Erzherzog Franz Ferdinand:Der Jäger, der zum Opfer wurde

Erzherzog Franz Ferdinand, 1911

Erzherzog Franz Ferdinand im Jahre 1911

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Er tötete hunderttausende Tiere, galt als liebevoller Vater und Ehemann, wurde vom Kaiser gedemütigt und plante den Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn zu reformieren: Über Erzherzog Franz Ferdinand, dessen Tod den Ersten Weltkrieg auslöste.

Von Oliver Das Gupta

Es ist eine schier unglaubliche Zahl: 272 511*.

So viele Tiere soll Franz Ferdinand von Österreich-Este in seinem Leben geschossen haben. Wildschweine und Hasen, Rotwild und Elefanten, Löwen und Möwen. Zwei Bedienstete luden bei Jagden ununterbrochen die Büchsen seiner kaiserlichen Hoheit nach. Bumm bumm bumm.

Abschuss für Abschuss ließ der Erzherzog-Thronfolger notieren. Sein Schloss Konopischt dekorierte er mit Geweihen, Fellen und ausgestopftem Getier. Ob er halbtaub war von dem Geballer? Ob er tatsächlich eine weiße Gämse getötet hat - oh welch unheilvolles Zeichen!, raunen manche - kurz bevor er zur letzten Reise auf den Balkan aufbrach?

Gerüchte umwabern nun schon seit einem Jahrhundert die Person Franz Ferdinand, was wohl weniger an seinem Tun liegt, sondern an seinem letzten Lebenstag: Jener 28. Juni vor 100 Jahren, an dem er im offenen Wagen durch Sarajevo fuhr und erschossen wurde. Sein Tod wurde zum Zündfunken für den Krieg, der die Welt in Brand setzte - und die Voraussetzungen für den Zweiten, noch furchtbareren Weltkrieg schuf.

Weitsichtig und vorgestrig

Den Anfang des großen Gemetzels machte die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien. Einen solchen Militärschlag wollte Franz Ferdinand zu Lebzeiten unbedingt verhindern.

Immer wieder forderte der austriakische Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorff so einen Krieg, immer wieder wiegelte der Erzherzog ab. Nicht etwa, weil er so friedliebend war, sondern weil er einen größeren Krieg mit Russland fürchtete, der die Monarchien in Sankt Petersburg und Wien hinwegfegen würde. Der Erzherzog sollte Recht behalten.

So weitsichtig der Thronanwärter in dieser Sache war, so vorgestrig waren viele seiner Ansichten. Franz Ferdinand war autoritär, erzkatholisch, er stellte das monarchische Prinzip über alles. Durch und durch als Habsburger, so sah sich der Erzherzog.

Seine Mutter war eine Tochter des Königs beider Sizilien, der Vater ein Bruder von Franz Joseph I., dem österreichischen Kaiser. Franz Joseph aber überlebte bekanntlich nicht nur seine Gattin Sisi, sondern auch seinen suizidalen Sohn Rudolf und seinen Bruder - den Vater von Franz Ferdinand.

So avancierte Franz Ferdinand 1896 zum Thronfolger des Vielvölkerstaats Österreich-Ungarn, das mit der Zeit so morsch wurde wie der Kaiser alt. Dabei rechneten der Herrscher und viele andere damit, dass der Erzherzog mit den wässrigen Augen ebenfalls nicht lange lebt, weil er an Tuberkulose litt. Franz Joseph I. ließ ihn nicht mal offiziell zum Nachfolger ausrufen. Franz Ferdinand fühlte sich "von fast allen Verwandten und Freunden im Stich gelassen", heißt es in einer 1929 erschienenen Biographie über Kaiser Franz Joseph.

Franz Ferdinand wurde wieder gesund, vielleicht trugen auch eine Reise um die Welt oder sein Aufenthalt in Ägypten dazu bei. Doch die Jahre als Schwerkranker und der Umgang prägten ihn, und das nicht positiv: Er galt als schroff und bitter, zeigte kaum Demut und Versöhnlichkeit, aber dafür ein gerütteltes Maß an Menschenverachtung.

Er zog über Ungarn und Juden her, schimpfte über Sozialisten und Italiener (obwohl er selbst ein Halbitaliener war). Einem Offizier verweigerte er einmal die Leitung einer Militärakademie, weil dieser evangelisch war. "Nichts ist liebenswürdig an ihm, wenig liebenswert, alles schwer, trotzig", so beschrieb der Schriftsteller Emil Ludwig ihn später.

Im Volk war der Thronfolger unpopulär, was ihm offenbar egal war: "Er war kein Grüßer", meinte der Publizist Karl Kraus nach dem Attentat.

Einer von Franz Ferdinands Mitarbeitern stellte fest, sein Chef habe mit Wilhelm II. "die Impulsivität" gemeinsam - wobei von Franz Ferdinand nicht annähernd so bizarre Sprüche überliefert sind wie von dem flatterhaften deutschen Kaiser.

Einmal setzte Franz Ferdinand das Herz vor den Gehorsam

Dem Kaiser und seinem Clan war er treu, doch emotional schloss Franz Ferdinand mit seiner Habsburger-Verwandtschaft wohl ab, nachdem er sich in Sophie Chotek verliebt hatte.

