Islamistische Terrorgruppe Isis:Die Hölle namens Syriak

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Isis-Kämpfer patroullieren in Falludscha, knapp 65 Kilometer von Bagdad entfernt. (Foto: AP)

Kämpfer der islamistischen Terrortruppe Isis dringen immer tiefer in den Irak und möglicherweise nach Jordanien vor. Ideologisch primitiv und militärisch konsequent kämpfen sie für ein Kalifat. Ihr Herrschaftsanspruch leitet sich von mittelalterlichen Landkarten ab.

Von Tomas Avenarius

Es sind exotisch klingende Städtenamen, sie stehen für eine Katastrophe: Mossul, Haditha, Ana, Raua, Al-Kai'm. Es sind irakische Städte und Ortschaften, die der Islamische Staat im Irak und in Großsyrien (Isis) im Handstreich eingenommen hat. Nach dem vor etwas mehr als zwei Wochen begonnenen Blitzkrieg der Islamisten-Miliz quer durch den Norden des ölreichen arabischen Landes hat sich Bagdads Armee nun auch aus dem Grenzgebiet zu Syrien und Jordanien weitgehend kampflos zurückgezogen. Angeblich aus taktischen Erwägungen - offenkundiger könnte die Armeeführung ihre Niederlage kaum eingestehen.

Isis beherrscht nun praktisch alle Grenzübergänge zwischen dem Irak und Syrien, dazu einen weiteren, strategisch wichtigen Grenzposten zwischen dem Irak und Jordanien. Isis überrollt gerade international anerkannte Grenzen, übernimmt so die Kontrolle in einem Gebiet von der Größe Jordaniens. Es reicht von Aleppo und Rakka in Syrien bis Mossul im Nordirak und nach Süden fast bis nach Bagdad. Isis scheint auf dem Weg zu sein, seine krude Vorstellung von einem religiös reinen Gemeinwesen in Teilen des Irak und Syriens und möglicherweise bald Jordaniens umsetzen zu können: den Kalifat-Staat.

Wo die Isis in Irak und Syrien herrscht (Foto: SZ)

Unter einem solchen Staat muss man sich die Herrschaft eines Nachfahren und Stellvertreters des Propheten vorstellen, der über die Einhaltung des islamischen Rechts wacht. So regierte - rein formal - schon der Sultan im Osmanischen Reich. Doch die Terrorgruppe Isis geht viel weiter, sie anerkennt kein anderes Gesetzbuch als den Koran. Nach al-Qaida als transnationalem Netzwerk mit globalen Angriffszielen, das sich in kleinen, herrenlosen Enklaven in Afghanistan oder Mali eingenistet hat, kommt durch Isis die Landnahme eines unter Berufung auf die islamische Geschichte klar umrissenen Territoriums dazu. Isis ist al-Qaida 3.0: deutlich brutaler, ideologisch primitiver und militärisch konsequenter als Osama bin Ladens Schöpfung. Mit einem Herrschaftsanspruch, der die moderne Staatlichkeit unter Verweis auf das göttliche Gesetz durch ein reales eigenes Gemeinwesen infrage stellt und sich bei der Grenzziehung des Staats auf die mittelalterliche islamische Landkarte beruft.

In Washington, bei der Nato, der Europäischen Union und in den Hauptstädten der Nachbarstaaten ist die Unruhe groß. König Abdallah von Jordanien habe "Dutzende Verbände" seiner Armee an die Grenze befohlen, heißt es in jordanischen Militärkreisen. US-Außenminister John Kerry trifft nahöstliche Kollegen, berät sich mit EU- und Nato-Vertretern. Die zucken mit den Schultern, sagen in den resignierten Worten eines EU-Diplomaten: "Unsere Möglichkeiten sind begrenzt."

