Whistleblower unter Terroristen:Geheimnisse aus dem Inneren von Isis

Isis-Anhänger in Mossul

Anhänger der Isis Mitte Juni in der Stadt Mossul

(Foto: AP)

Süße Kätzchen auf Maschinengewehren, Hass-Aufrufe, Fotos von Hinrichtungen: Die Isis-Milizen setzen neben ihrem bewaffneten Kampf in Syrien und im Irak auch auf soziale Netzwerke. Ein Twitter-Nutzer macht ihnen allerdings Ärger: Er verrät Interna aus dem innersten Zirkel.

Von Markus C. Schulte von Drach

Sie treten gerne vermummt auf, aber ihre Taten verbreiten sie im Internet. Terroristen und Milizen im Nahen Osten nutzen zunehmend soziale Medien wie Facebook und Twitter, um sich auszutauschen, sich zu profilieren und Anhänger zu rekrutieren. Das ist schon seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien zu beobachten.

Besonders umtriebig sind die Kämpfer von Isis, die einen Islamischen Staat im Irak und in (Groß-)Syrien anstreben. Ihren Vormarsch halten sie auf Twitter, Instagram und Facebook fest. Fotos von Hinrichtungen wechseln sich mit süßen Katzenbildern ab. Isis ist Experten zufolge besonders geschickt darin, via Internet seine Zielgruppe zu erreichen und Nachwuchs zu rekrutieren.

Einem bekannten Unterstützer der radikalen Islamisten zufolge existieren mehrere twitternde Abteilungen der Isis: Wie Abu Bakr al Janabi dem Magazin Vice sagte, gibt es eine offizielle Medienseite, auf der etwa Videos veröffentlicht werden. Darüber hinaus stellen lokale Vertreter, aber auch einzelne Kämpfer Informationen, Bilder und Berichte ins Netz. Und dann gibt es noch Anhänger, die auf "Propaganda und Lügen des Westens, der Schiiten und der Tyrannen" reagieren, wie al Janabi sagte. Die sozialen Medien seien gut, um eine Netzwerk aufzubauen und Anhänger zu rekrutieren. Twitter kommt mit dem Löschen der etlichen Isis-Accounts nicht nach.

Whistleblower verrät Isis-Interna

Bei dem Kurznachrichtendienst macht sich allerdings auch ein möglicherweise extrem wirkungsvoller Gegner von Isis einen Namen: Ein Account namens "@wikibaghdady" veröffentlicht seit dem 10. Dezember 2013 Informationen über die Gruppe, die aus deren innerstem Führungskreis zu kommen scheinen. Der anonyme Autor begann seine Tweets mit dem Versprechen, die Geheimnisse von Isis aufzudecken.

Seitdem war von Wikibaghdady etliches zu lesen über den Aufbau der Organisation. So berichtete der Account, dass Abu Bakr al-Baghdadi, der als Kopf von Isis gilt, zwar eine reale Person sei, aber einen falschen Namen verwende. Seine Vornamen seien Ibrahim Awwad Ibrahim, bekannt auch als Abu Awad. Abu Bakr sei ein Spitzname, während der Nachname Baghdadi nicht stimme. Der Isis-Anführer habe in Samarra gelebt und in Falludscha als Imam gearbeitet. Einen Doktortitel trage er, wie häufig behauptet, nicht.

Die Angaben passen weitgehend zu dem, was von den Geheimdiensten über al-Baghdadi zusammengetragen wurde und zum Beispiel auf der jüngsten Liste der von den USA verfolgten Terroristen zu finden ist. Unter dem Namen Ibrahim Awwad Ibrahim Ali al-Badri oder Abu Dua suchen die USA ihn bereits seit 2011 als Anführer von al-Qaida im Irak (beziehungsweise Islamischer Staat im Irak, ISI).