Die böhmische Gräfin war nicht adelig genug für einen Habsburger Spross, darauf pochte Kaiser Franz Joseph (obwohl sein Sohn Rudolf sich auch aus artverwandten Gründen ins Jenseits befördert hatte). Der alte Regent demütigte seinen Nachfolger tief.

Doch bei Sophie setzte Franz Ferdinand Herz vor Gehorsam. Die oder keine, ließ er immer wieder wissen. Schließlich konnte er sie doch heiraten, allerdings unter schmählichen Bedingungen: Sophie durfte nicht Kaiserin werden, deren Kinder waren von der Thronfolge ausgeschlossen. Zur Hochzeit erschienen nicht einmal die Brüder von Franz Ferdinand.

Bei offiziellen Anlässen bei Hofe durfte die Gattin des Thronfolgers nicht an seiner Seite erscheinen, von einigen Verwandten wurde sie regelrecht gemobbt. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. störte sich (anders als in ähnlichen Fällen in seiner eigenen Familie) nicht an der Verbindung und ließ Sophie bei Besuchen wie eine künftige Kaiserin behandeln.

So anachronistisch und autoritär sich Franz Ferdinand in vielen Dingen verhielt, so liebevoll zeigte er sich als Partner. Keinen Tag der Ehe mit Sophie habe er bereut, sagte er einmal. Die Tochter und zwei Söhne des Paares hatten einen fürsorglichen Vater, der sich freute, wenn die Kleinen herumtollten.

Nach der Jahrhundertwende drängte Franz Ferdinand immer mehr in die Staatsgeschäfte. Der Kaiser, der 1908 sein 60. Thronjubiläum feierte, mokierte sich ab und zu über den "lieben Franzi", gab aber dann doch in vielen Fällen nach. So gelang es Franz Ferdinand, entscheidende Posten mit seinen Gewährsleuten zu besetzen und die Armee zu modernisieren (leider auch mit Kriegstreibern).

In Wien, nahe des von ihm bewohnten Schlosses Belvedere, baute der Thronfolger mit seiner Militärkanzlei eine Art Nebenregierung auf, die nicht nur in Armeesachen mitmischte.

Der Erzherzog ließ sich von klugen Köpfen beraten und entwickelte eine politische Agenda für den Tag X, an dem er als Kaiser Franz II. den Thron besteigen würde. Als Monarch wollte er die als kränkelnd wahrgenommene Donau-Monarchie komplett umbauen und dadurch zukunftsfest machen.

Festgelegt schien sein Konzept nicht zu sein, doch Franz Ferdinand wollte die Föderalisierung des Vielvölkerstaates. Den K.-und-K.-Dualismus, den die Ungarn dem alten Kaiser 1867 abgetrotzt hatten, wollte er durch einen dritten, südslawischen Reichsteil zum Trialismus erweitern.

Damit hätte er die von ihm verhassten Ungarn geschwächt und nationalistischen Strömungen auf dem Balkan ein Ventil verschafft (weshalb er von serbischen Nationalisten als besondere Gefahr gesehen wurde).

Träume von den Vereinigten Staaten von Groß-Österreich

Angeblich sah er auch die Notwendigkeit, allen Untertanen das gleiche Wahlrecht einzuräumen, aber de facto blieben seine Aussagen vage.

Seine wohl größten Anhänger hatte der weitgehend unbeliebte Erzherzog dann auch in einer Bewegung, die sich für die weitgehende Föderalisierung des Reiches unter der Krone aussprach. Sie propagierten einen Zusammenschluss von Provinzen, die nach Nationalitäten gegliedert sein sollten: "Die Vereinigten Staaten von Groß-Österreich".

Ein gleichnamiges Buch, verfasst von einem rumänischen Kaisertreuen, liest sich angesichts des geschrumpften Österreichs drollig. Doch vor 100 Jahren wurden die Reformpläne ernsthaft diskutiert, zumindest bis zu den Schüssen von Sarajevo, die Franz Ferdinand und seine Sophie töteten.

Vor der Abfahrt nach Bosnien soll der Erzherzog erwogen haben, die Reise nicht anzutreten. Der Asthmatiker fürchtete das heiße Klima und außerdem drängte seine Frau, abzusagen. Aber Franz Ferdinand habe nicht als feige gelten wollen, schreibt Biograph Friedrich Weissensteiner.

Er fuhr zum Kaiser nach Schloss Schönbrunn und erklärte, er wisse nicht, ob er die brütende Hitze werde ertragen können. "Mach es, wie du willst", soll der 84-Jährige geantwortet haben. Daraufhin fuhr Franz Ferdinand auf den Balkan, ausnahmsweise begleitet von seiner Frau.

Kurz vor seiner Abreise soll er mit einer Pistole noch eine Katze geschossen haben.

*Die Zahl von Franz Ferdinands Abschüssen ist der von Friedrich Weissensteiner verfassten Biographie entnommen. Andere Quellen berichten sogar von mehr als 274000 Tieren, die der Erzherzog erlegt haben soll.

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