Viertelfinale gegen Kolumbien:Brasilien nach Sieg im Neymar-Schock

World Cup 2014 - Quarter final - Brazil vs Colombia

Das Ende der WM: Brasiliens Superstar Neymar nach seiner Verletzung im Spiel gegen Kolumbien.

(Foto: dpa)

Die Seleção ringt Kolumbien nieder und steht im Halbfinale gegen Deutschland. Die Freude, dem Druck als Gastgeber wieder standgehalten zu haben, wird jedoch getrübt. Thiago Silva ist gesperrt - und schlimmer noch: Für Superstar Neymar ist die WM vorbei.

Von Peter Burghardt, Brasilia

"Die Champions sind zurück", sangen Brasiliens Fans, als die brasilianische Auswahl am Freitagabend den Deutschen folgte und ins Halbfinale einzog. Im Stadion Castelão gewannen die Gastgeber nach erst gutem Spiel und später einiger Mühe 2:1 gegen Kolumbien, das sich trotz teilweise berauschender Auftritte und seines wunderbaren Torjägers James Rodríguez verabschieden muss. Am Dienstag trifft die Seleção nun in Belo Horizonte auf Deutschlands Elf, das hatten sich viele Sportfreunde so gewünscht, das Endspiel am 13. Juni wird anders als 2002 (damals in Yokohama 2:0 für Brasilien) allerdings nur einer von beiden erreichen.

Das Viertelfinale haben die Brasilianer anders als 2006 und 2010 also überstanden, was weniger dem Angreifer Neymar zu verdanken war als den Abwehrspielern Thiago Silva und David Luiz, ihnen gelangen die Tore; Rodríguez Gegentreffer störte nicht mehr. Getrübt wurde die Freude, dem Druck als WM-Gastgeber wieder mal standgehalten zu haben, jedoch durch die Sperre von Thiago Silva, nach der zweiten gelben Karte im Turnier darf der erfahrene Verteidiger nicht gegen das DFB-Team spielen. Schlimmer noch: Neymar schied zum Schluss nach einem rüden Foul von Juan Zúñiga mit einer Verletzung aus und kam zur Untersuchung sofort ins Krankenhaus. Der Superstar erlitt einer ersten Diagnose zufolge einen Wirbelbruch - die Weltmeisterschaft ist damit für ihn beendet.

Sehr beruhigend ist zumindest der Sieg für Brasiliens Trainer Luiz Felipe Scolari, er hatte für seine Profis in den Tagen zuvor die Psychologin des Verbandes bemüht. Sogar Bonmots von Dichtern und Denkern wie F. Scott Fitzgerald und George Bernhard Shaw unterbreitete der eigenwillige Motivator seiner Belegschaft. Und gleichzeitig legte Scolari alias Felipão selbst nach und versicherte, seine Mannschaft sei weiterhin Favorit auf den Titel. Auch sei dieser James Rodríguez, bisher die Entdeckung der WM, zwar Klasse, die Kolumbianer hätten grandiose Spieler, aber man werde sie deshalb keineswegs in Manndeckung nehmen.

Den Brasilianern war ja von alten Helden wie Zico nach dem glücklichen Sieg gegen Chile im Achtelfinale vorgeworfen worden, sich zu sehr nach den Gegnern zu richten und zu ängstlich zu sein. Selbst Wechsel in seiner Elf nahm er vor, den einen notgedrungen und den anderen freiwillig: Mittelfeldmann Luiz Gustavo war gesperrt, ihn durfte Paulinho vertreten, und statt des schwachen Dani Alves vom FC Barcelona schickte er den Römer Maicon auf die rechte Außenbahn.

Das ließ sich dann besser an als erwartet. Neymar, der bisher ja fast alles hatte richten müssen, schlug von der linken Seite einen Eckstoß in den Strafraum, der Ball flog über Freund und Feind hinweg dem Innenverteidiger Thiago Silva vor die Füße, 1:0 nach sieben Minuten. Wer hätte das gedacht nach der nervenaufreibenden Quälerei in den ersten vier Spielen? Gegen die Chilenen war derselbe Thiago Silva beim Elfmeterschießen im Gras gekniet und hatte zum Himmel gebetet, worauf der rechte Pfosten die Erlösung brachte, diesmal schoss der brasilianische Anführer lieber ein frühes Tor.

Defensive übernahm die Offensive

Das gab Schwung. Maicon schien seine Chance zu nützen, Fernandinho wirbelte, die Hausherren bauten einen unverhofften Druck auf. Hulk scheiterte zweimal am kolumbianischen Torwart David Ospina, Oscars Nachschuss war zu spät, der linke Außenverteidiger Marcelo verfehlte knapp das Ziel. Neymar setzte einen Freistoß aus 18 Metern über die Latte, selbst die zuletzt eher unbeholfene Sturmspitze hatte ein paar gute Szenen. Das hatte wenig mit dem Brasilien aus der Glücksnummer gegen Chile zu tun. "Gutes kollektives Spiel", lobte der Beobachter Ronaldo, "da ist nicht mehr diese Abhängigkeit von Neymar."

Die Kolumbianer dagegen kamen nicht so schön ins Spiel wie beim historischen Erfolg gegen Uruguay. Im Duell der Rückennummern 10 schlug Neymar vor der Pause zwölf gelungene Pässe und James Rodríguez nur acht, eine wirkliche Torchance hatte der mit fünf Treffern beste WM-Schütze da nicht.

Manchmal löst sich so ein Krampf ja plötzlich, der schnelle Treffer kam Brasilien jedenfalls ähnlich wie zuvor den Deutschen gegen Frankreich sehr gelegen. Kolumbiens Coach José Pekerman probierte es bei Wiederbeginn mit Adrián Ramos von Hertha BSC für Víctor Ibarbo, der sich jedoch mit einem Foul einführte. Nach einer Stunde schien der Schlacks Rodríguez die Sache zwar in die Hand nehmen zu wollen mit Pässen, Dribblings, Schüssen und Freistößen, Real Madrid will sich seine Künste bald eine Menge Geld kosten lassen.

Auf einmal zappelte die Kugel im brasilianischen Netz, der kolumbianische Kapitän hatte sie aus einem Gewühl hinein getreten, aber Schiedsrichter Carlos Velasco winkte ab, Abseits, bereits nach der ersten Halbzeit hatten ihn die Kolumbianer im Gang zur Kabine bedrängt. Vor lauter Ärger ließen sie einen Gegenzug zu, den James Rodríguez mit einem Foul stoppte. David Luiz von Chelsea London lief an der Strafraumgrenze an und traf beherzt in den rechten Winkel, 2:0 in der 69. Minute.

Wie aus dem Nichts ein Gegentreffer

Solche Geniestreiche würde man normalerweise von Neymar oder Rodríguez erwarten, aber diesmal übernahm die brasilianische Defensive auch die Offensive. Der Fall schien damit erledigt zu sein, ehe der eingewechselte Stürmer Carlos Bacca vor dem brasilianischen Tor vor Keeper Júlio César von den Beinen geholt wurde und Rodríguez den Strafstoß verwandelte, sein sechster WM-Treffer. 79. Minute, 2:1. Wie aus dem Nichts kam Brasiliens Nervosität zurück und Kolumbiens Energie, für eine Wende reichte das jedoch nicht mehr.

Den Schlusspunkt setzte Juan Zúñiga, der bei einem Zweikampf Neymar hinterrücks ansprang, woraufhin der Jungstar vom Platz getragen werden musste. Das Bangen ist Brasilien ja gewohnt. Es geht weiter.

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