Sprachhilfe:"Sag ich doch!"

Selbst wenn Ausländer die deutsche Sprache fehlerlos beherrschen, ist ihr Akzent oft eine Hürde, etwa auf dem Arbeitsmarkt. Eine neue Software soll ihnen helfen, akzentfrei zu sprechen.

Anouck Vrouwe

"Ich möchte gerne wissen, ob ein ausländischer Akzent abstoßend ist, vor allem für Jungs." Knapp 40 Antworten bekommt die Russlanddeutsche Annie in einem Internetforum auf ihre Frage, die meisten beruhigend - ein russischer Akzent sei sogar sexy.

Sprachhilfe: Deutsch zu lernen ist auch für Russlanddeutsche nicht leicht. Und es akzentfrei zu sprechen schon gar nicht.

Deutsch zu lernen ist auch für Russlanddeutsche nicht leicht. Und es akzentfrei zu sprechen schon gar nicht.

(Foto: Foto: dpa)

Doch die Realität ist härter. Selbst wenn Russlanddeutsche fehlerlos Deutsch sprechen, ist ihr Akzent oft eine Hürde, etwa auf dem Arbeitsmarkt. Nicht nur, weil ein Akzent das Verstehen erschwert, sondern auch, weil osteuropäische Akzente mit negativen Assoziationen besetzt sind.

In Dresden -wo auch viele Deutsche mit einem starken Akzent sprechen- entwickelt das Institut für Akustik und Sprachkommunikation der Universität eine Lehrmethode, die Migranten helfen soll, ihre Aussprachefehler loszuwerden. Das Computerprogramm arbeitet mit Spracherkennung, um den Akzent zu analysieren und gezielt zu verbessern.

"Es ist für die Migranten fast unmöglich, ihren Akzent selbständig loszuwerden, weil sie die Unterschiede in der Aussprache gar nicht hören", sagt Rüdiger Hoffmann, Ingenieur und Leiter der Arbeitsgruppe. "Sie müssen deshalb gezielt üben." Lehrer haben jedoch oft nicht die Zeit, mit jedem Studenten einzeln zu arbeiten. Deshalb entwickelt Hoffmanns Team die Software, um die Sprachschüler zu unterstützen. AZAR wird das Programm genant, ein Kurzwort für "Apparat zur Akzentreduzierung".

Kehle oder Kelle

Der Prototyp ist gerade fertig geworden und wird zum ersten Mal in den Kursen an der Universität benutzt. Die Übungen sind zwar speziell für Russlanddeutsche entwickelt worden, die Methode eignet sich aber für jede Sprache. Dank einer EU-Subvention von 500.000 Euro wird AZAR für Tschechisch, Slowakisch, Polnisch und Englisch weiterentwickelt.

Der Slawist Rainer Jäckel hat bei der Entwicklung eine wichtige Rolle gespielt. Er weiß genau, welche Fehler Russlanddeutsche machen. ,,Für sie ist zum Beispiel die Vokaldauer im Deutschen besonders schwierig." So werden im Russischen längere Vokale nur für die Betonung in einem Satz genutzt, im Deutschen ist die Dauer der Selbstlaute aber auch wichtig für die Bedeutung eines Wortes.

"Deshalb wird in AZAR genau das viel geübt", sagt Jäckel. Er spielt ein Beispiel vor: "Die Kehle, die Kelle", sagt eine Frauenstimme. Dann muss der Sprachschüler der Stimme möglichst genau nachsprechen. Was AZAR von anderen Computerprogrammen unterscheidet, ist ein Feedbacksystem. Das Programm vergleicht die Aufnahme mit der gespeicherten Version und weist auf die Abweichungen hin. Es zeigt für jeden Laut an, wie gut die Aussprache war.

Das hört sich leicht an, aber ein solches Programm zu entwickeln, ist hochkomplex. Jede Stimme ist anders, und auch Hintergrundgeräusche und Sprechgeschwindigkeit dürfen die Bewertung nicht beeinflussen.

Von der Technologie hinter der Oberfläche bemerkt der Benutzer jedoch nichts, wenn er sein N und NG übt, wie in Anna und Engel. Jäckel: "Im Russischen gibt es kein NG, deshalb sprechen Russen Engel wie En-gel aus. Ihr Gehirn ist auch nicht trainiert, den Unterschied zu hören. Wenn ich Engel sage, hören sie ebenfalls En-gel. ,Das habe ich doch gesagt', ist dann die Reaktion."

AZAR zeigt den Russen mit Phonogrammen, dass es hier tatsächlich einen Unterschied gibt. Die Sprache wird dabei in Laute zerlegt und als Graph dargestellt. Eine Animation zeigt gleichzeitig die Zungenbewegung: Bei N stößt die Zunge an den Gaumen, bei NG bleibt sie darunter.

"Die Migranten müssen die Aussprache üben, üben, üben. Irgendwann werden sie den Unterschied dann auch selbst hören", sagt Jäckel. Das Feedback, welches das Programm gibt, ist dabei sehr wichtig, erklärt Projektleiter Oliver Jokisch. Es sei genau wie mit Kindern: Eine positive Bewertung ist für das Gehirn ein kräftiges Stimulans.

"Nicht den richtigen Akzent"

Migrantenkinder lernen oft schnell akzentfrei Deutsch, für ihre Eltern ist das schwieriger. Dafür gibt es einen physiologischen Grund. Die Fähigkeit, für die deutsche Sprache im Gehirn eine neue phonetische Basis zu schaffen, wird schon in jungem Alter wieder verloren. Wer erst als Teenager eine neue Sprache lernt, wird für die zweite Sprache die Basis der Muttersprache benutzen. "Es gibt bei älteren Menschen immer einen Restakzent. Sogar wenn wir ihn nicht mehr hören, können wir den Akzent noch messen", sagt Jäckel.

Das Ziel der Studenten sei aber meistens nicht, akzentfrei zu sprechen. Ein kleiner Akzent sei schließlich kein Problem, er werde oft sogar als charmant empfunden. Die Toleranz für Abweichungen sei aber klein, sagt Jokisch. ",Schon zehn Jahre hier und noch zu faul, richtig zu sprechen' - keiner sagt es, aber das denken viele Menschen. Dabei haben viele Migranten sogar einen kleineren Akzent als manche Deutsche. Sie haben eben nur nicht den richtigen Akzent."

Deshalb hat sich auch die Russin Elena Bauer so viel Mühe gegeben, ihren Akzent loszuwerden, vor allem ihr rollendes R. "Ich wollte eine Stelle und wusste, dass das einfacher würde, wenn ich meine Aussprache verbessere." Zwei Kurse hat sie in Dresden absolviert. Nun klingt ihr abgeschwächter Akzent eher wie Österreichisch.

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