Gazastreifen:Beide Seiten brauchen einen Sieg

Raketenangriffe Gaza

Zerstörtes Haus in Gaza-Stadt

(Foto: AP)

Kampf, Waffenstillstand, Wundenlecken: Es ist ein zynisches Muster, das sich im Konflikt um den Gazastreifen stets wiederholt. Die Vermittler müssen nun ein Paket schnüren, bei dem sich sowohl Israel als auch die Hamas als Sieger fühlen können.

Ein Kommentar von Peter Münch, Tel Aviv

In der Regel folgen die Gewaltausbrüche rund um Gaza einem zynischen Muster: Es wird gekämpft bis zu einem bestimmten Grad an Zerstörung und Erschöpfung, dann folgt ein Waffenstillstand, eine Zeit des Wundenleckens und Atemholens - und dann der nächste Krieg. Kein Wunder also, dass mitten im Schießen und Sterben bereits die Raketenzähler eifrig am Werk sind, um zu berechnen, wann die kritische Masse erreicht ist, damit aus der Schadensbilanz des Konflikts eine Formel für einen wenigstens temporäreren Frieden wird.

Tatsächlich nähert sich dieser mit großer Wucht von beiden Seiten geführte Krieg schon nach weniger als einer Woche statistisch dem Schrecken seiner Vorgänger an: Es hat bereits mehr Opfer gegeben als beim achttägigen Waffengang im November 2012; und die Zahl der israelischen Angriffe auf den Gazastreifen sowie der von der Hamas auf Israel abgefeuerten Raketen erreicht schon jetzt fast den Stand der mehr als dreiwöchigen "Operation Gegossenes Blei" von 2008/09. Die blanken Daten also deuten an, dass es Hoffnung geben könnte auf ein baldiges Ende dieses Waffengangs. Doch natürlich muss man bei solcher Kriegsarithmetik auch immer mit einer Unbekannten rechnen, und das ist die Motivlage der beiden Konfliktparteien im Sommer 2014.

Israel will Ruhe vor der Hamas, diese will ein Ende der Blockaden

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat als Kriegsziel ausgegeben, dass der Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen gestoppt und die Ruhe wiederhergestellt wird. Andere aus seiner Regierung wie der Quartalsamokläufer Avigdor Lieberman wollen wesentlich weitergehen und in Gaza "den Stall ausmisten". Doch das erscheint als rein propagandistische Scharfmacherei. Zwar will derzeit niemand einen Einsatz von Bodentruppen ausschließen, aber keiner dringt auf einen Sturz der Hamas sowie eine langfristige Besetzung des palästinensischen Unruhegebiets, was dazu nötig wäre. Israel braucht die Hamas vielmehr, um im Gazastreifen Schlimmeres - die Anarchie oder die Salafisten - zu verhindern. Klar ist allerdings, dass die Herrscher in Gaza diesmal so hart getroffen werden sollen, dass die Ruhe nicht nur anderthalb Jahre währt wie beim letzten Mal.

Die Hamas auf der anderen Seite ist nicht so vermessen zu glauben, dass sie Israel militärisch die Stirn bieten kann. Sie hat sich aus Verzweiflung in diesen Krieg geflüchtet - die Explosionen sollen die drohende Implosion verhindern. Seit Monaten schon können die Machthaber die Gehälter ihrer zigtausend öffentlich Bediensteten nicht mehr zahlen, der Zorn der Bevölkerung wächst mit der Verelendung, und zur israelischen ist mittlerweile auch noch eine ägyptische Blockade hinzugekommen. Die Hamas ist isoliert und verbraucht - und hat in dieser Lage auch kein Interesse an der Rückkehr zum Status quo ante, also zur Waffenruhe von 2012. Sie braucht einen Erfolg, der ihr Überleben im Gazastreifen nach dem Krieg sichert. Das geht nur, wenn sich die Lebensbedingungen dort verbessern, wenn also die Doppelblockade gelockert wird.

Hier liegt der Ansatzpunkt für die Sondierer und Vermittler, die nun wie der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier in die Region kommen, um angesichts des immer schlimmer werdenden Blutbads für den Frieden zu werben. Die Formel lautet: Es wird keine Ruhe geben ohne Sicherheit für Israel, und es wird keine Sicherheit für Israel geben ohne eine Verbesserung der Lebensbedingungen im Gazastreifen. Daraus ließe sich ein Paket schnüren, das über die offenkundig zu kurzatmige Vereinbarung von 2012 hinaus einen Anreiz schafft, den Waffenstillstand langfristig zu wahren - und überdies beiden Seiten die Möglichkeit gäbe, sich als Sieger zu fühlen.

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