Patientenverfügung:Denken an Extremsituationen

Eine Patientenverfügung aufzusetzen heißt, sich Schreckliches auszumalen: Stummes Ausgeliefertsein in schwerster Krankheit, Entscheidungen über Leben und Tod nicht mehr selbst treffen zu können. Muss das sein? Hält man das aus? Unsere Autorin hat sich persönliche Fragen gestellt - und Antworten bei Experten gesucht.

Von Eva Dignös

Es kann ganz schnell gehen: Ein verheerender Unfall oder eine plötzliche Krankheit rauben dem Menschen die Fähigkeit, über die eigene medizinische Behandlung zu entscheiden; vielleicht sogar darüber, ob er überhaupt noch behandelt werden oder lieber sterben will. In solchen Situationen soll die Patientenverfügung Klarheit über den Willen des Patienten bringen. Doch mit kühlem Kopf Extremsituationen durchzuspielen, ist schwer. Über die Hürden und wie man sie überwindet.

Eine Patientenverfügung als gesunder Mensch abfassen - wie soll das gehen? Wie soll ich heute schon festlegen, was im Wachkoma mit mir passieren soll, bei einer Demenz oder im Endstadium von Krebs? Ich weiß doch überhaupt nicht, wie sich eine solche Situation anfühlen wird. Ob ich dann sterben will oder weiterleben?

"Es kann hilfreich sein, sich mit Fallgeschichten auseinanderzusetzen", sagt der Medizinethiker Arnd May vom Zentrum für Angewandte Ethik in Recklinghausen. Solche Texte schildern, welche Konsequenzen beispielsweise eine Ernährung mit der Magensonde haben kann und werfen die Frage auf: Kann ich mir diese Konsequenzen für mich vorstellen?

Ja, was passiert mit mir, wenn ich nicht mehr künstlich ernährt werde? Muss ich dann qualvoll verhungern? Oder quälende Atemnot ertragen, wenn bei einer Lungenentzündung keine Antibiotika gegeben werden?

Aus solchen Gedanken spricht die Urangst vor einem qualvollen Tod, wenn die lebensverlängernden Maßnahmen eingestellt werden. "Doch natürlich werden weiterhin die Symptome gelindert", betont Arnd May. Niemanden "in quälende Zustände laufen zu lassen", sei ja gerade der Ansatz der Palliativmedizin.

Und dennoch. Was ist wenn ich mich heute irre und dann später im Ernstfall alles ganz anders aussieht?

"Eines darf man nicht vergessen", sagt Claudia Bausewein, Palliativmedizinerin an der Münchner LMU: "So lange der Patient selbst entscheiden kann, gilt sein aktueller Wille. Und der kann absolut entgegengesetzt zur Patientenverfügung sein. Die Patientenverfügung tritt erst dann in Kraft, wenn der Patient nicht mehr entscheidungsfähig ist". Sie kann außerdem jederzeit widerrufen werden - auch mündlich.

Dennoch raten alle Experten dazu, sich beim Abfassen beraten zu lassen: "Sie kaufen auch kein Haus ohne Notar", warnt Claudia Bausewein. "Viele Patientenverfügungen sind zu vage", erlebt der Arzt und Medizinethiker Ralf Jox von der LMU München beispielsweise immer wieder. Formulierungen wie "Ich möchte ein menschenwürdiges Leben" sind im Ernstfall weitgehend nutzlos, wenn nicht ganz klar gemacht wird, was der Patient als menschenwürdig empfindet.

Aber will der Arzt überhaupt wissen, was ich möchte? Wie ich mir als medizinischer Laie meine Behandlung vorstelle; welche persönlichen Werte ich habe. Und hält er sich an die Verfügung?

"Wir haben nicht mehr den Hausarzt, der uns von der Wiege bis zur Bahre behandelt, sondern wir werden in großen Kliniken mit Hunderten Spezialisten behandeln, die uns nicht näher kennen. Deshalb benötigen wir Hilfsmittel wie die Patientenverfügung", so Jox. Seine Erfahrung lautet: "Ärzte erfahren es überwiegend als hilfreich, wenn eine Patientenverfügung vorliegt". Sonja Hecker, Geschäftsführerin der Deutschen Vereinigung für Vorsorge- und Betreuungsrecht sieht es ähnlich: "Die Patientenverfügung hat sich bewährt". Der Arzt ist grundsätzlich an den Willen des Patienten gebunden.

Verlange ich meinen Angehörigen da nicht ganz schön etwas ab? Wenn ich mein Leben nicht mehr für lebenswert halte und lieber sterben möchte? Oder wenn ich möchte, dass alles getan wird, um mein Leben zu verlängern - sie aber das Gefühl haben, dass ich leide? Und sie diesen Willen durchsetzen müssen?

"Am schwierigsten wird es immer dann, wenn mit den Angehörigen nicht gesprochen wurde", sagt Anwältin Hecker. Das "Allerwichtigste" ist auch für Mediziner Jox das Gespräch mit den vertrauten Menschen. Sie sollten wissen, wie der Patient zu Fragen der Lebensverlängerung und des Sterbens steht - und wo die Patientenverfügung aufbewahrt wird. Denn am Ende ist es manchmal banale Gedankenlosigkeit, die all die vielen tiefen Gedanken der Verfügung obsolet macht: "Viele Patientenverfügungen liegen im Bedarfsfall nicht vor", sagt Jox. Weil niemand weiß, dass es sie gibt oder wo sie lagern.

Alles was Sie zum Erstellen einer Patientenverfügung wissen müssen, erfahren Sie in unserem Ratgeber.

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