Hochstapler-Syndrom:Quälende Angst vor dem Auffliegen

Wer unter dem Hochstapler-Syndrom leidet, macht Glück oder Zufall für seine Erfolge verantwortlich, nicht das eigene Können. Psychologin Birgit Spinath über Selbstzweifel, die ständige Angst, ertappt zu werden - und den Umgang mit Betroffenen.

Von Karin Janker

Birgit Spinath ist Professorin für Pädagogische Psychologie an der Universität Heidelberg und forscht dort unter anderem zu Lernmotivation und Leistungsverhalten. Sie ist Expertin für das sogenannte Hochstapler-Syndrom: Betroffene leiden unter massiven Selbstzweifeln und schreiben Erfolg in Beruf und Studium nicht den eigenen Fähigkeiten zu, sondern Glück, Zufall oder netten Prüfern. Eine Ursache des Syndroms liegt der Expertin zufolge auch in unserer modernen Leistungsgesellschaft, in der der ständige Vergleich mit anderen zählt. Wer selbst unter Hochstapler-Gedanken leidet, dem rät Spinath, Hilfe von einem Therapeuten in Anspruch zu nehmen. Denn das Syndrom kann einen gefährlichen Kreislauf in Gang setzen.

SZ.de: Frau Spinath, Hochstapler sind normalerweise Menschen, die andere betrügen. Das Hochstapler-Syndrom (englisch: Impostor Syndrome) ist aber etwas anderes. Was unterscheidet gewöhnliche Hochstapler von Menschen mit Hochstapler-Syndrom?

Spinath: Ein Hochstapler gibt vor etwas zu sein, was er nicht ist. Vom Hochstapler-Syndrom spricht man, wenn jemand sich für einen Hochstapler hält, obwohl dies gar nicht der Fall ist.

Welche Gedanken treiben die Betroffenen um?

Wer unter dem Hochstapler-Syndrom leidet, hat ein Problem mit der Ursachenzuschreibung in seinem Leben. Betroffene vermuten, dass für die eigenen guten Leistungen nicht die eigenen Fähigkeiten verantwortlich sind, sondern Glück, nette Prüfer oder einfach Zufall. Sie zweifeln ständig an sich selbst und können Ängste entwickeln vor Prüfungen und anderen Situationen, in denen sie vermeintlich als Hochstapler enttarnt werden könnten.

Ständige Angst, jemand könnte einem auf die Schulter tippen und sagen "Jetzt haben wir dich ertappt, du hast diese Position gar nicht verdient!" - was bedeutet das für Psyche und Berufsalltag?

Auf Dauer ist das sehr belastend. Betroffene gehen unterschiedlich mit diesen Gedanken um: Es gibt Over-Doer und Under-Doer. Die einen strengen sich ganz besonders an, bereiten sich auf jede Herausforderung bestens vor und wollen so vermeiden, dass jemand sie als vermeintliche Hochstapler entlarvt. Die anderen resignieren und behindern sich selbst: Under-Doer schaffen von vorneherein Situationen, in denen sie gar keine gute Leistung bringen und das auf die Umstände schieben können. Zum Beispiel Studenten, die am Abend vor der Prüfung noch auf eine Party gehen. Dann war eben der Kater schuld, dass sie nicht gut abgeschnitten haben.

Vielen Menschen wird der Gedanke bekannt vorkommen, dass sie bei einer Prüfung oder im Bewerbungsgespräch vor allem großes Glück hatten. Wo hört normale Unsicherheit auf?

Auf den Betroffenen lastet ein großer Leidensdruck. Das Hochstapler-Syndrom wurde zum ersten Mal in den 1970er Jahren von einer Psychotherapeutin in ihren Therapiesitzungen entdeckt. Es gibt also ein Störungsbild und Therapeuten, die helfen können.

Wer trägt sich am häufigsten mit dem Gedanken, ein Hochstapler zu sein?

Einige Studien legen nahe, dass Frauen häufiger betroffen sein könnten als Männer. Ich finde diese Beobachtung plausibel, denn man weiß aus Untersuchungen, dass Frauen ihre Fähigkeiten häufig zu niedrig einschätzen. Generell sind oft Menschen betroffen, die in eine neue Lebenssituation und damit in eine neue Vergleichsgruppe geraten: am Beginn des Studiums, beim Übergang in den Job oder auch beim Aufstieg auf der Karriereleiter. Dann kommt der Gedanke hoch: Bisher ist ja alles gut gegangen, aber jetzt werde ich auffliegen.

Wo liegt die Ursache für solche Selbstzweifel?

Häufig sind diese Gedanken erlernt, oft schon im Elternhaus. Man will nicht unbescheiden wirken und macht sich deshalb lieber klein. Irgendwann glaubt man dann selbst daran und baut eine Fassade auf, damit die anderen das nicht merken. Diese Fassade ist so dicht, dass es oft nicht einmal der eigene Chef merkt. Zumindest so lange, bis die Sorgen des vermeintlichen Hochstaplers zu quälend werden und nichts mehr geht.

Was ist die Folge?

Man kann in eine Depression abrutschen. Oder eine soziale Phobie oder Prüfungsangst entwickeln.

Wie vermeiden Chefs und Eltern, dass Menschen Hochstapler-Gedanken überhaupt erst entwickeln?

Wichtig ist es, Erfolge der Person selbst zuzuschreiben, also die eigenen Fähigkeiten zu loben oder die Anstrengung. Misserfolge dagegen sollten veränderbaren Ursachen zugeschrieben werden: weil man dieses Mal nicht gut vorbereitet oder die Aufgabe besonders schwierig war. Auch der genaue Sprachgebrauch ist entscheidend: Wünschen Sie vor einer Aufgabe "Viel Erfolg" und nie "Viel Glück"!

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