Entwicklerkonferenz I/O:Google startet das Android-Zeitalter

Google Android TV Android Wearables

Googles Android-Chefentwickler David Singleton stellte Android für tragbare Geräte vor.

(Foto: AFP)

Android am Armgelenk, im Auto und im Fernseher: Auf seiner Entwicklerkonferenz I/O zeigt Google, dass sein mobiles Betriebssystem künftig überall sein soll - und die Eroberung unserer Bildschirme gerade erst begonnen hat.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Futuristen dürften lange Mienen ziehen: Neuigkeiten zum selbstfahrenden Auto, zur Datenbrille Glass oder zum vernetzten Zuhause fehlten auf Googles Entwicklerkonferenz I/O in San Francisco. Revolutionäre neue Funktionen? Ebenfalls Fehlanzeige.

Doch das Erstaunliche ist: Google benötigte all das nicht, um während seiner fast dreistündigen Mammut-Keynote seine Zukunftsvision deutlich zu machen: Das Unternehmen will auf alle Bildschirme, überall. Das Mittel dazu: sein mobiles Betriebssystem Android.

"Bald auf einem Bildschirm in eurer Nähe", lautet das Motto der nächsten Android-Version. Statt nur auf dem Smartphone soll die Software künftig auch in Autos, auf Smartwatches und Flachbild-Fernsehern laufen. Ein Überblick.

Android Wear - der Assistent am Handgelenk:

Wie erwartet steigt Google in die tragbare Technologie ein. Künftig können Android-Entwickler ihre Apps für Smartwatches und andere am Körper getragene Geräte erweitern. Einen eigenen App-Store soll es allerdings nicht geben. Auch die erste Hardware liegt bereits vor. In den USA sind ab sofort entsprechende Uhren verfügbar: Die "G Watch" von LG, sowie Samsungs "Gear Live". Die lange erwartete "Moto 360" von Motorola soll erst im Spätsommer erscheinen.

Allerdings legt Google anders als Apple den Schwerpunkt nicht auf Fitness-Anwendungen, sondern sieht die kluge Uhr als Orga-Werkzeug: Per Sprachsteuerung soll sie schnelle Informationen liefern oder mit Hilfe des persönlichen Assistenten Google Now dem Träger durch den Tag helfen. Das ist aus Google-Sicht logisch, hilft Google Now doch, relevante Informationen über einen Nutzer, seinen Alltag und seine Interessen zu sammeln.

Ein bisschen Fitness gibt es aber doch: "Google Fit" heißt die Plattform, die gesammelte Fitness-Daten eines Nutzers verwaltbar macht. Details dazu gab es wenige, mit Nike (eigentlich im Apple-Lager) und Adidas sind allerdings namhafte Partner an Bord.

Android Auto und TV - die Eroberung des Alltags:

Google hat Partnerschaften mit 40 Auto-Herstellern abgeschlossen, um deren Bordcomputer zu kapern. Stöpselt ein Fahrer sein Android-Telefon per USB ein, übernimmt Google das Bordsystem. Damit kann der Fahrer via Lenkrad oder Steuer-Elementen telefonieren, Musik hören oder über Google Maps navigieren. Entwickler können künftig zudem weitere Apps für die Fahrzeug-Nutzung entwickeln.

Proteste rund um Google-Event

Rund um die I/O-Keynote kam es in San Francisco zu Protesten: Dutzende Demonstranten versammelten sich vor dem Moscone Center, um für bessere Arbeitsbedingungen für das Google-Sicherheitspersonal und gegen die Gentrifizierung des Wohnungsmarkts zu protestieren. Während der Keynote versuchten sich zwei Aktivisten lautstark Gehör zu verschaffen. In Mountain View nahm die Polizei zehn Demonstranten fest, die vor der Konzernzentrale campiert hatten, um für den Erhalt der Netzneutralität zu protestieren.

Einen ähnlichen Weg geht Google bei den Fernsehern: Statt selber Hardware zu produzieren, stellt das Unternehmen den Smart-TV-Herstellern Android zur Verfügung. Im kommenden Jahr sollen erste Flachbildfernseher von Sharp, Sony und Philips auf den Markt kommen, in denen das Mobil-System steckt. Android integriert die Funktionen des erfolgreichen Chromecast-Sticks und erlaubt so den Zugriff auf On-Demand-Programme oder Portale wie Netflix per Sprachsteuerung.

