John de Mol und sein "Utopia":Stall der Stunde

John de Mol und sein "Utopia": John de Mol, 59, zählt zu den erfolgreichsten TV-Produzenten Europas.

John de Mol, 59, zählt zu den erfolgreichsten TV-Produzenten Europas.

(Foto: oh)

John de Mol weiß, wie man Stroh zu Gold macht. Nun sperrt er 15 Menschen mit Kühen und Hühnern ein, bis Jahresende sollen sie eine neue Gesellschaft errichten. Eine Begegnung mit dem Macher von "Utopia".

Von Claudia Fromme

Wie eine andere große Geschichte beginnt auch diese in einem Viehstall. Auch hier irren Menschen in einer Winternacht umher, um eine Bleibe zu finden. Es sind nicht Ochs und Esel, die das Stroh wärmen, aber zwei Kühe und 25 Hühner. Und auch hier geht es um eine bessere Gesellschaft. Irgendwie jedenfalls.

Laren in den Niederlanden. Birken rascheln im Wind, Lärchen wachsen hoch in den Himmel über der offenen Brache. Flecktarn und Stacheldrahtrollen säumen drei Meter hohe Zäune. Wollte man eine Geisel verstecken, wäre das hier wohl ein guter Ort. Ein stillgelegtes Militärgelände im Nirgendwo, so laut schreien könnte man gar nicht, als dass einer das hören könnte.

Aber eigentlich muss man nur flüstern.

In den Bäumen hängen 360-Grad-Kameras und Mikrofone, gesteuert aus einer Baracke heraus, in der Menschen Tag und Nacht vor Bildschirmen sitzen. Hinter den Zäunen dösen 15 Leute in der Mittagssonne. Die meisten tragen sehr kurze Hosen und bare Oberkörper, was eine Million Niederländer im TV verfolgen und im Internet wohlwollend kommentieren.

Irgendwann schon einmal da gewesen, oder?

Wenn es um Kameras, die Niederlande und TV-Geiseln geht, hat das immer mit John de Mol zu tun. Gut 40 Jahre nach George Orwells "1984" und 14 Jahre vor dem NSA-Überwachungsskandal sperrte der Fernsehproduzent 1990 Menschen in einen Container und filmte sie rund um die Uhr, zur Erheiterung der Fernsehzuschauer, zum Entsetzen der Medienwächter. Big Brother hat John de Mol reich gemacht.

An Tag 56 tritt Nicoline in Kuhscheiße

Utopia heißt sein neues Projekt. Dafür sind in einer frostigen Januarnacht 15 Menschen in Skianzügen in eine riesige Bretterbude nebst Kühen und Hühnern eingezogen. Alle paar Wochen fliegt einer raus, ein neuer kommt rein. Bei Bezug gab es einen Wasser- und Stromanschluss, einen Tresor mit 10 000 Euro, ein Mobiltelefon mit 25 Euro Guthaben, keine Heizung, keine Möbel, keine Toilette, aber den Auftrag, bis Silvester die "ideale Gesellschaft" zu entwickeln. Gerade haben sie Bergfest gefeiert.

An Tag 26 spielen die Bewohner "Was bin ich?" An Tag 32 duscht Aike mit Ruud. An Tag 56 tritt Nicoline in Kuhscheiße. An Tag 103 kuscheln Billy und Ruud. An Tag 113 suhlen sich alle im Dreck beim Schlammcatchen. An Tag 131 schlägt einer vor, sich für den Playboy auszuziehen. An Tag 137 gibt es eine Wrestlingshow. An Tag 190 baut ein Kammerjäger Kakerlakenfallen auf. Und immer wieder zwischendurch fragt einer: "Was soll ich hier eigentlich?"

Reicht man die Frage an John de Mol, 59, weiter, presst er die Lippen zusammen. Er sitzt an einem Konferenztisch in einer alten Militärbaracke, nur ein paar Meter vom Utopia-Gelände entfernt. Er ist gewohnt braun gebrannt, sein weißes Oberhemd trägt er zwei Knopf offen. Geht es bei Utopia denn wirklich um eine "neue Gesellschaft"? Man merkt ihm an, dass er sie hasst, diese satte, bürgerliche Frage, ob das okay ist, was er da in Laren treibt, eine Dreiviertelstunde von Amsterdam entfernt. Und wenn es okay ist, ob es nicht nur der Aufguss seiner Goldgrube Big Brother ist, der Fernseh-Peepshow.

