Umbau bei VW:Ende der Behaglichkeit

Hauptversammlung VW

Quo vadis VW, fragt sich wohl auch Konzernchef Martin Winterkorn. Die Märkte spielen nicht mehr mit. Europas Absatzzahlen sind im Keller, andere Märkte stagnieren.

(Foto: dpa)

Rendite zu klein, Kosten zu hoch: VW-Chef Winterkorn rüttelt Deutschlands größtes Unternehmen durch. Das wird den Konzern radikal verändern.

Von Karl-Heinz Büschemann und Thomas Fromm

Seltsam, wie schnell in einem Riesenkonzern wie Volkswagen die Stimmung kippen kann. Vor gut zwei Wochen stand Martin Winterkorn im VW Design Center in Potsdam und enthüllte den neuen Passat. Klassisches Autokonzern-Event. Glamour, Promi-Auftrieb. Der VW-Chef sprach von einer "neuen Ära der Mitteklasse" und einem "Premium-Anspruch" - Formulierungen, wie man sie bei VW gewohnt ist. Und die zeigen sollen: Hier läuft alles.

Anfang der Woche dann das: Der gleiche Winterkorn schreibt einen vierseitigen Brief an seine Manager, einen, der es in sich hat: Produktivität zu schwach, Rendite zu klein, Kosten zu hoch - ein Milliardensparprogramm für die Kernmarke VW soll her. VW soll durchgerüttelt werden.

Zu vieles war in der ersten Jahreshälfte auf manchem Markt schief gelaufen.

Seit Jahren geht es bei Europas größtem Autokonzern, der bis 2018 die Nummer eins weltweit sein will, nur um frohe Botschaften. Um Rekorde, Mitarbeiterboni, um Milliarden-Übernahmen. VW, der unangreifbare Konzern. Und nun das: eine Klatsche für Management und Mitarbeiter. Plötzliche Erkenntnis? Von wegen. Schon Anfang März stand der Boss beim Genfer Autosalon und warnte: "Unsere Branche steht vor einem der größten Umbrüche seit Bestehen des Automobils." Solche Sätze fallen nicht zufällig. Da geht es um mehr.

Wenn man Winterkorn richtig versteht, dann steht nicht nur die Branche vor großen Umbrüchen, sondern auch VW.

"Maßnahmen, die wirksam und schmerzhaft sind"

Der Wolfsburger Betriebsrat hält die Forderung Winterkorns nach mehr Rendite zwar für richtig. Nur wie das geschehen soll, darüber wird gestritten. "Einschnitte bei tarifvertraglichen Leistungen wird es mit uns nicht geben", warnt Betriebsratschef Bernd Osterloh vorsorglich.

Zwölf Marken, an die 300 Modelle. In einem Konzern wie VW gibt es viele Interessen und Gutsherren, die vor allem ihre eigenen Projekte durchsetzen. "Brauchen wir für jedes Fahrzeug immer einen Nachfolger?", heißt es bei den Arbeitnehmern. "Brauchen wir so viele Cabrios, die vor allem in Kalifornien, Deutschland und in der Toskana gefahren werden?"

Wenn es doch nur um ein paar Cabrios ginge. Mit dem dramatischen Weckruf stimmt Winterkorn den Konzern auf harte Zeiten ein. Werden die Tage mit weltweit 570 000 Arbeitsplätzen zu Ende gehen? Winterkorn will fünf Milliarden Euro pro Jahr sparen, das geht vielleicht nur, wenn die Zahl der Arbeitsplätze im Konzern schrumpft. Die Schritte werden "wirksam und auch schmerzhaft" sein, so der Chef. Doch wie das funktionieren soll, steht in den Sternen. Bei dem Wolfsburger Konzern hat der Erhalt der Arbeitsplätze seit Jahrzehnten den Rang eines biblischen Gebots. In keinem Unternehmen in Deutschland hat die IG Metall eine so mächtige Stellung wie bei Volkswagen. Zudem ist das Land Niedersachsen mit 20 Prozent am Konzern beteiligt. Arbeitnehmer und das Land haben im Aufsichtsrat die Mehrheit und das letzte Wort. Die Zahl der Arbeitsplätze ist beiden wichtiger als die Rendite. Deshalb baut VW mehr Teile seiner Autos selbst als die Konkurrenz. Das will Winterkorn ändern. VW müsse sich von Dingen trennen, "die bei Lieferanten profitabler gefertigt werden können".

Noch sind die Arbeitnehmer erstaunlich ruhig. Sie planen den Umbau des Konzerns mit und haben klare Forderungen an den Konzernchef. Nicht nur die Arbeiter in den Fabriken sollen leiden, sondern auch die hoch bezahlten Angestellten der Verwaltung. "Es kann auch schmerzhaft sein, einigen Entwicklern ihr Spielzeug wegzunehmen", heißt es aus Arbeitnehmerkreisen. Kriegt Winterkorn die Belegschaft nicht auf seine Linie, drohen ihm selbst schwere Zeiten. Die Konkurrenz ist aggressiv. "Seien wir ehrlich", sagt Winterkorn, "wir haben in der Produktivität gegenüber den Kernwettbewerbern unverändert erheblichen Nachholbedarf."

"Es herrscht ein brutaler Wettbewerbs- und Ergebnisdruck"

Die Märkte spielen nicht mehr mit. Europas Absatzzahlen sind im Keller, andere Märkte stagnieren. Die Wolfsburger konnten sich mit ihren Golfs und Passats bisher einigermaßen aus der Affäre ziehen und produzierten weiter Rekordzahlen. Bis jetzt. Inzwischen spricht der Chef von "schwierigem Fahrwasser", in dem sich der Konzern bewege: In der Automobilindustrie herrsche "ein brutaler Wettbewerbs- und Ergebnisdruck". Immer höhere Rabatte nagen an den Gewinnen. Auf dem wichtigen deutschen Markt verkauft VW inzwischen 30 Prozent der Fahrzeuge als sogenannte Tageszulassungen, Vorführwagen oder Dienstwagen mit Preisnachlässen von "deutlich über 20 Prozent", wie das Car Center Automotive Research der Universität Duisburg Essen ausgerechnet hat.

Der Markt frisst die Marge auf. In Europa legte die Marke VW im ersten Halbjahr zwar um 2,7 Prozent zu. Aber die Konzerntochter Škoda schaffte ein Plus von 20 Prozent. In den USA sieht es noch viel schlechter aus. "Unverändert unbefriedigend", so das verheerende Urteil des Konzernchefs. Die Autos der Wolfsburger kommen in Amerika nicht an. Seit 15 Monaten in Folge geht dort die Zahl der verkauften VWs zurück. Im Juni setzten die Wolfsburger in den USA 22 Prozent weniger Neuwagen ab als ein Jahr zuvor. Eine bedrohliche Entwicklung. Bleibt allein der Boommarkt China. Der Konzern verkaufte dort mit mehreren Marken im vergangenen Jahr 3,3 Millionen Autos. Das ist schön. Aber auch ganz schön riskant.

"Wir haben es auch mit hausgemachten Problemen zu tun"

Die größten Probleme aber sind hausgemacht: Zwölf Konzernmarken, und genau so viele Chefs. VW ist schwer regierbar. Einen der Grundwidersprüche des VW-Konzerns kriegen Winterkorn und sein Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch nicht in den Griff: Die Marken sollen zusammenarbeiten und gemeinsam sparen. Gleichzeitig aber sind sie am Markt Rivalen. Beispiel: Der Octavia Combi jagt dem Passat, der teurer ist, die Kunden ab. Konkurrenzdenken auch bei Audi und Porsche - beide Oberklasse, beide sportlich, beide Gewinnbringer. Jetzt kursierten auch noch Gerüchte, VW wolle sich den Fiat-Chrysler-Konzern einverleiben. Vor allem, um über Chrysler sein schwaches USA-Geschäft endlich in den Griff zu kriegen. Eine Art Befreiungsschlag für 20 Milliarden Euro. Deutsche, die ihre eigenen zwölf Marken kaum noch gemanagt kriegen, und die einen angeschlagenen italo-amerikanischen Konzern schlucken, der gerade selbst auf der Suche ist nach sich selbst - das wäre das nächste Problem!

"Haben wir die richtigen Produkte zum richtigen Zeitpunkt?"

VW ist zu groß. Wo bislang immer neue Fahrzeugtypen in die Sammlung geschoben wurden, steht eine Bereinigung an. "Haben wir wirklich die richtigen Produkte?", fragt Winterkorn zum Erstaunen seiner Ingenieure. Offenbar nicht. Bei VW, so die Kritik des technikbesessenen Chefs, werden manche Autos nur gemacht, "weil es machbar ist und begeistert".

Dabei vernachlässigten die Manager andere, wichtige Themen. Lange Zeit haben sie die alternativen Experimente der Konkurrenz belächelt. Elektroautos? Hybridantriebe? Lieber verfeinerten die Wolfsburger ihre Dieseltechnologie. Neulich noch spottete Piëch über die Elektroautos von Tesla. Dafür habe man keinen Platz in der Garage. Und weil kurz vorher eine Batterie der Amerikaner in Brand geraten war: Man brauche auch keine brennenden Autos.

Brennende Autos wohl nicht, aber Elektroautos schon. Der Konzern befürchtet nun, überrollt zu werden. "Die Menschen und damit auch die Automobilwelt verändern sich", warnt Winterkorn. Und erkennt, dass die Weichen erstmals nicht mehr nur in Wolfsburg gestellt werden.

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