Befreite Kinder in Mexiko:Senile Heimleiterin muss nicht vor Gericht

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Hunderte Menschen wurden aus einem Armenheim im Mexiko befreit, wo sie unter schlimmsten Bedingungen leben mussten. Schnell geriet die Heimleiterin unter Verdacht, doch die 80-Jährige muss keine Strafverfolgung fürchten.

  • Die Leiterin eines Armenheims in Mexiko, in dem Hunderte Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen gefangen gehalten wurden, muss sich nicht vor Gericht verantworten.
  • Die 80-Jährige ist nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft wegen ihrer Senilität nicht verantwortlich für die Missstände.
  • Mitte Juli waren 450 Minderjährige, die zum Betteln gezwungen waren und teils sexuell missbraucht wurden, von Soldaten und Polizisten befreit worden.
  • Missstände im Heim sollen bereits seit Längerem bekannt gewesen sein.

Heimleiterin entgeht Strafverfolgung

Die greise Leiterin eines Armenheims im Westen von Mexiko, in dem Hunderte Kinder und Erwachsene unter schrecklichen Bedingungen leben mussten, muss keine Strafverfolgung fürchten. Die etwa 80 Jahre alte Rosa Verduzco sei senil, teilte der Generalstaatsanwalt mit. Eine ärztliche Untersuchung habe ergeben, dass die Frau geistig und körperlich nicht mehr in der Lage gewesen sei, eine solche Einrichtung zu führen. Rechtlich gesehen gebe es daher seitens der Anklagebehörde keine Handhabe gegen sie.

Die Vorwürfe wiegen schwer: In dem Heim sollen Kinder missbraucht worden sein, die Bewohner wurden zwischen Müll und Ungeziefer gefangen gehalten. Medienberichte, wonach die Gründerin und Leiterin des Heims "La Gran Familia" die treibende Kraft gewesen sein soll, bestätigten sich jedoch nicht.

Verduzco, als "Mamá Rosa" bekannt, habe nicht direkt etwas mit dem Missbrauch zu tun gehabt, hieß es. Die Frau war nach dem Polizeieinsatz in ein Krankenhaus in Zamora gebracht worden. Dort wurde sie wegen Diabetes und Bluthochdrucks behandelt.

Die Missstände im Heim

Soldaten und Polizisten hatten am vergangenen Dienstag etwa 450 Minderjährige und 100 Erwachsene aus der von Verduzco gegründeten Einrichtung "La Gran Familia" ("Die Große Familie") im Bundesstaat Michoacán befreit. Sie hatten dort jahrelang zwischen Ratten, Ungeziefer und Bergen von Müll gelebt, waren zum Betteln gezwungen und Zeugen zufolge auch sexuell missbraucht worden.

Unter den Kindern, die in dem Heim gefunden wurden, waren auch sechs Babys und Kleinkinder im Alter zwischen zwei Monaten und drei Jahren. Die Erwachsenen, die in der Einrichtung lebten, sind heute zwischen 18 und 40 Jahre alt - was darauf hindeutet, dass sie möglicherweise alle dort zur Welt kamen und das Heim auch nach Erreichen des Erwachsenenalters nicht verlassen durften.

Die Razzia der Einsatzkräfte

Bei einer Razzia hatten Polizei und Armeekräfte das Heim gestürmt und alle Bewohner befreit. Dabei wurden die Heimleiterin sowie acht Mitarbeiter festgenommen.

Nach Angaben des Generalstaatsanwalts sind seither mehr als 150 Anzeigen gegen Mitarbeiter des Heimes eingegangen. Gegen sechs von ihnen sei Anklage wegen Freiheitsberaubung, Menschenhandels und organisierter Kriminalität erhoben worden. Gerüchte, auf dem Gelände habe es Massengräber gegeben, bewahrheiteten sich nicht.

Die Vorgeschichte

Schon in der Vergangenheit hatte es den Ermittlern zufolge Anzeigen gegen die Betreiber des Heims gegeben. Grund für den Räumungseinsatz war die Vermutung der Polizei, dort fünf vermisste Kinder zu finden. Nach Angaben des Gouverneurs von Michoacán, Salvador Jara, waren erste Hinweise schon vor mehr als einem Jahr eingegangen. Nach der Durchsuchung von "La Gran Familia" meldeten sich der Staatsanwaltschaft zufolge bereits weitere Eltern, die sagten, ihre Kinder seien in dem Heim gefangengehalten worden.

Unklar ist derzeit noch, wie die Kinder und Erwachsenen in der Einrichtung gegen ihren Willen festgehalten werden konnten.

© SZ.de/dpa/AFP/sebi - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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