Brasiliens Nationaltrainer Dunga:Hardliner mit guten Kontakten

Dunga

Zweite Chance für Carlos Dunga: Der Weltmeister von 1994 wird erneut Trainer der brasilianischen Nationalmannschaft.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Vorwärts in die Vergangenheit: Mit seiner Effizienz-Hypothese ist der neue brasilianische Nationaltrainer Carlos Dunga schon einmal gescheitert. Das Befremden im Land ist groß - doch der größte Gegner dürfte erst einmal stillhalten.

Von Thomas Kistner

Die Seleção, Brasiliens bei der WM im eigenen Land ins Bodenlose gestürzte Fußballauswahl, hat seit Dienstag einen neuen Trainer. Wobei der Witz ist, dass der Neue seine Berufung zum Nationalcoach ja selbst noch vor zehn Tagen öffentlich als "Witz" abgetan hatte: Das werde nie passieren aus seiner Sicht, es sei sogar "einfacher, Deutschland oder Italien zu trainieren statt Brasilien". Als er das kundtat, waren die diskreten Werbebemühen des Nationalverbandes CBF um Carlos Dunga bereits voll im Gange.

Nun folgt Dunga dem glücklosen Luiz Felipe Scolari nach, und für einen Witz halten viele Fans und Medienschaffende diese Berufung tatsächlich. Der 51-Jährige war ja schon einmal Übungsleiter der Seleção, erst vier Jahre ist es her. Bei der WM 2010 in Südafrika führte seine Auswahl im Viertelfinale gegen die Niederlande mit 1:0, sie spielte ihr bis dahin bestes Turnierspiel, dann leistete sich Torwart Julio Cesar zwei Böcke. Brasilien war draußen. Und der Coach gefeuert.

Carlos Caetano Bledorn Verri, genannt Dunga und hierzulande gut in Erinnerung als Kapitän des brasilianischen Weltmeisterteams von 1994 und Profi des VfB Stuttgart Mitte der Neunzigerjahre, Dunga also war nach jenem WM-Aus in Port Elizabeth sprachlos.

Kreidebleich, geschockt, mit erstickter Stimme präsentierte er sich der Presse, mit der er eigentlich ständig auf Kriegsfuß gestanden hatte in den vier Jahren, die er das Amt innehatte. Die Südamerika-Meisterschaft 2007 , der Sieg im Confederations Cup 2009 - das alles galt nichts mehr, als ihn die eigene Arbeitshypothese eingeholt hatte: "Das Wichtigste ist: Man muss effizient spielen." Nie hat Dunga die damaligen Schmährufe verwunden: "Burro (Esel)!" - zu hören von den Fans, als er mit seinem geschlagenen Team ins Quartier zurückgekehrt war.

Es war das Ende einer Ära, in der die Seleção von der Außenwelt abgeschottet wurde wie nie zuvor; die Isolation passte zum militärischen Drill, den Quereinsteiger Dunga auf seiner ersten Trainerstation pflegte. Stets herrschte ein angespanntes Klima, taktisch aber operierten seine Auserwählten, fast nur gereifte Profis, äußerst zuverlässig. Nur war ihnen offenbar alle Passion, jede Leidenschaft abtrainiert worden. Dungas Seleção war verloren, als ihre Ergebnismaschinerie einmal ins Stottern geriet.

Insofern stellte Dungas Auswahl genau das Gegenteil jenes Nachfolger-Ensembles dar, das der Nation bei der Heim-WM 2014 nun ein so enormes Trauma beim 1:7 gegen Deutschland beschert hatte. Die 2014er-Elf agierte frei von taktischen Raffinessen, beseelt von naivem Gottvertrauen und hatte in Trainer Scolari, dem großen Felipão, einen spirituellen Anführer, der seither den Unfug verbreitet, seine Elf sei lediglich an einem "sechsminütigen Blackout" im Halbfinale gescheitert. Stur kämpfte der gescheiterte Mentalcoach der Nation gar bis zuletzt um den Verbleib im Amt.

Typischer Winkelzug

Nun ist das Befremden groß darüber, dass es Dunga wieder richten soll. Klar ist nur: Mit dieser Wahl wenden sich die CBF-Granden erkennbar vom Stil Felipãos ab. Dass dessen Seleção nach ihren WM-Auftritten immerzu freie Tage genoss, dass im Camp Freunde und Verwandte empfangen werden durften und selbst vorm Halbfinale gegen Deutschland die letzten Gäste erst um zehn Uhr abends heimgeschickt wurden: Das wird es unter Dunga nicht geben.

Neben seinem Profil als Hardliner hat Dunga der gute Draht zum neuen CBF-Sportmanager geholfen: Gilmar Rinaldi. Er gehörte zum Kader 1994, der mit Dunga den WM-Titel errang. Und schon in den Achtzigerjahren, als Dunga für Internacional Porto Alegre spielte, hütete Gilmar dort das Tor. Beide errangen mit dem Olympia-Aufgebot 1984 Brasiliens erste Silbermedaille. Gold gab es noch nie für die Seleção, es ist der letzte vakante Fußballtitel überhaupt. Das soll, das muss sich 2016 ändern, wenn die Sommerspiele in Rio stattfinden.

Rinaldis Kür lässt sich als typischer Winkelzug der Cartolas lesen, wie die Funktionäre des CBF im Land verächtlich genannt werden; diese Kür weist auf Kontinuität in einer Verbandsführung hin, die sich über zwei Dekaden in dreister Offenheit am Geschäft mit den Fußballhelden bereichert hat. Der langjährige, vor Polizeiermittlungen nach Florida geflohene CBF-Boss Ricardo Teixeira zweigt noch über viele Jahre von jedem Testspiel Hunderttausende Dollar für sich ab; auch bei Dungas Debüt am 5. September. Das findet praktischerweise in Miami statt, vor Teixeiras Haustür.

Rinaldi war bis zu seiner Berufung durch Teixeiras Nachfolger José Maria Marin, 82, ein registrierter Spieleragent. 1999 war er als Angestellter des Traditionsklubs Flamengo Rio de Janeiro ausgestiegen und nahm die damaligen Stars Adriano und Reinaldo mit. Seine Website als Spielerberater wurde erst letzte Woche abgeschaltet - während der Pressekonferenz, bei der er als Direktor der Seleção präsentiert wurde.

Von Dungas Berufung erhoffen sich die CBF-Cartolas auch eine Feuerpause, was die Kritik aus der Hauptstadt Brasilia angeht. Dort sitzt ihr größter Gegner, der sozialistische Abgeordnete Romário, der Scolaris Seleção regelmäßig auseinander pflückte - und auch die Suche des Nachfolgers gallig begleitet hatte. Nun dürfte Romário erst einmal stillhalten: Mit Dunga und Rinaldi war er 1994 Weltmeister geworden.

Der neue, alte Nationalcoach wird in der Heimat nicht nur "Dunga" gerufen, nach einem der sieben Märchenzwerge, sondern auch O Alemão - der Deutsche. Als Fußballdeutscher zu gelten, ist in Brasilien seit der WM ein Privileg. Es könnte hilfreich sein für den Sturkopf aus dem Süden, der nun die Fehler des anderen Sturkopfs aus dem Süden beheben soll.

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