"Man kann Utopia nicht mit Big Brother vergleichen", sagt John de Mol. Sein neues Projekt sei ein "soziales Experiment", das unter anderen Bedingungen ablaufe. "Es gibt keine Spiele, keine Show, keine Aufgaben", sagt er. Als Fernsehmacher habe er keinen Einfluss darauf, was drinnen passiere. "Es ist auch für uns ein Experiment." Die Bewohner müssten sich selbst organisieren, ihre Betten zimmern, ihr Essen anbauen, Geschäfte treiben mit der Welt draußen, nur zu Freunden und zur Familie dürfen sie keinen Kontakt haben. "Es ist wie eine Soap, jeden Tag lernt man die Menschen besser kennen", sagt John de Mol. Am Tag vor dem Treffen mit ihm hat man etwa gelernt, dass Bewohner Dennis seine Wut nicht im Zaum hat: Er hat einem anderen Utopisten eins auf die Nuss gehauen. "Auch im echten Leben gibt es Kriege, warum sollte das bei Utopia anders sein?", sagt de Mol.

Es gibt keine Frage, auf die der Fernsehproduzent keine Antwort hat. Vielleicht juckt ihn Kritik auch einfach nicht. Der sehr schräge Vogel Liberace sagte einmal: Sollen die Leute doch über mich lästern, ich lach' mich den ganzen Weg zur Bank darüber kaputt. Forbes zählt John de Mol zu den 1000 reichsten Menschen der Welt, sein Vermögen soll zwei Milliarden Euro betragen.

"Ich mache Programme für Millionen"

John de Mol, Sohn einer Rundfunkmitarbeiterin und eines Schlagersängers, denkt immer groß, auch, weil er einer der größten Player in der Fernsehunterhaltung in Europa ist. "Ich mache Programme für Millionen, alles andere interessiert mich nicht", sagt er. Der Niederländer ist seit 30 Jahren im Geschäft, denkt in Märkten, in Superlativen. Vorbild für Big Brother soll George Orwell sein, Utopia soll an Thomas Morus und seine Idee von der idealen Gesellschaft erinnern, die er 1516 formulierte. Drunter geht es bei dem Produzenten nie.

Während Utopia als das neue große Ding auf Fernsehmessen verdealt wird, entwickelt sein Erfinder Dutzende neue Formate. Welche? "Abwarten", sagt John de Mol. Das Fundament seines Erfolgs liegt in den Neunzigern, als er bei der Showfabrik Endemol das Fließband anwarf. Er hatte die Idee, seine Schwester Linda de Mol das Gesicht. Ihre Traumhochzeit war eine der beliebtesten TV-Shows damals, elf Millionen Zuschauer sahen hierzulande zu. Das sind Quoten, bei denen Tatort-Macher heute Sekt öffnen.

Die Traumhochzeit hat John de Mol reich gemacht, Big Brother, die Zockershow Deal or no Deal, vor allem aber The Voice, die Talentshow, bei der die Jury lange nur die Stimme der Kandidaten hört. Finanziell sei es das erfolgreichste Format, das er je gemacht hat, sagt John de Mol. Er verkaufte es in 50 Länder, entwickelt in seiner Produktionsfirma Talpa, die er 2005 gegründet hat.

Utopia

Fast 15 Jahre nach Big Brother gibt es mit Utopia einen neuen TV-Knast.

(Foto: Talpa)

Den Vorläufer Endemol verkaufte er im Jahr 2000 mit seinem damaligen Geschäftspartner Joop van den Ende für 5,5 Milliarden Euro an Telefonica. Er blieb dort immer mal mehr, mal weniger über Investmentfirmen im Spiel. Gerade aber hat er ein Bietergefecht gegen einen US-Investor verloren. Ist Endemol also Geschichte für ihn? Er habe damit nichts mehr zu tun. "Es ist wie ein Kind, das erwachsen wird, und das man entlässt", sagt er.

