Schwere Vorwürfe gegen Gerichtspsychiater:Gutachter lässt sich mit Sex bezahlen

Ein Gerichtspsychiater soll eine suchtkranke Staatsanwältin jahrelang mit Psychopharmaka versorgt haben. Als Gegenleistung soll er intime Treffen verlangt haben. Nun wurde nach SZ-Informationen Anklage gegen ihn erhoben.

Von Christian Rost und Andreas Salch

Ein Münchner Gerichtsgutachter soll einer suchtkranken Staatsanwältin verschreibungspflichtige Medikamente verschafft haben. Als Gegenleistung soll der Psychiater Thomas S. von der Frau intime Treffen verlangt haben. Die Staatsanwaltschaft am Landgericht München II hat nach Informationen der Süddeutschen Zeitung bereits Anklage gegen S. wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses erhoben. Der Psychiater bezeichnete die Vorwürfe als "Witz".

Die Anklage geht davon aus, dass sich die seit Jahren medikamentenabhängige Frau, die bei der Staatsanwaltschaft München I in der Abteilung für politische Strafsachen tätig war, von S. mit Psychopharmaka versorgen ließ. Er habe ihr neben den Arzneimitteln auch Blankorezepte überlassen und ihr möglicherweise dabei geholfen, sich einen eigenen Rezeptblock zu verschaffen, hieß es aus Justizkreisen. Im Gegenzug habe er Sex gefordert. Darauf hat sich die Frau laut Ermittlungen auch eingelassen.

Ein von der Staatsanwältin gefälschtes Rezept entdeckten Vorgesetzte im Jahr 2010 zufällig auf ihrem Schreibtisch. Der Behördenleitung war bereits bekannt, dass bei der Frau eine Suchtproblematik vorliegt, sie war nach Zusammenbrüchen mehrfach in therapeutischer Behandlung. Nach dem Rezeptfund beauftragte der Generalstaatsanwalt die Staatsanwaltschaft München II mit den weiteren Ermittlungen. Die Frau, die zeitweise auch als Richterin am Landgericht gearbeitet hatte, wurde zunächst an eine andere Staatsanwaltschaft und dann in den vorläufigen Ruhestand versetzt. Das Disziplinarverfahren gegen sie ist noch nicht abgeschlossen.

Bei der Durchsuchung ihrer Wohnung hatte sich nicht nur der Verdacht auf Rezeptfälschung erhärtet. Die Frau rechnete die Kosten für die Arzneien überdies bei ihrer Krankenkasse ab. In der Wohnung wurde zudem Kokain gefunden. Letztlich musste sie wegen Urkundenfälschung, Betrugs und eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eine Geldstrafe zahlen. Der Fall kam aber nicht vor Gericht, sondern wurde per Strafbefehl erledigt.

Im Staatsdienst Karriere gemacht

Die Staatsanwältin kannte den Psychiater von ihrer täglichen Arbeit am Strafjustizzentrum. Seit Jahren ist Thomas S. als freier psychiatrischer Sachverständiger am Münchner Landgericht tätig. Zuvor hatte er als Gefängnispsychiater im Staatsdienst Karriere gemacht - und schon als junger Medizinaloberrat bundesweit für Aufsehen gesorgt. Bis 1991 war er Chefarzt des Bezirkskrankenhauses in der Justizvollzugsanstalt Straubing.

Als eine Delegation des "Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe" während einer Deutschlandreise in der berüchtigten JVA Straubing auftauchte, zog sich der leitende Psychiater mit einer mehr als schnoddrigen Äußerung den Zorn des bayerischen Justizministeriums zu. Die Delegationsmitglieder hatten sich über den "schlimmen Ruf" der Psychiatrie in Straubing erstaunt gezeigt. Thomas S. meinte dazu nur, er begrüße diesen Ruf sogar, dieser würde seine Arbeit erleichtern.

Zum 1. Juni 1991 wurde er in die JVA Stadelheim strafversetzt. Doch auch dort musste er gehen: Das Verwaltungsgericht entschied im Jahr 2000, dass er seine Arbeitszeit in der JVA zu gut der Hälfte für nicht genehmigte Gutachter-Tätigkeiten genutzt und damit doppelt kassiert hatte.

Seither arbeitet Thomas S. als freiberuflicher Sachverständiger an verschiedenen Gerichten. Selbst als die Vorwürfe im Zusammenhang mit der Staatsanwältin gegen ihn aufkamen, erhielt der Psychiater auch von Münchner Gerichten noch etliche Gutachteraufträge. Er untersuchte Angeklagte beispielsweise auf ihre Schuldfähigkeit oder Gefährlichkeit. Anders als die Gerichte setzte die Münchner Staatsanwaltschaft Thomas S. auf eine Rote Liste. Laut einer internen Anweisung dürfen an ihn keine Aufträge seitens der Behörde mehr vergegeben werden.

Das Landgericht München II hat bislang noch nicht über die Zulassung der Anklage gegen den Mann entschieden. Sollte es zu einem Prozess kommen, wird dieser voraussichtlich am 11. und 12. November stattfinden. Thomas S. glaubt nicht, dass die Staatsanwaltschaft genügend Beweise gegen ihn in der Hand hat. Die Vorwürfe seien "Unsinn", sagte er am Freitag der SZ, "ich gehe davon aus, dass das Verfahren eingestellt und die Anklage zurückgezogen wird". Die Staatsanwaltschaft indes hält an der Anklage unverändert fest.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: