TV-Serie "Gomorrha" auf Arte:Nach dem Guten sucht man vergeblich

Filmfest München 2014 Marco d'Amore Gomorrha

Einfach nur ein Mensch? Marco d'Amore als Ciro "Immortale".

(Foto: Filmfest München/ oh)

Brutal, mit hoher Geschwindigkeit, viel Action und in HD-Optik: Die TV-Serie "Gomorrha" soll nicht nur die Bösen vorführen, sondern auch die Mechanismen dahinter aufzeigen.

Von Carolin Gasteiger

Ciros Blick wandert zwischen seinem Capo und dem Glas in seiner Hand hin und her. Er überlegt, zögert - und trinkt. Während er noch würgt, legt ihm Don Pietro mit zufriedenem Grinsen die Hand auf die Schulter: "Gut gemacht, Ciro." Von seinem besten Mann verlangt er blindes Vertrauen und bedingungslose Unterwerfung. Ciro hat gehorcht. Und den Urin des Don getrunken.

Die Szene stammt aus Stefano Sollimas Fernsehserie Gomorrha und soll sich tatsächlich zugetragen haben. Sie basiert auf den Recherchen von Roberto Saviano, italienischer Journalist und Autor des gleichnamigen Buches - dem Buch, das sein Leben 2008 radikal verändert hat. Seit seine Enthüllungen über die neapolitanische Camorra erschienen sind, ist der 34-Jährige untergetaucht und bewegt sich nur noch mit Personenschutz in der Öffentlichkeit.

Aber ohne die Mafia kann er nicht mehr, der Kampf gegen sie ist es, was ihm in seinem Leben auf der Flucht bleibt. Aus diesem Grund ist er selbst anwesend, als die ersten beiden Folgen von Gomorrha auf dem Münchner Filmfest im Sommer Premiere feierten. "Es gibt keine Guten in der Serie", sagt er über Sollimas zwölfteilige Fernsehfassung, an der er als Drehbuchautor mitgearbeitet hat. Vielmehr geht es um Mord und Intrigen zum Erhalt der Macht. Brutal, mit hoher Geschwindigkeit, viel Action und in HD-Optik, sodass Kritiker in Gomorrha bereits das italienische Pendant zu The Wire sehen.

Das mag auch an den Szenen liegen, in denen Macht und Reichtum abstruse Formen annehmen. Mal sitzt der Boss zwischen zwei Auftragsmorden auf einem hässlichen Barocksofa Probe, nach dem seine Gattin so lange gesucht hat. Dann fährt Gennaro, der verwöhnte Sohn des Bosses, für seine Auserwählte unerträglich viel Kitsch auf: Zwischen Plattenbauten und Wäscheleinen leuchtet ein Herz auf dem Boden auf, ein Schnulzensänger tritt auf, die Angebete traut ihren Augen kaum und schmilzt dahin. Alltag in der Mafia.

Die Serie ist nach Buch und Matteo Garrones Verfilmung der dritte Aufschlag in der Gomorrha-Reihe; und auch Sollima spart nicht an Brutalität, hier wird schnell erschossen oder befohlen, zu erschießen. Dass sie so erfolgreich ist, verdanken die Macher bedeutender Starthilfe. "Auf den großen Bekanntheitswert von Buch und Film konnten wir aufbauen", sagt Produzentin Gina Gardini auf dem Filmfest. Die Serie, die bereits in 60 Länder verkauft wurde, erreicht in Italien Einschaltquoten von mehr als einer Million Zuschauer pro Folge. "Hier ist es etwas Neues, in eine dunkle Ecke der eigenen Gesellschaft zu reisen", so Giardini.

Harsche Kritik und Festnahmen

Vielleicht muss sich Roberto Saviano deswegen Kritik gefallen lassen: Viele Neapolitaner sähen ihre Würde angegriffen, heißt es in italienischen Medien. In einem offenen Brief wirft der italienische Autor und Schauspieler Peppe Lanzetto Roberto Saviano Profitgier vor. "Du hattest es nicht nötig, immer weiter zu verkaufen", schreibt Lanzetto. Von Saviano erwarte man eher erzählerische Beweise, heißt es in Lanzettos Brief.

Die Dreharbeiten fanden mitten in Scampia statt, einem Viertel Neapels, das die Camorra beherrscht. Angeblich kein Problem für das Projekt: "Es gab nur einen Weg: die Bevölkerung von der Sache zu überzeugen und mit ihr zusammenzuarbeiten", sagt Sollima.

Stefano Sollima, Gina Gardini, Roberto Saviano und Marco d'Amore Gomorrha Münchner Filmfest

Die Macher der TV-Serie "Gomorrha": Stefano Sollima, Gina Gardini, Roberto Saviano und Marco d'Amore auf dem Münchner Filmfest.

(Foto: Agency People Image)

Doch auch in Scampia sind nicht alle plötzlich zu Guten geworden: Im Juli wurden drei mutmaßliche Mafiosi festgenommen, die die Produktionsfirma Cattleya betrogen haben sollen. Laut einem Bericht des italienischen Magazins Panorama hatte Cattleya die Männer angeheuert, um in der Villa des inhaftierten Camorra-Bosses Francesco Gallo drehen zu können. Später habe das Trio Cattleya zu weiteren Zahlungen gezwungen, heißt es. So funktionieren die Geschäfte der Camorra, wie sie auch der Serienprotagonist am Laufen hält.

Marco d'Amore spielt die Hauptfigur. Ciro "l'Immortale", also Ciro "der Unsterbliche", so sein Spitzname, schlingert zwischen seinen Rollen als Familienvater und eiskaltem Killer hin und her. Mal gibt er den unterwürfigen Handlanger des Capo, höflich, dankbar und bescheiden, kurz darauf brüllt er mit verzerrtem Gesicht Killer-Kommandos herum. Oder schießt selbst; das Blut wäscht er später ab. Wenn es um seinen Job geht, ist er nur noch ausführender Arm des Don. Eiskalt, skrupellos - und vielleicht deshalb unsterblich. Über seine Figur Ciro wolle er gar nicht urteilen, sondern einfach nur zeigen, wie ein Mensch sein könne, sagt Schauspieler d'Amore auf dem Filmfest. Und Saviano bestätigt: Den guten Kern suche man bei Ciro vergeblich. Man werde ihn nicht finden. "Das ist das Zeichen der Macht."

Wo Gut und Böse letztlich stehen, soll dabei aber das Publikum entscheiden. "Wir gehen einen Schritt zurück, so dass sich die Zuschauer ihre eigene Meinung bilden können", so Sollima. In den zwölf Episoden bleibe genug Zeit für die Entwicklung der Geschichten, "man kann viel mehr ins Detail gehen", so der Regisseur. Auch Saviano ist wichtig, dass neben den Camorristi auch gezeigt werden könne, wie die Mechanismen der Mafia dahinter funktionieren.

Und in diesen Mechanismen findet einfach nichts Gutes Platz. Gomorrha ist ein weiterer bitterer Blick in die dunkle Ecke der italienischen Gesellschaft. Und nicht nur Italien ist davon betroffen: Auf die Frage eines Reporters, ob in weiteren Staffeln auch Deutschland als Schauplatz dienen könne, antwortet Produzentin Gardini schlicht: "Ja."

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text stammt von Oktober 2014, als Gomorrha auf Sky Atlantic Premiere in Deutschland feierte

Gomorrha, Arte, donnerstags in Doppelfolgen, 21 Uhr

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