Retter in der Riesending-Höhle:Drei Tage unter der Erde

Retter in der Riesending-Höhle: Stephan Bauhofer war als Helfer im ersten Rettungstrupp mit im Berg.

Stephan Bauhofer war als Helfer im ersten Rettungstrupp mit im Berg.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Für seinen Weg 1000 Meter hinab in die Finsternis rüstete sich Stephan Bauhofer mit Schokolade. Der Sanitäter war einer der ersten Helfer, die zum verletzten Forscher Johann W. vordringen konnten. Jetzt ist er noch einmal hinabgestiegen.

Von Sarah Kanning, Berchtesgaden

Für seinen Weg tausend Meter hinab in die Finsternis rüstete sich Stephan Bauhofer mit Schokolade. Der Notruf, dass im Untersberg ein verletzter Höhlenforscher liege, erreichte den Bergretter von der Berchtesgadener Bergwacht am Pfingstsonntag - da hatte in der Gemeinde am Watzmann-Massiv kein Laden offen. Die Schokolade hatte Bauhofer im Kühlschrank. Er ahnte nicht, dass er drei Tage lang unter der Erde bleiben würde.

Bauhofer ist 29 Jahre alt, ein lockerer Typ mit Dreitagebart, gebräunter Haut und Klettererkreuz. Er spricht mit weichem Berchtesgadener Dialekt, lacht viel. Doch wenn er an die Rettungsaktion der vergangenen Tage denkt, wird er ernst: "Wir wussten immer: Ein Unfall in der Riesending-Höhle ist der Worst Case."

Nicht so sehr wegen Sicherheitsbedenken, "wenn wir bei schlechtem Wetter in die Watzmann-Ostwand einsteigen, ist das riskanter". Sondern wegen der gigantischen Ausmaße: 1148 Meter tief, 19,2 Kilometer lang, um zur Unfallstelle vorzudringen, dauert es mindestens einen Tag. Nur wenige Retter haben damit Erfahrung. "Höhlen, in denen man übernachten muss, sind eigentlich nur was für Höhlenforscher."

Bauhofer kennt den Untersberg gut - zumindest die Außenwände. Er ist in Maria Gern aufgewachsen, dort beginnen Klettersteig und Kletterrouten auf den Berg, um den sich seit Jahrhunderten düstere Sagen ranken. Eigentlich verkauft Bauhofer Solaranlagen. Doch seit 15 Jahren arbeitet er ehrenamtlich bei der Bergwacht. 300 Einsätze hat sie im Jahr. Auch wenn Berghofer nicht bei allen dabei ist, bleibt ihm kaum Zeit für etwas anderes.

"Wenn ihr mich brauchen könnt, sagt Bescheid"

Für den gesamten Chiemgau organisiert die Höhlenrettung Freilassing Rettungen aus der Tiefe, weil sie aufwendig sind und spezielle Ausrüstung und Übung erfordern. Bauhofer gehört zum Unterstützungstrupp und bot sofort seine Hilfe an. "Ich habe gesagt, wenn ihr mich brauchen könnt, sagt Bescheid." Sie konnten. Der verletzte Johann W. brauchte dringend einen Arzt, doch auf die Schnelle konnte die Höhlenrettung keinen finden, der es mit der Riesenhöhle aufnehmen konnte. Bauhofer ist immerhin Rettungssanitäter, hat mehr als 500 Stunden Ausbildung nebenher gemacht, in einer Klinik und beim Rettungsdienst hospitiert.

Er überlegte nur kurz. Dachte an seinen Sohn. An die Risiken eines Steinschlags. Daran, dass er noch nie in einer Höhle übernachtet hatte. Dann sagte er zu. "Ich bin da eher nüchtern. Wenn mir am Berg etwas passieren würde, würde ich auch hoffen, dass mir jemand zu Hilfe kommt."

Vier Höhlenretter sollten zu W. vordringen, doch sie kamen zu langsam voran. Bauhofer und ein Salzburger Höhlenforscher kletterten im Vortrupp allein weiter. "Er kennt die Höhle in- und auswendig", sagt Bauhofer. "Er nahm mir die Angst, dass wir ertrinken könnten, wenn es regnet, er erklärte mir die Struktur der Höhle. Das war absolut beruhigend."

