WM-Partys in Berlin und München:Sinfonie des Feierns

World Cup 2014 - Fans Berlin

Bis tief in die Nacht feiern die deutschen Fans das 1:0 gegen Argentinien.

(Foto: dpa)

Ein kollektiver Jubelschrei durchbricht die Anspannung. Berlin versinkt in einer rauschhaften Sinfonie aus Chören, Knallern und Hupen - in München fallen sich Menschen in die Arme. Szenen der Weltmeisterschaft.

Von Lena Jakat, Berlin, und Christoph Meyer, München

Der Sound dieses WM-Titels ist kein schöner. Er ist brachial, ein Grölen aus Zehntausenden heiseren Kehlen. Er ist kathartisch, in ihm liegt all die Energie, die sich in den 112 Spielminuten zuvor aufgestaut hatte. Er ist ein vielstimmiges Konzert aus Tröten, Singen, Johlen, Hupen, Böllern, Rufen, Motorjaulen.

"Hier singt ja keiner", hatte sich der Ire im Deutschlandtrikot in der Menschenmenge vor dem Brandenburger Tor zuvor beschwert, als der vierte Stern noch eine Hoffnung war. Er hatte recht: Die vor Spielbeginn stundenlang - viele harrten ja schon seit dem Nachmittag auf der Straße des 17. Juni aus und hatten nichts anderes zu tun - geübten Fangesänge waren mit jeder Spielminute leiser geworden und schließlich ganz verstummt. Die gesamte Konzentration von 200 000 Fans war ausschließlich auf die Leinwände und den darauf zu sehenden Rasen gerichtet.

Als dann Götze den Ball ins Tor zirkelt, bricht sich die Anspannung in einem einzigen großen Schrei Bahn. Paare küssen sich, Fremde fallen sich in die Arme. Dieses Gefühl, das Gefühl im Jubel der Menge aufzugehen, ist es wohl, was Menschen wie die Jungs aus Düsseldorf bewegt, um fünf Uhr morgens 560 Kilometer hierher und noch in der Nacht nach dem Spiel 560 Kilometer zurück zu fahren. Kollektiver Taumel. Die verbleibenden Minuten des WM-Endspiels versinken in Olé-olé-Chören, mit Schlusspfiff gehen sie über in ein inbrünstiges "We are the Champions". Staatstragender Triumph aus Zehntausenden Seelen. Die Fanmeile, ein Freudenchor.

Auch in München ist erst nur ein dumpfes Grollen zu hören, dann schwillt das Jubelgeschrei Tausender Fans auf der Leopoldstraße zu einem ohrenbetäubenden Lärm an. Nach Götzes Tor fällt eine zentnerschwere Last von ihnen ab. Sie rennen wild durcheinander, schreien, fallen sich um den Hals. Von allen Seiten kommen die Menschen jetzt in die Leopoldstraße, die wegen des großen Andrangs schon viel früher für den Autoverkehr gesperrt werden musste als geplant.

Bald ist es so eng, dass man kaum noch einen Schritt vorwärts kommt. Dicke Rauchschwaden steigen auf, weil inmitten der Menge bengalische Feuer gezündet werden. Das taucht die Fahnen und die feiernden Menschen in ein rotes Licht. Von der Münchner Freiheit bis zum Odeonsplatz reicht die Fanmeile schließlich, auf die noch lange nach Mitternacht noch immer Menschen strömen. Mehrere Zehntausend schätzt die Polizei.

Am Siegestor hält jemand eine mannshohe Pappmaschee-Replik der WM-Trophäe in die Höhe - er wird gefeiert als sei er Philipp Lahm persönlich. "Wir sind Weltmeister, mein Gott, zum ersten Mal in meinem Leben", ruft eine junge Frau einem wildfremden Mann entgegen und umarmt ihn. Am Geschwister-Scholl-Platz planschen die Fans inzwischen im Springbrunnen. Und vor der Ludwigskirche spielt ein Trompeterduo "Samba de Janeiro" - zur großen Freude der umstehenden Fans, die dazu tanzen. Irgendjemand hat dann noch eine richtige Feuerwerkbatterie aufgetrieben und schießt sie in den Nachthimmel.

Ganz anders die Szenen in Berlin: Während etliche nach dem Spiel erst in Richtung Brandenburger Tor rennen, mit wehenden Fahnen, Tröten und Textilblüten im Haar, steigt alles, was noch fahren kann, ins Auto. Das hundert-, tausendfache Hupen legt sich wie ein dicker Teppich unter die Jubelschreie der Menschen, die sich mit flatternden Fahnen aus offenen Autofenstern recken. Am Potsdamer Platz begrüßt eine jubelnde Menge die ersten Kolonnen. An der roten Ampel steigen die Corso-Fahrer aus und tanzen zwischen den Autos. Es knallt. Über dem Brandenburger Tor malt ein Feuerwerk goldene Sterne in den Himmel.