Anderes Thema, bitte. Vor dem Fenster rumpelt etwas, John de Mol schaut irritiert hoch, auf dem Militärgelände ist es außerhalb der Utopia-Kommune sehr still, auch weil alle Mitarbeiter wissen, dass die Mikrofone sehr empfindlich sind. Die Utopisten hatten gerade Besuch. Eine sehr stark geschminkte Frau in einem sehr engen T-Shirt und ihre ähnlich aufgedonnerte Tochter fahren mit einem Bulli ins Internetbild, kaufen ein schlecht gemaltes Bild von einem schlecht frisierten Bewohner. Auch so kommt Geld rein. Im Internet sind sie fünf Minuten lang zu sehen, im Fernsehen zehn Sekunden. Beide schauen sehr zufrieden aus. Fast hat man den Eindruck, dass die Welt draußen die Kameras noch viel lieber hat als die Bewohner.

Seit Utopia läuft, schauen jeden Abend bis zu einer Million Zuschauer den Zusammenschnitt beim Sender SBS 6, was bei 16 Millionen Niederländern beachtlich ist. John de Mol hat die Show in die USA, die Türkei, nach Rumänien und Kanada verkauft. Im Frühjahr startet sie in Deutschland. Bei Sat 1 soll damit der maue Vorabend aufgemöbelt werden. Derzeit wird ein Grundstück für den Freiluftknast gesucht, Areale in der Nähe von Köln und Berlin sind im Gespräch, im Herbst startet das Casting, der Geldtresor, den die Bewohner vorfinden werden, soll in Deutschland leerer sein als in den Niederlanden mit seinen 10 000 Euro. "Mit weniger Geld wird es spannender", sagt John de Mol. Mehr gelangt nicht nach draußen, auch weil er das nicht will. Er vergibt Lizenzen mit ordnerdicken Regeln.

Blickt man auf ein halbes Jahr Utopia zurück, hat man nackte Haut gesehen, es wurde geduscht, gepöbelt, geraucht, gekocht, gebaut. Kann man als ideale Gesellschaft sehen, muss man aber nicht. Eigentlich geht es bei aller biblischen Annoncierung doch einfach nur um Unterhaltungsfernsehen.

Um Geld geht es nicht mehr

Utopia ist dabei vor allem eine Macher-Soap. Beim Einzug haben die Bewohner - vom Landstreicher mit echten Visionen bis zur Masseurin, die so auffällig oft singt, dass sie wohl auf einen Plattenvertrag hofft - nichts außer der Bretterbude, Stroh und einem matschigen Acker vorgefunden. Jetzt gibt es eine Einbauküche, einen Computer, über den die Bewohner Handel treiben (aber durch einen Filter nichts über Utopia lesen oder Mails mit Familie oder Freunden austauschen können), ein Gewächshaus, eine Blockhütte, eine Hüpfburg. Schaut man in den Livestream im Internet, schraubt gerade immer einer irgendeine Paneele an die Wand oder betätigt eine Kreissäge. Es ergibt sehr viel Sinn, dass der Baumarkt Hornbach Hauptsponsor der Show ist und Schreiner und Installateure besonders große Chancen haben, in die Dorf-WG gewählt zu werden.

Bei Big Brother bekam der Sieger eine Million Euro. Bei Utopia hat John de Mol bislang keinen Gewinn angekündigt. Um Geld gehe es heute sowieso nicht mehr, die Grenze sei schon zu sehr nach oben verschoben. "Was soll denn noch kommen?", fragt er. 100 Millionen, das wäre vielleicht eine Größe. Für ein wenig Ruhm machten die Menschen alles, sagt John de Mol. "Es gibt keine Tabus mehr." Um Menschen heute im Fernsehen noch zu überraschen, müsse man ganz neu denken. Er muss es wissen. Nicht nur Big Brother hat er erfunden, sondern auch De Gouden Kooi, eine Realityshow, bei der derjenige eine Villa gewann, der es am längsten darin aushielt. In der ersten Staffel kroch Finalist Brian nach 607 Tagen ermattet ins Freie, Mitbewohner zerschlugen Kameras, prügelten sich und ließen Prostituierte kommen. In De Bus saßen elf Leute vier Monate lang in einem Doppeldeckerbus, der quer durch Holland gurkte. Wer den Bus verließ, hatte verloren.

Angesichts dieser Art von Reality-Shows ist der Aufbau einer besseren Gesellschaft oder auch nur einer Einbauküche vor Kameras vielleicht das Krasseste, was John de Mol je entwickelt hat. Eine Geburt im Stall wird es übrigens auch in dieser Geschichte geben. Die Kuh, die inzwischen Pia heißt, ist trächtig. Der Tierarzt hat den Geburtstermin für diesen Samstag errechnet.

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