Nördlicher Gazastreifen:Tausende fliehen vor neuen Bombardements

Nördlicher Gazastreifen: Im Gazastreifen sind Tausende auf der Flucht.

Im Gazastreifen sind Tausende auf der Flucht.

(Foto: AP)

Sie sollen ihre Häuser so bald wie möglich verlassen: Das israelische Militär hat Bewohner im Norden des Gazastreifens aufgefordert, ihre Wohnungen zu räumen - wer sich nicht daran halte, gefährde sein Leben. Geplant sind neue Attacken gegen die Hamas.

  • Tausende Menschen sind im nördlichen Gazastreifen auf der Flucht.
  • Das israelische Militär hat die Bewohner aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen.
  • Israelische Marine-Soldaten haben eine Hamas-Stellung angegriffen, es kam zum ersten öffentlich bekannten Bodengefecht seit der Militäroffensive Israels.

Warnung vor neuen Attacken

Tausende Menschen sind im nördlichen Gazastreifen auf der Flucht. Das israelische Militär hatte die Bewohner des Gebiets aufgerufen, ihre Häuser bis zum Mittag zu verlassen - viele sind dieser Warnung gefolgt.

Die BBC berichtet, bisher hätten mehr als 4000 Menschen Zuflucht bei den Stützpunkten des UN-Hilfswerkes UNRWA (The United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees) gesucht. Hunderte Palästinenser, die zwei Staatsbürgerschaften besitzen, verlassen dem Bericht zufolge den Gazastreifen zudem über den Grenzgang Erez in Richtung Israel.

Bereits am späten Samstagabend hatte die Armee die Bevölkerung dazu aufgefordert, zur eigenen Sicherheit die Gebäude zu räumen. Am Sonntagmorgen erneuerte sie diese Forderung noch einmal: "Diese Operation wird zeitlich begrenzt sein, wer sich nicht an unsere Anweisungen hält, gefährdet sein Leben und das seiner Familie", sagte ein Sprecher. In der Stadt Beit Lahija seien Flugblätter abgeworfen worden, um die Bewohner vor den Einsätzen zu warnen, hieß es von Seiten des Militärs. Laut einem Bericht des Militärradios sind "Angriffe in bisher nicht gekanntem Ausmaß geplant".

Beit Lahija liegt im Norden des Gazastreifens, von wo nach Angaben Israels die große Mehrheit der Raketen abgefeuert werden. Beobachtern zufolge könnte die Warnung auf eine baldige schwere Angriffswelle hindeuten. Seit dem Start der Offensive gegen die islamistische Hamas am Dienstag hat die Armee nach eigenen Angaben mehr als 1300 Ziele im Gazastreifen bombardiert.

Erstes Gefecht am Boden

Am Sonntag kam es zum ersten öffentlich bekannten Bodengefecht seit Beginn der israelischen Offensive. Bisher war der Kampf von Seiten der israelischen Armee mit Luftschlägen und von Seiten der Hamas mit Raketenbeschuss bestritten worden. Nun haben sich israelische Kommandotruppen der Marine erstmals eine Schießerei am Boden mit der radikal-islamischen Hamas geliefert.

Das israelische Militär erklärte, die Marine-Soldaten hätten ein Ziel im Norden Gazas angegriffen, von dem aus wiederholt Raketen auf Israel abgefeuert worden seien. Die Soldaten seien beschossen worden und hätten das Feuer erwidert. Vier Soldaten seien leicht verletzt worden, die Abschussanlage wurde einem Bericht der Streitkräfte zufolge zerstört.

Die Hamas allerdings widersprach dieser Darstellung und gab ihrerseits an, man hätte den israelischen Angriff erfolgreich abwehren können. Die Soldaten hätten erst gar nicht landen können. Außerdem hieß es von Seiten der Hamas, drei ihrer Kämpfer seien im Gefecht getötet worden. Der Strand, an dem die Schießerei stattfand, liegt im nordwestlichen Gazastreifen.

