Eine fiktive Szene: Philipp Lahm lehnt entpannt im deutschen WM-Quartier Campo Bahia an der Bar, ein kaltes Bier in der Hand. Auf der anderen Seite der Theke steht Torwarttrainer Andreas Köpke, bedient die Zapfanlage und ruft dem ein paar Meter entfernten Miroslav Klose zu: "Komm schon, Miro, eins geht noch!" Joachim Löw schaut besorgt auf die Uhr und mahnt für alle Spieler eine zeitnahe Bettruhe an. Aber nach ein wenig Bitten und Betteln genehmigt er seinen Jungs noch einen Absacker, ist ja erst ein Uhr nachts.
Vermutlich geht es im Hotel der DFB-Mannschaft in Brasilien gerade nicht ganz so entspannt zu und zum Nudelgericht mit kleinem Beilagensalat wird wohl Apfelschorle statt Bier gereicht. Aber es gab auch andere, lockerere Zeiten, ein gewisser Franz Beckenbauer war Teamchef und am Ende wurde die Nationalmannschaft 1990 Weltmeister. Mit dabei, wie auch beim bis dato letzten Titel der deutschen Männer bei der EM 1996, Torwarttrainer und Hobby-Filmemacher Sepp Maier.
Der hat bei den letzten beiden Titeln der deutschen Männer mit seiner Kamera alles gefilmt, was dem gemeinen Fan verborgen geblieben ist - von der Party mit den Spielerfrauen bis zur Siegesfeier unter der Dusche. 20 Jahre später hat er seine Bänder freigegeben, bereits 2012 wurden ausgewählte Aufnahmen auf dem Fußballfilmfestival "11 mm" in Berlin gezeigt. Nun hat Ulrich Stein aus Maiers Bewegtbildarchiv die launige Dokumentation Wir haben den Pokal! gebastelt, die am Dienstagabend im Digitalkanal ZDF Info ausgestrahlt wird.
Littbarski grölt
Die eingangs geschilderte und natürlich schwer denkbare Szene, hat Maier 1990 selbst erlebt. In seiner bayerischen Mundart erzählt er in der Doku recht freimütig von den Geschehnissen an einer italienischen Hotelbar vor bald 25 Jahren. "Ich hab immer eingeschenkt, da hieß es: 'Lothar noch eins, ach komm, Andi, eins geht schon noch.' Der Franz hat dann um ein Uhr nachts gesagt, jetzt sollten wir langsam ins Bett gehen. Da riefen die Spieler: 'Trainer, das Letzte, bitte!' Das hat der Trainer dann schon noch genehmigt."
Aber die netten Anekdoten bekommen erst durch Maiers Filmaufnahmen Gehalt. Ausgelassen feiernde Spieler sind zu sehen, Pierre Littbarski steht nach dem WM-Sieg 1990 in voller Fußballmontur unter der Dusche und grölt "Und wir haben den Pokal, halleluja", in der Kabine bedeckt ein feixender Lothar Matthäus seine Blöße mit dem WM-Pokal, am Rande des Ganzen prostet Bundeskanzler Helmut Kohl mit einem Plastikbecher zufrieden in Richtung Kamera. Herrliche ungekünstelte Bilder sind das, gerade in einer Zeit, wo ein Selfie von Lukas Podolski und Bundeskanzlerin Angela Merkel aus der Kabine schon von Medien und Fans gierig als besonderer Blick hinter die Kulissen aufgesaugt wird.
Wichtig für Stein Film sind aber nicht nur die Bilder von einst, sondern auch die Darsteller von Matthäus über Thomas Häßler bis Rudi Völler, die in kurzen Einspielern das Gezeigte einordnen. Erst die reflektiert-nostalgischen Kommentare der ehemaligen Sportler - Littbarski über die Dusch-Szene: "Das waren halt Momente, wo wir ein bisschen privater waren" - machen den Film zum intimen Zeitdokument eines Sports, der heute nur noch im engen Fifa-Korsett betrieben wird.
Schade nur, dass das ZDF für Wir haben den Pokal! keinen Platz im Hauptprogramm gefunden hat. Stattdessen versteckt man eine gekürzte Fassung des Films auf ZDF Info und zeigt die Langfassung erst Donnerstag spätnachts. Gegen die Vorberichterstattung auf das dienstägliche Abendspiel zwischen Griechenland und der Elfenbeinküste haben die deutschen Heroen von einst wohl keine Chance.
Wir haben den Pokal! Hinter den Kulissen der Nationalmannschaft 1990 und 1996, ZDF Info, Dienstag, 20.45 Uhr (30-minütige Fassung) und Donnerstag, 0.05 Uhr (45-minütige Fassung)
