Die Atmosphäre ist einfach wunderbar." Das wiedererweckte bayerische Brauchtum lockte sogar Gäste von weiter weg an: Ralf und Magdalena Militzer sowie Erika Rabeler, Kurgäste aus Hamburg, waren "ganz entzückt" über das, was sie da sahen: "Das ist Leben pur, reizend und wunderschön". So verlockend gar, dass Militzers nicht widerstehen konnten und selbst mittanzten bei Dreher, Boarischem und Kuckuckspolka. Und für Julie Kahn aus South Salida in Kalifornien war der Anblick der Tölzer Tänzer in der Morgensonne "simply magical", also "einfach magisch". Dass eine solche Veranstaltung auch eine touristische Attraktion ist, betonte Claudia Stampfer: "Das hat eine wahnsinnig schöne Atmosphäre, es ist vor allem so echt". Darauf passte das Urteil, das Georg Eibl zog: "Oiso, i kimm wieder." Hier habe eine neue Tradition begonnen, der Tölzer Kocherlball müsse eine Fortsetzung finden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: