Freihandelsabkommen TTIP:Sturm der Lobbyisten

Lesezeit: 2 min

Von Google bis Agrobusiness: Neue Zahlen zeigen, dass die EU-Unterhändler für den Freihandel fast ausschließlich Wirtschaftslobbyisten trafen. Verbraucher- und Umweltschützer bekamen nur selten die Gelegenheit, im Zentrum der Macht ihre Meinung zum TTIP-Abkommen zu sagen.

Von Jannis Brühl

Den Kampf um die öffentliche Meinung gewinnen die Gegner des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP gerade. Mit ihren lautstarken Kampagnen haben sie die Verhandlungen zwischen USA und EU zu einem Aufreger-Thema gemacht und der EU-Kommission sogar so viel Druck gemacht, dass sie einen besonders umstrittenen Teil der Verhandlungen zwischenzeitlich ausgesetzt hat - den Investitionsschutz, der Unternehmen besondere Klagerechte gegen Staaten einräumt.

Aber nicht die entrüstete Öffentlichkeit führt die Verhandlungen, sondern der EU-Handelskommissar. Der Belgier Karel de Gucht wird von Lobbyisten bestürmt - und besonders aktiv sind Wirtschaftsverbände und Konzerne, die für möglichst unregulierten Handel sind. Dass ihnen in den frühen Phase der Verhandlungen häufiger Zugang zu den Entscheidern gewährt wurde als ihren Gegenspielern von den TTIP-kritischen NGOs oder Gewerkschaften, zeigen nun Zahlen, die die Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) zusammengetragen hat.

CEO hat zwar eine eigene Agenda in Sachen TTIP (de Guchts' Sprecher nennt die Organisation "handels- und business-feindlich"), aber aus ihren mühsam recherchierten Daten ergibt sich zumindest ein Bild davon, wie Lobbyisten in der EU-Generaldirektion für Handel ein- und ausgehen. Die Organisation hat Teilnehmerlisten der Dialogtreffen von Lobbyisten und EU-Kommission gesammelt und zudem Zahlen aus der Kommission eingeholt, mit wem sie sich wie oft zu Vier-Augen-Gesprächen zum Thema TTIP traf. Die Ergebnisse zeigen, wer am meisten Einfluss auf die Verhandlungen zu nehmen versucht:

  • Von den 560 Treffen der für TTIP zuständigen Generaldirektion entfielen demnach 92 Prozent auf Wirtschaftsvertreter. Nur vier Prozent sind Lobbyisten, die CEO als Akteure "im öffentlichen Interesse" bezeichnet - etwa Verbraucher- und Umweltschützer.
  • Am aktivsten sind Lobbyisten der Nahrungsmittel- und Landwirtschaftskonzerne wie Nestlé oder Mondelez, der Konzern hinter der Marke Kraft, sowie von Verbänden wie dem der Milchwirtschaft. 113 Treffen mit dem Untergebenen des Kommissars entfielen auf diese Gruppe, mehr als auf Pharma-, Chemie, Finanz- und Autobranche zusammen. Vor allem die US-Agrarindustrie wirbt dafür, dass die EU das sogenannte Vorsorgeprinzip aufgibt, das in den USA nicht gilt: Es besagt, dass Unternehmen erst selbst die Unbedenklichkeit ihrer Produkte beweisen müssen, bevor diese zugelassen werden. Gerade bei genmanipulierten Nahrungsmitteln oder mit Hormonen hochgezüchtetem Fleisch sind Europäer sehr skeptisch. Die deutsche Regierung und EU-Vertreter beteuern allerdings, dass europäische Lebensmittel- und Umweltstandards auf keinen Fall gesenkt würden.
  • Besonders umtriebig ist außerdem die IT-Branche. Google, Microsoft, Ebay und Deutsche Telekom trafen auffallend oft mit den Beamten zusammen.
  • Die Auswertung zeigt auch die Schwächen der Transparenz in der EU: Mehrere wichtige US-Konzerne und Interessensverbände sind nicht im Lobbyregister der EU vermerkt, in das sich Gruppen seit 2011 eintragen können - freiwillig. Dennoch gehen diese Unternehmen sehr aktiv auf die EU-Kommission zu - unter anderem der Einzelhändler Wal-Mart. Insgesamt sind dem CEO zufolge mehr als 30 Prozent der Lobbygruppen und Unternehmen aus der Privatwirtschaft nicht im Register gemeldet. Auch die US-Handelskammer (Chamber of Commerce), die finanzstärkste Lobbygruppe im Ringen um TTIP, steht nicht im Register.

Dass ihre Daten nur ein eingeschränktes Bild liefern, geben die Aktivisten vom CEO zu ( PDF zu den Methoden der Untersuchung): Denn sie beschränken sich auf den Zeitraum von Januar 2012 bis April 2013, die Vorbereitungsphase der TTIP-Verhandlungen. Damals waren zivilgesellschaftliche Gruppen noch deutlich weniger aktiv als heute, TTIP war noch ein Insider-Thema. Mittlerweile haben wahrscheinlich viele andere Akteure in Gesprächen mitgemischt.

Und noch einen wichtigen Punkt sprechen die CEO-Autoren offen an: Es könne nicht einberechnet werden, wie unterschiedlich effektiv die Treffen seien - ein zweistündiges Gespräch mit Kommissionsmitarbeitern unter vier Augen sei wohl wertvoller als ein Treffen, bei dem andere Lobbyisten mit am Tisch sitzen.

Den kompletten Datensatz des Corporate European Observatory finden Sie hier als Excel-Tabelle.

Auch Süddeutsche.de untersucht derzeit für das Projekt "Die Recherche" das Freihandelsabkommen TTIP. Alle Artikel zum Thema finden Sie auf dieser Übersichtsseite.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: