Mängel in der Projektfinanzierung:Opfer rechter Gewalt werden alleingelassen

NPD-KUNDGEBUNG IN HAGEN

Opfer rechter Gewalt werden von der Regierung alleingelassen.

(Foto: DPA/DPAWEB)

Nach dem Auffliegen der rechtsradikalen Terrorgruppe NSU wollte die Regierung Opfer rechter Gewalt besser unterstützen. Passiert ist nichts. Zwar stehen insgesamt knapp 30,5 Millionen Euro bereit. Doch von dem Geld geht viel für bürokratische Wasserköpfe drauf.

Von Annette Ramelsberger

Antje Arndt hat einen dieser Jobs, den alle unglaublich wichtig finden, für den dann aber doch oft das Geld fehlt. Die 37 Jahre alte Sozialarbeiterin kümmert sich darum, wenn irgendwo in Sachsen-Anhalt mal wieder ein Ausländer von rassistischen Schlägern verletzt wird. Zum Beispiel um jene Familie aus Syrien, die seit 20 Jahren hier lebt und auf einer Kirmes in Eisleben überfallen und niedergeknüppelt wurde. Arndt und ihre Kollegen haben die Familie nach dem Überfall aufgesucht, ihr Anwälte vermittelt, sie mit Psychologen zusammengebracht. Sie haben sie ins Gericht begleitet, ihr beim Umzug geholfen, sie besuchen sie regelmäßig - auch heute noch, zwei Jahre nach dem Überfall. Der Familie geht es langsam besser, und Antje Arndt bietet das Geländer, an dem sich die schwer getroffenen Menschen in die Zukunft hangeln.

Nach dem Auffliegen der rechtsradikalen Terrorgruppe NSU war die Betroffenheit groß. Vor allem darüber, dass den Angehörigen der Opfer niemand wirklich geglaubt, dass ihnen niemand wirklich geholfen hatte. Das sollte sich ändern, beschloss die neue Bundesregierung, die Opferberatung für die Betroffenen rechtsradikaler Taten sollte besser werden. Union und SPD schrieben sich in ihren Koalitionsvertrag: "Die bestehenden Programme werden langfristig finanziell sichergestellt und auf bundesgesetzlicher Grundlage (. . .) weiterentwickelt. (. . .) Die Haushaltsmittel stocken wir auf."

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) kündigt nun sogar ein Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus an. Es soll 2015 anlaufen, sagte sie im Südwestrundfunk. Es gehe darum, Menschen in den Kommunen zu unterstützen, die sich gegen Rechtsextremismus engagierten. "Wie kann man gute Strukturen für Zivilcourage, die wir vor Ort haben, wirklich verstetigen", fragte sie. Darum gehe es ihr. Also um die Beratung von Bürgermeistern, wie sie NPD-Aufmärsche verhindern können oder darum, wie man seine Stadthalle nicht den Radikalen überlassen muss. Um die Opfer der Rechten geht es nicht. Für ihre Beratung ist bisher nicht mehr Geld vorgesehen. Im Jahr 2007 lag der Ansatz für die Opferberatung bundesweit bei fünf Millionen Euro. Seitdem sind es nicht wirklich mehr geworden.

30,5 Millionen Euro für Beratung aller Art

Dabei werden insgesamt 30,5 Millionen Euro für Beratung aller Art ausgegeben. Doch von den Millionen gehen viele für bürokratische Wasserköpfe drauf, für all die Netzwerke und Lenkungsgruppen und Zertifizierungsanläufe, die sich das Ministerium in Berlin in den vergangenen Jahren ausgedacht hat. Viel Papier wurde da beschrieben, viel Zeit für Abstimmung vertan, alles hört sich wichtig, groß und wissenschaftlich an. Doch wenn es darum geht, den überfallenen Asylbewerber in seiner Unterkunft am Waldrand aufzuspüren, mit ihm zu reden und sein Vertrauen zu gewinnen, dann bleibt das meist an vier, fünf Menschen in einem Bundesland hängen - Menschen wie Antje Arndt.

Dabei besteht Bedarf: 737 Angriffe von Rechtsradikalen mit insgesamt 1086 Betroffenen zählten die Opferberatungen im vergangenen Jahr. Und das ist nur die Zahl für die fünf neuen Länder und Berlin. Vergleichbare Statistiken für den Westen gibt es nicht. Denn dort gibt es solche unabhängigen Zählungen nicht. In den alten Ländern überlässt man die Hilfe für die Opfer rechter Gewalt gern dem Weißen Ring oder der allgemeinen Opferhilfe. Und wundert sich dann, dass kein zusammengeschlagener Punk und kein getretener Asylbewerber kommt. "Man kann sich nicht einfach in sein Büro setzen und darauf warten, dass jemand klopft", sagt Arndt. Sie und ihre Kollegen forsten jeden Tag die Polizeiberichte durch, die Meldungen der Zeitungen, wer wieder Opfer geworden ist.

Auch ihr Kollege Robert Kusche aus Sachsen sieht, dass er mit der Arbeit kaum nachkommt. Allein von 2013 auf 2014 sei die Zahl der Übergriffe von Rechtsradikalen in Sachsen um 18 Prozent gestiegen, sagt er. Gleichzeitig musste die Opferberatung die Stunden kürzen. "Das Geld reicht schon jetzt vorne und hinten nicht", sagt Kusche. "Wir sind chronisch unterfinanziert."

Dabei haben er und seine Kollegen an Pfingsten gerade wieder erlebt, wie einsam sich die Betroffenen rechtsradikaler Angriffe fühlen - auf dem Fest zum Erinnern an das NSU-Attentat in der Kölner Keupstraße vor zehn Jahren. Dort waren auch mehrere Hinterbliebene von NSU-Opfern. "Die Leute fühlen sich nicht nur allein", sagt Robert Kusche, "sie sind de facto allein."

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