Münchner Neueste Nachrichten vom 9. Juli 1914:Des Kaisers Lust am Totschießen

Kaiser Wilhelm II. als Jäger

Kaiser Wilhelm II. posiert vor zwei erlegten Hirschen.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Während der deutsche Kaiser durchs Nordmeer kreuzt, wird seine famose Jagdquote verkündet. Die SZ-Vorgängerzeitung berichtet auch vom britischen Minister Winston Churchill - und erwähnt, wie Österreich einen folgenreichen Schritt ankündigt.

Von Oliver Das Gupta

SZ.de dokumentiert, wie die Münchner Neuesten Nachrichten vor 100 Jahren über den Weg in den Ersten Weltkrieg berichtet haben. Die Tageszeitung war die Vorgängerin der Süddeutschen Zeitung.

Sechs Monate Haft muss Michael Humpelmayer antreten, so steht es in der "kleinen Gerichtschronik" im Lokalteil der Münchner Neuesten Nachrichten vor 100 Jahren.

Das Vergehen des 21-Jährigen: Er hatte im Erdinger Moos (dort, wo sich heute der Münchner Flughafen befindet) nahe des elterlichen Bauernhofes einen Rehbock geschossen - um Wildschäden an der Flora zu mindern, wie Humpelmayer behauptete.

In derselben Ausgabe berichtet die Zeitung ausführlich über die Jagdstatistik von Wilhelm II. für das Jahr 1913. Der deutsche Kaiser habe der Fachpostille Der Weidmann zufolge insgesamt 4006 Stück Wild erlegt, darunter 3185 Fasane, 64 große Sauen und einen Mufflonbock. Die Lust des Kaisers am Abknallen scheint prächtig ausgeprägt zu sein.

Der Kaiser dampft an skandinavischen Gestaden entlang

Denn ebenso ist in der Zeitung aufgeführt, wie viele Tiere seine Majestät in seinem bisherigen Leben schon totgeschossen hat: "Im ganzen hat der Kaiser bisher 73308 Stück Wild zur Strecke gebracht", heißt es da (wie der Monarch damals zu Jagen pflegte, zeigen diese Filmaufnahmen).

Das ist zwar deutlich mehr totes Getier, als der Bauernbursche Humpelmayer wohl jemals in seinem Leben zu sehen bekam. Aber damals dürfen eben vor allem Majestäten, Hoheiten und Durchlauchte nach Belieben ballern, nur nicht das gemeine Volk.

Einer, der besonders viel und gerne Tierisches tötete, war ein Kumpel des deutschen Kaisers, der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand. Der hatte sogar mehr als 270000 Abschüsse zu verzeichnen, bevor ihn in Sarajevo selbst eine Kugel traf (hier mehr zur Jagdlust des Erzherzogs).

Bald zwei Wochen sind damals, am 9. Juli 1914, seit dem Attentat auf Franz Ferdinand und seine Gemahlin vergangen. Wilhelm dampfte auf seiner Nordlandfahrt an skandinavischen Gestaden entlang mit Kurs auf Bergen. "An Bord ist alles wohl", heißt es in den Münchner Neuesten Nachrichten.

Urlaub hätte der bayerische König Ludwig III. wohl auch gerne, doch er bereist in diesen Tagen noch sein Königreich. Nachdem in Würzburg die angeblich vom katholischen König gemiedenen Lutheraner nach wie vor zürnen, hat er nun eine entspanntere Visite im Oberland absolviert.

In Starnberg eröffnet der vollbärtige Wittelsbacher das Museum für den Würmseegau und erhält Ovationen seiner Untertanen. Das Museum gibt es nach wie vor, dem Monarchen und seinen Nachkommen weinen die Bayern heute weniger nach. Sie sind stolz auf ihren Freistaat, der 1918 von Kurt Eisner ausgerufen wurde.

Ob viele Bayern heute noch wissen, dass Bayerns erster Ministerpräsident aus einer jüdischen Familie, beheimatet in Berlin, stammte, als Journalist arbeitete und linker Sozialdemokrat war?

Wien kündigt "diplomatische Intervention" an

Titelseite der Münchner Neuesten Nachrichten vom 9. Juli 1914

Titelseite der Münchner Neuesten Nachrichten vom 9. Juli 1914

(Foto: Oliver Das Gupta)

Immerhin kennen die Zeitungsleser vor 100 Jahren schon den Namen Winston Churchill. Der spätere britische Premier war damals Erster Lord der Admiralität - ein Titel für den Marineminister (hier ein Foto von Churchill mit Kaiser Wilhelm II. von 1906).

Churchill habe im März britische Kauffahrtschiffe bewaffnen lassen, um "im Kriegsfalle den Angriffen feindlicher Hilfskreuzer zu begegnen", heißt es im ausführlichen Text der Zeitung.

Aus Österreich kommt die Nachricht, dass die Führung in Wien eine "diplomatische Intervention" in Belgrad wegen des Sarajevo-Attentats anstrebt. Am Vortag schien noch das Gegenteil der Fall zu sein.

Nun heißt es, die kommende Intervention solle "zur Beförderung der Untersuchung in Serbien" beitragen. Man erwarte die Unterstützung der serbischen Führung.

Diese eher harmlos wirkende "Intervention" sollte sich einige Tage später als drastisches Ultimatum an Serbien entpuppen, das den Ersten Weltkrieg einläuten wird.

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