Android One - die Niedrigpreis-Strategie:

Android-Chef Sundar Pichai präsentierte kein neues Nexus-Gerät, sondern eine Initiative: Über "Android One" will Google Smartphones mit seinem Betriebssystem in Schwellenländern billiger machen und auf Preise unter 100 Dollar drücken. Das Unternehmen hilft dafür kleineren Herstellern, Referenzmodelle mit kleineren Bildschirmen und geringerer Software-Austattung zu bauen. Bereits im Herbst erscheinen erste Geräte in Indien. Mit dem Programm will Google auch verhindern, dass die Billig-Androiden wie bislang sehr unterschiedlich und häufig kaum updatebar sind. Zudem will man die neuen preiswerten Smartphones bremsen, die Firefox OS verwenden.

Gut geklaut ist halb gewonnen?

Android "L" - Design statt Revolution:

Googles Android ist keine schöne Software und Ähnlichkeiten zu den Webdiensten hat sie nur am Rande. Das soll sich in der nächsten Version des Betriebssystem, bislang schlicht "L" genannt, ändern. Das flache, klarere Design soll künftig unabhängig vom verwendeten Gerät oder Dienst zum Markenzeichen der Google-Software werden. Der Styleguide zeigt, dass sich die Firma erstmals echte Gedanken über Konsistenz gemacht hat. Im Jahr 2014 (sic.!). Die Konkurrenz von Apple oder Microsoft sorgt sich schon lange darum, einen Wiedererkennungswert zu schaffen und damit dem Nutzer das Gefühl zu geben, auf einer Plattform "zu Hause" zu sein.

Die wichtigsten neuen Funktionen von "L" sind schnell aufgezählt: Aktive Apps werden künftig kartenartig hintereinander dargestellt, Apps lassen sich schneller aus dem Browser aufrufen. Die Funktion "Personal Unlocking" erkennt den Nutzer an gekoppelten Bluetooth-Geräten (z. B. der Smartwatch), dem Aufenthaltsort oder der Stimme und entsperrt das Telefon automatisch.

Googles Textverarbeitung - Geschäftskunden im Visier:

Android erkennt künftig auch Office-Dokumente, sie lassen sich nun leichter aufrufen. Zudem erhält der Online-Speicher Drive weitere Textverarbeitungs-Funktionen wie einen Korrekturmodus. Für zehn US-Dollar pro Nutzer und Monat erhalten Unternehmen unbegrenzt viel Speicherplatz. All das zielt darauf, Android für Geschäftskunden attraktiver zu machen. Erstmals können nun Nutzer des Betriebssystems ihre gespeicherten Dokumente in privat und geschäftlich trennen - eine vertrauensbildende Maßnahme, wenn man so möchte.

Gut geklaut ist halb gewonnen?

"Gute Künstler kopieren, großartige Künstler klauen", hat Apple-Gründer Steve Jobs einmal gesagt. Das gilt auch für Google: Viele der in der I/O-Keynote vorgestellten Ideen existieren bereits.

Das neue "Material Design" ähnelt mit seinen klaren Formen an viele Oberflächen-Elemente von Windows Phone. Das Erkennen von Geräte-Besitzern über Bluetooth versuchte bereits Motorola (Trusted Bluetooth), ein "Project Volta" zur längeren Batterie-Laufzeit hat inzwischen von Samsung bis Microsoft fast jeder Smartphone-Anbieter. Anrufe auf das Handy auf dem Chromebook entgegennehmen? Apple stellte vor kurzem eine entsprechende Funktion für iOS und Mac vor. Die Übernahme der Auto-Bordanlage kennen Apple-Nutzer von CarPlay. An eine tiefere Integration des Browsers in das App-System erinnern sich Nostalgiker noch: es war ein wichtiger Bestandteil das WebOS-Betriebssystems von Palm.

Was das alles bedeutet? Der kluge Internet-Vordenker Dave Winer hat die Antwort: "Wir sind an einem Punkt im Tech-Kreislauf, an dem die Riesen sich mit identischen, aber inkompatiblen Produkten bekämpfen - und die Nutzer als Waffen verwenden."

Fazit: Google will überall sein

Android war einmal ein Mobil-Betriebssystem, spätestens mit der I/O ist es das definitive Portal zur Google-Welt im Post-Web-Zeitalter. Noch zeigt sich die Strategie nur in Grundzügen, doch vom Smartphone über das Wohnzimmer bis zum Auto hat Android alle wichtigen Lebenswelten besetzt und damit für den Konzern theoretisch vermarktbar gemacht. Voraussetzung ist jedoch wie immer die Bereitschaft der Kunden, mit massiven Datenmengen für eine reibungslose Rundumversorgung zu zahlen. Die Konkurrenz von Apple baut gerade ein ähnliches Universum, das aber den Verkauf von Hardware zum Ziel hat.

Die Perspektive: Mindestens zwei völlig inkompatible Systeme, die den Wechsel für den Kunden durch den steigenden Komfort und die tiefe Integration in den Alltag immer schwieriger machen - und wenig Platz für neue Konkurrenz lassen.

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