200 Meter senkrecht nach unten

Die ersten 200 Meter der Riesending-Schachthöhle führen senkrecht nach unten. Wer sich hier an frei hängenden Seilen auf den Weg macht, so beschreiben es Höhlenforscher, muss sich durch enge Schächte zwängen. Dann werden die Räume so weit, dass die Stirnlampen sich in der Dunkelheit verlieren. Man sieht keine Wände, keinen Boden. Dunkelheit. Nichts sonst.

Bauhofer weiß, wie es ist, in tausend Metern Höhe in einer senkrechten Wand zu hängen. Im vergangenen Herbst war er mit Freunden in Kalifornien, im Yosemite-Nationalpark. Sie erkletterten "The Nose", eine Kletterroute am El Capitan. Auch dort arbeiteten sich die Freunde nur über ihre Muskelkraft 1000 Meter weit voran, aber eben nach oben, nicht nach unten. "Wie das ist, sich 1000 Meter abzuseilen, im Dunkeln die Seile zu wechseln, kann sich niemand vorstellen, der noch nie in so einer Höhle war", sagt Bauhofer.

Es dauerte eine Nacht, bis sie den Verletzten fanden. Sein Kollege hatte fast zwei Tage lang bei ihm ausgeharrt, ihn versorgt, in drei Schlafsäcke gepackt, Tee gekocht. Vor dem Unfall waren sie zu dritt unterwegs gewesen: der erfahrene W. - ein 52 Jahre alter umsichtiger Forscher aus Baden-Württemberg - und zwei jüngere Kollegen. Nach dem Unfall durch einen herabfallenden Stein kletterte einer der beiden Kollegen ins nächste Rastlager. Er sammelte Decken und Matten, um W. in der ein bis vier Grad kalten Umgebung zu wärmen. Dann robbte er noch einmal los, um Wasser zu holen. Die Forscher wussten: Bis Retter eintreffen würden, würde es ein bis zwei Tage dauern.

"Sein Kollege hat sich toll gekümmert"

Wie es W. ging, als Bauhofer ihn erreichte, darüber darf er nicht sprechen. Nur so viel: "Sein Kollege hat sich toll gekümmert." Als Rettungssanitäter darf Bauhofer theoretisch leichte Schmerzmittel geben sowie stärkende Glucose-Infusionen. Die abschwellenden Medikamente für W. Schädel-Hirn-Trauma brachten erst am vergangenen Mittwoch zwei Ärzte mit einem italienischen Team.

Zwei Tage blieben die drei Retter gemeinsam bei W.. Sie wechselten sich ab mit Kochen und Versorgen, in den Ruhephasen legten sie sich in die Schlafsäcke. Sie hatten keinen Kontakt nach oben. Am dritten Tag hörten sie ein Geräusch, ein herabfallender Stein, noch weit entfernt. "Da wurde uns warm ums Herz", sagt Bauhofer. Ein Schweizer Team mit Rettungssanitäter, Trage und Funksystem löste sie ab. Das nächste, woran sich Bauhofer gut erinnert, sind die schmerzenden Arme beim Aufstieg am Seil. "Man zieht sich hoch, Stück für Stück, und man meint, das nimmt kein Ende. Und irgendwann hört man einen Hubschrauber, ein warmer Wind streift einen." Dann blitzte durch ein kleines Loch der blaue Himmel. Geschafft.

Dieses Stück steht Johann W. noch bevor, er wird allerdings in einer Trage hinaufgezogen. Am Donnerstag könnte er das Bergplateau erreichen. Am Dienstagmittag brachen 15 Retter und zwei Ärzte mit dem Verletzten zum letzten Rastlager auf. Damit der Forscher von der Gischt eines Wasserfalls auf dem Weg nicht nass wird, präparierte ein Team die steile, glitschige Strecke. 60 Retter waren in der Nacht im Labyrinth der Gänge unterwegs. Einer von ihnen: Stephan Bauhofer. Er ist noch einmal hinuntergestiegen, um Johann W. zu retten.

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