Der Jubel stinkt nach Schwarzpulver

Der größte Autocorso der Stadt, hieß es schon vorher, würde sich rund um den Kurfürstendamm im Westen der Hauptstadt sammeln. Tatsächlich haben sich an der Ecke Tauentzien- /Nürnberger Straße die Autos derart verkeilt, dass sich minutenlang nichts bewegt. Außer den Fahnen, die Wellen in die Nacht schlagen, und den Händen auf den Autohupen, natürlich. Egal ob im Auto, auf dem Rad oder - wie die beiden Jungs, die mit der Bierflasche winken - im Einkaufswagen: Jeder Fan wird bejubelt, als hätte er persönlich das 1:0 geschossen.

WM-Partys in Berlin und München: Die Polizei trägt Schwarz-Rot-Gold.

Die Polizei trägt Schwarz-Rot-Gold.

(Foto: Lena Jakat)

Die Pfiffe gegen Argentiniens Elf und die "Drecks-Lio-Messi"-Chöre, die während der Partie immer wieder aufbrandeten, sind lange verstummt. In der McDonald's-Filiale hat sich eine lange Schlange vor der Toilette gebildet. Die verblasste Argentinienflagge auf der Wange des rothaarigen Mädchens bleibt nicht unbemerkt. "Das muss jetzt runter", kommt der Tipp von hinten. "Mit Spucke kriegste das ab."

Alles so weit friedlich

Draußen auf dem Gehweg hat die Polizei den Mannschaftswagen deeskalierend in Schwarz-Rot-Gold gehüllt. Die blonde Polizistin muss sich erst das Oropax herauspulen, um die Frage zu verstehen. "Alles so weit friedlich, ist 'ne super Happening-Stimmung", sagt sie. "Zumindest, was wir hier mitkriegen."

Ein paar Hundert Meter weiter, wo nach der Gedächtniskirche der Kurfürstendamm beginnt, stinkt der Jubel nach Schwarzpulver. Bengalische Feuer werden gezündet, immer wieder wirft jemand irgendwo einen Böller zwischen die vor Freude und Alkohol taumelnden Menschen. Hoffentlich passiert da nichts, denkt man noch. Ein Krankenwagen würde hier kaum durchkommen. Fast jeder hat ein Smartphone in der Hand, filmt und fotografiert, als hinge der Titel dran.

WM-Partys in Berlin und München: Heißt der Späti wirklich Schland? Ja.

Heißt der Späti wirklich Schland? Ja.

(Foto: Lena Jakat)

Ein Späti namens Schland

Die Bilder sind allerdings eher was fürs Familienalbum als für Facebook. Denn wie schon auf der Fanmeile ist auch in der Jubelmenge von Westberlin das Handy-Netz zusammengebrochen. Telefonieren könnten viele wohl ohnehin nicht mehr, nach stundenlangem Grölen ist ihnen die Stimme abhandengekommen. Aber das macht nichts; die Hupen füllen bereitwillig die Lücke und springen in der Berliner Fansinfonie mit ausgiebigen Soli ein.

Auf dem Heimweg noch einen Schokoriegel und ein letztes Bier. Ist das jetzt eine Fata Morgana, induziert von Feuerwerksrauch und kollektivem Taumel? Oder heißt der Späti tatsächlich "Schland"? "Ich glaub', das kommt von Stefan Raab, irgendwie", sagt die Verkäuferin vom Schland-Späti. Seit einem Jahr heiße der Laden jetzt so. Ein junger Kunde ist derart berauscht von Sieg und Bier, das er mehrere Minuten braucht, um die Münzen aus seinem Portemonnaie zu fischen. "Alles okay?", fragt er noch.

An vielen Stellen brechen Grüppchen aus der Menge und machen sich auf den Heimweg. Je weiter entfernt vom Kurfürstendamm, desto weniger erinnert an den Freudentaumel. Ein paar Straßenzüge noch und ein Außerirdischer, der hier landete, würde nichts ahnen von Nervenkampf und Katharsis. Ein Ramschladen an der Kurfürstenstraße verkauft die letzten Tröten für diese Nacht. Mit Tröröö ziehen die Fans in die Nacht, in ihr nicht enden wollendes Dacapo der Jubelkakophonie.

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