MH17:Russlands Schuld

MH17: Wrackteil des in der Ukraine abgestürzten Malaysia-Airlines-Flugzeugs.

Wrackteil des in der Ukraine abgestürzten Malaysia-Airlines-Flugzeugs.

(Foto: AP)

Moskau trägt durch die Unterstützung der Separatisten zumindest eine indirekte Mitschuld am Abschuss des Fluges MH17. Europäische Union und USA dürfen der Schein-Politik Putins nicht länger Beachtung schenken, sondern müssen endlich Druck ausüben - statt nur zu taktieren.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Vier Tage nach dem Abschuss von MH17 (nur die wildesten Verschwörungsfreaks zweifeln an einem Abschuss) muss sich der Westen die harte Frage stellen: Was eigentlich soll das Ziel sein in der Ukraine? Ob warme Worte oder heiße Drohungen: Seit Monaten eskaliert der Konflikt. Weder kommt die Ukraine einem Frieden näher, noch lässt sich Russland in einen politischen Prozess einbinden. Die Europäische Union und auch die Vereinigten Staaten bleiben Getriebene der Ereignisse. Ihre Sanktionen dienen vor allem der eigenen Beruhigung.

Zwei Motive haben die Politik des Westens in der Ukraine-Krise geleitet: Erstens sollte es zu einer politischen Lösung im Separatisten-Krieg kommen (von einem Bürgerkrieg zu reden, ist angesichts der hohen Zahl eingesickerter Kämpfer aus dem Osten absurd). Deshalb wurde brav der Ausgleich mit Russland als Patronatsmacht gesucht. Und zweitens wollte sich der Westen auf keinen Fall zerstreiten. Denn eine gespaltene EU oder ein einzelgängerisches Amerika hätten den russischen Präsidenten Wladimir Putin nur in seiner Wahrnehmung bestärkt, dass der Westen uneins und schwach sei. Der Krieg musste also eingedämmt bleiben - schön kaserniert im Osten der Ukraine.

Die EU und Deutschland - als Führungsnation für Kontakte mit der Ukraine - scheinen auf Kiew im entscheidenden Moment keinen Einfluss ausüben zu können. Der Vorstoß ukrainischer Truppen auf Donezk im Schatten der MH17- Tragödie könnte sich als gefährliche Fehlkalkulation erweisen. Der russische Präsident könnte in all seiner Selbstisolierung einen Vorwand für den Einmarsch russischer Truppen konstruieren. Russland interveniert zur Rettung von Donezk - eine abenteuerliche, aber nicht unrealistische Vorstellung.

MH17 lässt keinen Platz mehr für taktische Spiele mit Moskau

Die ewigen Spekulationen über die Absichten von Wladimir Putin - sie führen zu nichts. Monatelang wurde dem Präsidenten eine schier endlose Geduld entgegengebracht. Monatelang wurde verhandelt, telefoniert, verabredet und abgelenkt. Putin aber verfuhr von Tag eins der Krise an nach dem immer selben Muster. Jede Eskalation reizte er bis zum letzten Augenblick aus, macht Zugeständnisse erst, wenn es eigentlich schon zu spät war.

So war es auf der Krim zu beobachten; so verhielt sich der Präsident bei der Entführung der OSZE-Beobachter; so wartete er mit seinen politischen Appellen zu einem Waffenstillstand, bis die vom ukrainischen Präsidenten verkündete einseitige Waffenruhe schon längst nicht mehr zu halten war. Putin betreibt Schein-Politik, seine diplomatischen Zusagen stehen im krassen Gegensatz zu den tatsächlichen Ereignissen vor Ort.

Die Separatisten sind von Moskau nicht zu trennen

Ist diese Gummiband-Strategie mit MH17 nun an ihrem Ende? Mit dem Abschuss der Passagiermaschine ist der Konflikt auf einmal in Amsterdam angekommen. Und in Perth, in London, in Berlin. Die Empörung über den pietätlosen Umgang mit den Toten, die Leichenfledderei, die schändliche Zerstörung des Tatorts: Wie viel Selbstrespekt muss der Westen noch aufgeben, ehe er auf diese Verhöhnung eine Antwort findet? Die Toten wurden geradezu wie Geiseln behandelt, die Flugschreiber waren Faustpfand finsterer Schergen.

Für die angemessene Antwort auf das brüllende Unrecht sind ein paar Feststellungen unerlässlich: Die Separatisten sind von der russischen Regierung nicht zu trennen. Ihre Kommandeure sind im russischen Sicherheitsmilieu verwurzelt, ihre Waffen stammen aus russischen Arsenalen, ihre Telefonate gehen nach Russland, die Mehrzahl der Kämpfer scheint aus Russland über die Grenze zu kommen, die Raketenwerfer vom Typ SA-11 fahren dorthin zurück. All dies deutet auf eine Teilhabe, wenn nicht Urheberschaft Russlands in dem Konflikt hin. Es zeigt: Russland hat Einfluss auf die Kämpfe. Und der Umgang der Separatisten mit dem Wrack und den Toten verstärkt dieses Bild. Nur wer viel zu verbergen hat, begeht diesen Frevel am Tatort.

Europa und die USA müssen diese Verhöhnung nun beantworten. Das sind sie nicht nur den Opfern schuldig, sondern auch einer überwiegenden Mehrheit in der Gesellschaft, die Unrecht noch als Unrecht erkennen und benennen will. Für Wladimir Putin wäre nun der letzte Augenblick gekommen, sich von den Separatisten zu lösen. Der Präsident scheint die Chance nicht nutzen zu wollen.

Wenn die EU-Außenminister über ihre Optionen beraten, dann dürfen sie sich von taktischem Kalkül nicht mehr leiten lassen. Der Hebel des Westens sind seine Sanktionen und der nicht nachlassende politische Druck der Regierungen. Von Russland haben sie nichts mehr zu erwarten. Nicht mal einen Funken Pietät im Umgang mit den Toten.

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