NSU-Prozess:Die Wehen der Wahrheitssuche

Beate Zschäpe misstraut ihren Pflichtverteidigern: Viele sehen darin eine Unverschämtheit der Angeklagten im NSU-Prozess. Doch das Verfahren im Rechtsstaat sucht die Wahrheit - deshalb muss die Pflichtverteidigung gut und das Vertrauensverhältnis gegeben sein.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Was denn noch alles? Soll "die" doch froh sein, dass sie schon drei Pflichtverteidiger hat! Und ist nicht auch das schon des Guten zu viel? Ist es nicht eine Frechheit, dieses Gute auch noch abzulehnen? Soll der Staat nun womöglich noch einen vierten Pflichtverteidiger bezahlen? Wird da nicht, noch dazu von "so einer", der Rechtsstaat ausgenutzt? Nein, das wird er nicht.

Gewiss - so oder so ähnlich sind die Reaktionen von vielen, die hören, dass die Angeklagte Zschäpe im NSU-Prozess kein Vertrauen mehr in ihre Pflichtverteidiger hat. Aber: Der Rechtsstaat betrachtet eine Angeklagte, und sei sie schlimmster Verbrechen angeklagt, nicht als "so eine". Der rechtsstaatliche Prozess besteht eben darin, dass er die Wahrheit sucht und nicht eine angeblich schon feststehende Wahrheit festklopft. Zu dieser Wahrheitssuche gehören Verteidiger, die den Angeklagten, so gut es irgend geht, verteidigen. Und diese Verteidigung ist keine Rolle in einem Justiztheater, in die man schlüpft wie in die schwarze Robe. Es gilt der Kernsatz: Ohne Vertrauen des Mandanten kann ein Verteidiger nicht gut verteidigen. Das gilt auch für die Pflichtverteidigung; sie ist keine Verteidigung zweiter Klasse; sie ist nicht eine, bei der Gericht und Verteidiger es nicht so genau nehmen müssen.

Die Pflichtverteidigung ist keine Verteidigung zweiter Klasse

Pflichtverteidigung ist absolut notwendig in all den Fällen, in denen der Tatvorwurf sehr schwer und komplex ist. Wenn er so schwer und komplex ist wie im NSU-Verfahren, können notfalls auch vier Verteidiger geboten sein; dann sichern ein oder alle bisherigen Verteidiger den Fortgang des Verfahrens, und der neue Pflichtverteidiger hat das Vertrauen der Angeklagten.

Das Gericht könnte auch darauf beharren, einfach mit den drei bisherigen Pflichtverteidigern und niemandem sonst weiterzumachen. "Augen zu und durch und weiter" - das wäre aber ein schlechtes Motto für ein so heikles Verfahren. Ein Verteidiger, der das Vertrauen der Mandantin absolut nicht mehr hat, aber vom Gericht gehalten wird, weil die Fortführung des Verfahrens gesichert werden soll, rutscht in eine Zwitterstellung: Er ist zwar auch dann noch halb Verteidiger, zur anderen Hälfte aber Verfahrensfortsetzungsbeauftragter des Gerichts. So ein Zwitter ist kein Verteidiger im Sinn des Gesetzes.

Der Verteidiger ist nicht der Adabei des Verfahrens. Er ist Hauptperson; die drei Verteidiger Zschäpes sind drei Hauptpersonen. Sie sind nicht als Trio mandatiert, sondern jeder für sich. Jeder muss prüfen, wie das Vertrauensverhältnis ausschaut und sich dementsprechend dem Gericht gegenüber erklären. Es muss geklärt werden, ob es sich nur um eine vorübergehende Störung des Vertrauens handelt oder ob diese Störung von Dauer ist.

Es gibt eine rechtsstaatlich gebotene richterliche Fürsorge für jeden Angeklagten. Wenn es um so viel geht wie im NSU-Verfahren, ist diese Fürsorgepflicht besonders groß; sie kann eine neue oder eine weitere Verteidigung gebieten. Ansonsten muss womöglich später, nach einer Revision, das Verfahren neu aufgerollt werden.

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