Bastian Schweinsteiger im DFB-Team:Marlene Dietrich schweigt diskret

Bastian Schweinsteiger WM 2014

Wie fit ist er - und warum spricht er nicht? Bastian Schweinsteiger.

(Foto: dpa)

90 Minuten? 60 Minuten - oder doch nur 30? Wie lange Bastian Schweinsteiger gegen die USA in seiner Paraderolle im Mittelfeld bestehen kann, dazu schweigt der Münchner so diskret wie einst Marlene Dietrich. Auch Bundestrainer Löw hat nur eine vage Ahnung davon, wie viel er seinem Strategen zutrauen kann.

Von Philipp Selldorf, Recife

Selbstredend ist es ein kühnes Unterfangen, Bastian Schweinsteiger mit Marlene Dietrich vergleichen zu wollen. Genau besehen, lassen sich bloß zwei Gemeinsamkeiten konstruieren: Marlene Dietrich beeindruckte das Publikum - unter anderem - durch den Zauber ihrer langen Beine; bei Schweinsteiger ist es der Zauber seiner O-Beine. Und die Dietrich zog sich konsequent aus der Öffentlichkeit zurück, als sie meinte, das Ende ihrer Schaffenszeit als Künstlerin erreicht zu haben. Allerdings war sie bereits 77 Jahre alt, als sie sich in ihrer Wohnung in Paris vor der Neugier der Welt verbarg. Schweinsteiger hingegen vollzieht sein Schweigen vor den Scharen der Medien bereits im Alter von 29 Jahren.

Jeder Spieler hat im Laufe der mehr als zwei Wochen, die das deutsche Nationalteam inzwischen in Brasilien verbracht hat, seine pflichtschuldigen Auftritte vor den Journalisten erledigt. Öffentlichkeitsarbeit ist Teil des Geschäfts. Bei manchem Spieler mussten die Leute von der DFB-Pressestelle etwas mehr Überredung aufwenden, als bei anderen, aber bei Schweinsteiger haben alle Überredungskünste versagt. Auch nach seinem Einsatz beim Spiel gegen Ghana ließ er die Berichterstatter mit einer diskreten Geste wissen, dass er nicht zu sprechen sei. Obwohl er Grund hatte, über sein 103. Länderspiel etwas zu erzählen, selbst wenn er nur 25 Minuten mitgemacht hatte. Er hatte einen markanten Auftritt gehabt und seinen Anteil an der Vermeidung der drohenden Niederlage.

Dass Schweinsteiger sich nicht befragen lassen möchte und keine Pressekonferenzen gibt, das ist kein Problem für Deutschland und den DFB. Es ist bloß merkwürdig. Und so entsteht dann auch das Rätseln und Raunen über die Gründe seiner Unnahbarkeit; die Leute ziehen Vergleiche mit dem Verhalten einer Diva, die realisiert, dass sie nicht jünger wird - oder sogar erkennt, dass ihr künstlerisches Schaffen an einem kritischen Punkt angekommen ist.

Bastian Schweinsteiger im DFB-Team: undefined

Aus dem Mannschaftsquartier kommen gegenteilige Mitteilungen. Schweinsteiger sei gut drauf, heißt es von berufener Seite. Beim Training sind ihm keine Zeichen von Missmut anzusehen, es steht keine exklusive schwarze Wolke über dem Münchner, stattdessen sieht man ihn oft lachen und scherzen, meistens an der Seite von Lukas Podolski, seinem Weggefährten aus den frühesten Zeiten beim DFB. Arne Friedrich, ein anderer Weggefährte von früher, inzwischen pensioniert und als Kolumnist für eine chinesische Zeitung in Brasilien unterwegs, bekam die Allianz von Schweini & Poldi beim Besuch im Campo Bahia zu spüren. Die beiden warfen ihn in den Swimmingpool.

Doch auch dem Trainerstab des DFB ist Schweinsteiger in diesen Tagen ein Rätsel. Joachim Löw und Hansi Flick glauben, dass es eine gute Lösung wäre, ihn beim Spiel gegen die USA am Donnerstag in Recife einzusetzen, denn auch Sami Khedira leidet sichtbar an den Strapazen des Turniers - weshalb ein gemeinsamer Einsatz des ehemaligen Traumpaares eine abenteuerliche Idee wäre. Aber Joachim Löw und Hansi Flick haben leider nur eine vage Ahnung davon, was sie Schweinsteiger zutrauen können nach den verletzungsbedingten Trainingspausen während der Vorbereitungszeit.

Schweinsteiger definiert sich als Teamplayer

Ob der Vizekapitän 90 Minuten in seiner Paraderolle im Mittelfeld bestehen kann, ob er 60 oder nur 30 Minuten schafft, das wissen weder Löw noch Flick noch Schweinsteiger. Am vorigen Samstag in Fortaleza sah er am Ende seines nicht mal halbstündigen Mitwirkens aus, als ob er ein Europapokalspiel mit Verlängerung hinter sich hätte. Beobachter hielten das für erschreckend: Ein erfahrener Profi im besten Lebensalter, ausgezehrt nach ein wenig Teilzeitarbeit.

Aber so einfach lässt sich die Sache nicht beurteilen: Schweinsteiger kam von der Bank in ein wild tobendes Spiel, vom ersten Moment an wurden ihm Läufe und Zweikämpfe mit höchster Drehzahl abverlangt. "Du machst zwei Sprints und suchst danach das Sauerstoffzelt", stellte Miroslav Klose fest, und der musste es wissen, denn Klose war an Schweinsteigers Seite in die Partie gekommen.

Um Schweinsteiger besser zu verstehen, ist der Bezug zu Klose wahrscheinlich hilfreicher als der zu Marlene Dietrich. Klose wurde gefragt, ob er unruhig werde, wenn er auf der Ersatzbank sitze, er antwortete: "Jeder, der draußen sitzt, will spielen. Jeder von uns ist da. Jeder brennt, jeder will spielen." Aber er sagte auch, dass er nach seinem Tor zum 2:2 gegen Ghana keineswegs eine neue Nähe zur Startelf beanspruchen wolle: Er sehe das "total entspannt", sagte Klose.

Auch Schweinsteiger definiert sich als Teamplayer. Nach der EM 2012, bei der es in der deutschen Mannschaft nicht so freundschaftlich zuging, beschwerte er sich über Kollegen, die auf der Ersatzbank den Jubel über die Tore der Mitspieler vermissen ließen. Vielleicht erinnert er sich jetzt daran, wenn er selbst auf der Bank sitzt. Oliver Bierhoff würdigte sein Verhalten bereits als "imponierend". Spieler "mit überragender Reputation" stellten "ihr Ego nach hinten", sagte der Teammanager.

Schweinsteiger werde im Laufe des Turnieres noch wichtig werden, diesen Satz hört man in diesen Tagen ziemlich häufig. José Mourinho und Michael Ballack haben ihn ausgesprochen und der Bundestrainer ebenfalls. Schweinsteiger kann sich das Schweigen leisten, solange solche Experten so anerkennend über ihn reden.

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