Auch berichtete Wikibaghdady im Dezember, dass der Militärrat der Isis von einem ehemaligen Offizier der irakischen Armee unter Saddam Hussein namens Haji Bakr angeführt werde. Haji Bakr habe den Aufstieg al-Baghdadis in Isis überhaupt erst ermöglicht, nachdem der frühere Kopf der Organisation, Abu Omar al-Baghadi, 2010 getötet wurde. Haji Bakr selbst starb nach der Veröffentlichung der Tweets Anfang 2014 offenbar unter mysteriösen Umständen in der syrischen Provinz Aleppo, wie verschiedene Medien meldeten. Bis zum Auftauchen der Tweets des Whistleblowers, so berichtet Matthew Barber von der University of Chicago, war ein Haji Bakr, der Wikibaghdadi zufolge der geistige Kopf der Organisation war, völlig unbekannt.

Die Tweets bieten auch angebliche Informationen über die Zusammenarbeit und die Konflikte zwischen den Milizen, die in Syrien gegen das Assad-Regime kämpfen. Vor allem aber twittert der Isis-Whistleblower seit einiger Zeit Hinweise auf das Vorgehen und die Strategie der Isis im Irak. Wie die Nachrichtenseite The Daily Beast berichtet, habe den Tweets zufolge kürzlich in der Nähe von Mossul ein Treffen zwischen Vertretern von Isis und der "Armee der Naqschbandi", einer weiteren Widerstandbewegung, sowie mit Izzat Ibrahim ad-Duri stattgefunden. Dieser Ex-Offizier der Armee hatte nach dem Tod Saddams die Führung der in den Untergrund gegangenen sunnitischen Baath-Partei übernommen.

Baath- und Naqschbandi-Milizen kämpfen seit Jahren gemeinsam gegen die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad. Es scheint, als hätten sie ihre Koalition nun auf die sunnitischen Isis-Kämpfer ausgeweitet.

Seit geraumer Zeit, so behauptet die Quelle, wurden Verbindungen zwischen den ehemaligen Al-Qaida-Terroristen sowie der irakischen Baath-Partei und der ehemaligen Armee angebahnt. Das würde den schnellen Vormarsch der sunnitischen Kämpfer im Irak erklären.

Und Wikibaghdadi weiß angeblich noch mehr. Sollten die Sunniten im Irak erneut an die Macht kommen, würden ad-Duri und die Naqschbandi - anfänglich - die führende Rolle übernehmen, denn die Welt würde die Isis nicht akzeptieren. Das ist allerdings Propaganda, wenn man Brian Fishman von der Stiftung The New America glauben darf. Er sagte dem Daily Beast, es gebe viele Hinweise darauf, dass Isis sich bei der Kontrolle eroberter Gebiete nicht zurückhalten wird.

Bislang ist noch völlig unklar, wer hinter Wikibaghdady steckt. Für Daily-Beast-Autor Jacob Siegel dürfte es sich um einen Islamisten handeln, der Isis nahe steht, aber mit der Gruppe noch eine Rechnung offen hat. So kritisiert er nicht die Ziele von Isis, sondern ihre Strategie und Mängel in ihrer religiösen Ideologie. US-Geheimdienste vermuten, dass es sich um einen hohen Isis-Führer handeln könnte, vielleicht sogar ein Mitglied des inneren Kreises, berichtete The Long War Journal bereits im Februar.

Matthew Barber von der University of Chicago hält es möglich, dass der Autor der al-Nusra-Front nahesteht, einer in Syrien mit der Isis konkurrierenden Gruppe, die zu al-Qaida gehört. Möglich wäre aber auch, dass hinter Wikibaghdady eine ganze Gruppe steht, der es nicht passt, dass Isis inzwischen eine so bedeutende Rolle unter den dschihadistischen Gruppen einnimmt.

Ist die Quelle vertrauenswürdig? Wie Fishman The Daily Beast sagte, handele es sich mindestens um einen "scharfen Beobachter der Vorgänge in Syrien", und eine Quelle, die untersucht werden sollte. Auch Barber betrachtet die Informationen in den Tweets als "wahrscheinlich zutreffend".

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