Weitere Tote durch Luftangriffe

Bei einem israelischen Luftangriff in der Stadt Gaza starben am Samstagabend 18 Menschen und 50 weitere wurden verletzt. Unter den Toten war nach Angaben von Sanitätern auch der Polizeikommandeur des Gazastreifens. Der Leiter der Rettungskräfte im Gazastreifen erklärte später dagegen, der Polizeichef lebe noch, sei aber schwer verletzt. Allein am Samstag wurden palästinensischen Angaben zufolge insgesamt 52 Menschen bei israelischen Luftangriffen getötet. Damit wurde der Samstag zum blutigsten Tag seit Beginn der israelischen Luftoffensive in der Nacht zum vergangenen Dienstag. Innerhalb der vergangenen fünf Tage sind palästinensischen Angaben nach bisher mehr als 160 Palästinenser ums Leben gekommen.

Bodenoffensive noch immer eine Option

Der israelische Verteidigungsminister Mosche Jaalon sagte Medienberichten zufolge, Israel bereite sich auf weitere "lange Tage des Kämpfens" vor. Israel will nach den Worten von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu so lange weiter die Hamas-Kämpfer und ihre Stellungen im Gazastreifen angreifen, bis die Islamisten keine Raketen mehr Richtung Israel abfeuern. Die israelische Regierung hat zudem wiederholt erklärt, dass eine Bodenoffensive gegen die militante Hamas noch immer eine Option sei. Es seien bereits 20 000 Reservisten mobilisiert worden.

Die Hamas, die im Gazastreifen das Sagen hat, hat ihrerseits Hunderte Raketen auf Israel abgeschossen. Sie schlugen tiefer im Land ein als je zuvor. Auch am Samstag heulten die Alarmsirenen in Israel. Die meisten Raketen werden allerdings abgefangen oder treffen in unbewohntem Gebiet auf. Auf israelischer Seite gab es deshalb bisher keine Toten.

Treffen der Außenminister am Rande der Atomgespräche in Wien

Am Sonntag treffen die Außenminister Deutschlands, der USA, Großbritanniens und Frankreichs am Rande der Atomgespräche in Wien zusammen, um Möglichkeiten für eine Waffenruhe zu erkunden. Der britische Außenminister William Hague erklärte, es sei dringend "gemeinsames, internationales Handeln" gefragt. Ägypten müsse weiter eine aktive Rolle übernehmen. Zuvor hatte Hague mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und dem israelischen Außenminister Avigdor Lieberman gesprochen. Einem Bericht der Bild am Sonntag zufolge reist der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Montag und Dienstag in den Nahen Osten, um ebenfalls mit Abbas sowie Ministerpräsident Netanjahu zu sprechen. Die Zeitung beruft sich dabei auf Regierungskreise.

Krisensitzung der Arabischen Liga

Die Arabische Liga berief für Montag eine Krisensitzung in Kairo ein, Kuwait hatte das Treffen beantragt. Auch die 15 Mitglieder des UN-Sicherheitsrats äußerten sich nach einer Sitzung am Samstag in New York extrem besorgt über die Eskalation der Gewalt und forderten eine Waffenruhe.

Auslöser der Gewalt

Auslöser der jüngsten Eskalation der Gewalt waren die Entführung und Ermordung von drei israelischen Teenagern und der mutmaßliche Rachemord an einem palästinensischen Jungen. Eine 2012 vereinbarte Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas, die seit 2007 im Gazastreifen herrscht, wurde daraufhin endgültig bedeutungslos.

Linktipps:

  • Die Ereignisse vom Vortag hier im Überblick.
  • Zerfetzte Welt: eine Reportage aus dem Gaza-Streifen von SZ-Korrespondent Peter Münch.
  • "Selbst Hunde lassen wir nicht vor die Tür": Protokolle aus Gaza und Israel, aufgezeichnet von SZ.de-Autorin Antonie Rietzschel.
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