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Ein Kommentar von Sonja Zekri

Eine Sunniten-Koalition aus Radikal-Islamisten, Ex-Saddamisten, Baathisten und frustrierten Stammeskriegern

Nun ist der militärische Erfolg von Isis jung. Es wird sich zeigen, ob die Überraschungssiege einer kleinen militanten Gruppe wirklich zur dauerhaften Herrschaft religiöser Extremisten führen oder ob sich die hinter Isis stehende Sunniten-Koalition aus Radikal-Islamisten, Ex-Saddamisten, Baathisten und frustrierten Stammeskriegern bald selbst zerlegt. Wahrscheinlich ist, dass die sunnitischen Kriegsgefährten im Wettstreit um Land, Waffen und schnelle Beute aufeinander losgehen, statt ihre Macht abzusichern und die Isis-Vorstellung vom "koranischen" Gesellschaftssystem in "Syriak" auf Dauer umzusetzen. Aber auch wenn kein Außenstehender sagen kann, wer die Fäden zieht und wie tragfähig die Isis-Koalition ist: Bisher hält das heterogene Bündnis aus Gruppen, Ideologien und Interessen erstaunlich gut zusammen.

Die Islamisten fangen jedenfalls an, ihre Vorstellung von Staatlichkeit einzuführen: Angeblich schariagerechte Hinrichtungen, Kreuzigungen, Amputationen und Geißelungen von vermeintlichen Heiden, Mördern, Verrätern, Ehebrechern, Dieben oder anderen "schlechten Muslimen" nehmen in den Herrschaftsgebieten in Syrien und im Irak zu. Das alles übertrifft an Brutalität und theologischer Ignoranz sogar die afghanischen Taliban, wird aber von einer erstaunlich professionell wirkenden Isis-Medienabteilung via Twitter und Internet einer schockierten Welt verkündet.

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So haben die Militanten erklärt, Frauen dürften das Haus nur verlassen, wenn es unvermeidlich ist. Sie dürften sich nur züchtig und unauffällig gekleidet in der Öffentlichkeit bewegen - Ausgeburten religiös verbrämter und mit der Kalaschnikow durchgesetzter Männerfantasien. Den Einwohnern der eroberten Stadt Mossul hatten die Islamisten in einem 16-Punkte-Katalog verkündet, was verboten ist im Gottesstaat: Alkohol, Rauchen, Glücksspiel, Gesang, religiöse Schreine und Heiligenverehrung, schiitischer Islam.

Eine Lehrerin aus Mossul sagte der Nachrichtenagentur AFP: "Diese Militanten werden unser Land um Hunderte Jahre zurückwerfen. Ihre Gesetze widersprechen den Menschenrechten und dem Völkerrecht." Es droht ein pseudoreligiöses Justizsystem in der Hand selbsternannter Laienrichter. Jüngstes Beispiel für das, was die Pol-Pot-Islamisten unter Gerechtigkeit verstehen: Sie sollen den aus Kurdistan stammenden Richter erschossen haben, der Saddam Hussein zum Tode verurteilt hatte.

Ein Staat im herkömmlichen Sinn, ein international anerkanntes politisches Gebilde, wäre der Kalifatstaat kaum

Solche Rachejustiz wäre, wenn Isis denn mehr bleiben sollte als ein weiterer kurzer, blutiger Schreckensmoment im Nahen Osten, wohl Alltag im Gemeinwesen der religiösen Eiferer. Souveränität, Rechtsstaatlichkeit, internationales Recht - all das interessiert die Anhänger des ultimativen Gottesstaatsmodells nicht. Ein Staat im herkömmlichen Sinn, ein international anerkanntes politisches Gebilde, wäre der Kalifatstaat kaum.

Aber zumindest ein staatsähnlicher Akteur: Die Isis-Militanten sind dabei, in Syrien und im Irak ein zusammenhängendes Territorium zu erobern. Das Isis-Land "Syriak" hat eine relativ klar abgesteckte Ausdehnung, die alle früheren international anerkannten Grenzen missachtet. Die Macht liegt in der Hand einer Gruppe, die sich mit einem göttlich gewollten, verbindlichen Herrschaftsanspruch legitimiert. Es gibt ein primitives, aber einheitliches Rechtssystem. Es gibt eine Miliz, die alle Angriffe von außen abwehrt. Für das, was die Islamisten unter Staat verstehen, reicht dies allemal.

© SZ vom 24.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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