Judenfeindlichkeit:Alter Antisemitismus mit neuen Protagonisten

Pro Palestinian Demonstrations Are Held Throughout Europe

Propalästinensische Demo in Berlin: Der Meinungskampf um Gaza findet auch auf Deutschlands Straßen statt, dabei kam es zu einer Vielzahl an judenfeindlichen Äußerungen.

(Foto: Getty Images)

Die neue Form des Antisemitismus, über die viele gerade diskutieren, ist so neu gar nicht. Die deutschen Juden brauchen nun die Solidarität der Mehrheitsgesellschaft - was aber nicht bedeutet, dass Israels Politik nicht kritisiert werden darf.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Vor dem Antisemitismus ist man nur auf dem Monde sicher. Der Satz stammt von Hannah Arendt; sie hat ihn vor Jahrzehnten mit bitter-ironischem Pessimismus gesagt. Wenn der Satz stimmt - und er stimmt, wie man hören, sehen, lesen und spüren kann, immer noch und immer wieder - was kann man tun?

Es wäre gut, wenn der Ort, an dem es gelingt, den Mond auf die Erde zu holen, Deutschland hieße. Nicht nur deswegen, weil der Antisemitismus ein Angriff auf eine Minderheit ist, der man aus furchtbaren Gründen besonders verpflichtet ist; sondern auch und vor allem deswegen, weil er ein Angriff ist, der die Grundlagen des Zusammenlebens bedroht. Aber: Es sieht schlecht aus.

Gewiss: Der neue Antisemitismus, über den jetzt so viel diskutiert wird, ist nicht neu; es ist der elende alte Antisemitismus; es ist der immer wieder aufgekochte Sud aus uralten Gehässigkeiten; es ist der ideologische Giftmüll, dessen toxische Wirkung lebensgefährlich ist. Dieser alte Antisemitismus hat aber in Deutschland neue Protagonisten, zusätzlich zu den alten.

Antisemitismus zeigt grobe Integrationsdefizite

Es gibt keine Explosion des Antisemitismus in Deutschland, keine Potenzierung von Judenfeindlichkeit und Hass. Schon gar nicht gibt es Anklänge an 1933. Es reicht fürwahr schon, wie es ist. Es gibt aber eine neue Gruppe von migrantischen islamischen Jugendlichen in Deutschland, die ganz selbstverständlich israelfeindlich und antisemitisch ist, deren besondere Aggressivität sich jetzt am Gaza-Krieg entzündet - und die sich die jungen Maghrebiner in Frankreich zum Vorbild nimmt. Nicht ganz wenige dieser Jugendlichen sind gewaltgeneigt. Das ist eine neue Gefahr; sie signalisiert grobe Integrationsdefizite.

Diese groben Integrationsdefizite kann, muss man beklagen; man kann und muss sie aber vor allem bekämpfen - zu allererst mit pädogischen Konzepten; Strafrecht ist Ultima Ratio. Gegen die rassistischen Vorurteile zu arbeiten - das ist eine Aufgabe für Schule und Lehrbetriebe, für katholische und evangelische Jugendverbände, für den Bundesjugendring und für Muslimverbände.

Der Interkulturelle Rat in Deutschland hat pädagogische Konzepte und Jugendbegegnungen entwickelt. Das ist nicht lächerlich, sondern erfolgversprechend und im Kleinen schon erfolgreich. Hier müssen staatliche Mittel investiert werden, die nicht geringer sind als die Mittel für das Neonazi-Aussteigerprogramm Exit.

Es gehört ja zu den Perversitäten des alten europäischen Antisemitismus, dass er die islamischen Gesellschaften infiziert hat mit seinem Geschwurbel von einer jüdischen Weltverschwörung. Diese Topoi aus den erfundenen judenfeindlichen "Protokollen der Weisen von Zion" aus dem frühen 20. Jahrhundert finden sich heute in der Programmatik der Hamas. Der Antisemitismus bei Jugendlichen palästinensischer Abstammung in Deutschland ist also ein Re-Import.

Junge Muslime müssen lernen, Werte der Gesellschaft zu respektieren

Die alten Antisemiten in Deutschland, die rechts außen, links außen, aber auch in der Mitte der Gesellschaft zu finden sind und nicht wahrhaben wollen, dass ihr Antisemitismus ihr eigenes Integrationsdefizit ist, sehen nun die scheinheilige Stunde gekommen, um an der Multikulturalität ihr Mütchen zu kühlen: Jetzt zeige sich, sagen sie, wohin die verdammte Einwandererei geführt habe. "Da habt ihr's! Wir hätten diese jungen Muslime längst hinauswerfen sollen!" So verbinden sich Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit.

Indes: Die jungen, in Deutschland aufgewachsenen Muslime gehören zur deutschen Gesellschaft, ob einem das passt oder nicht. Sie sollen, sie wollen willkommen sein. Wer Willkommenskultur will, der muss sie aber auch geben: Viele junge Muslime in Deutschland müssen noch lernen, die Werte dieser Gesellschaft zu respektieren.

Es ist unerträglich, dass jüdische Synagogen und Gemeindezentren hierzulande ausschauen müssen wie Festungen - und das ist schon sehr lange so; es ist unsäglich, dass der Passantin der Anhänger mit dem Davidstern vom Hals gerissen wird, dass bei Demonstrationen "Judenschweine" gerufen wird - und als Begründung die israelische Politik in Gaza herhalten muss. Es ist unerträglich, wenn der Topf mit alten Ressentiments auf neuen Flammen gekocht wird.

Die Juden in Deutschland brauchen die Solidarität der Mehrheitsgesellschaft. Diese Solidarität verlangt aber nicht ein Ja und Amen zu Israels Politik in toto. Einen solchen Solidaritätszuschlag kann es nicht geben. Die Siedlungspolitik in Israel kann, darf und muss kritisiert werden. Der Gaza-Krieg kann, darf und muss kritisiert werden. Man kann, darf und muss beklagen, dass Israel zur Verewigung des mörderischen Nahost-Konflikts beiträgt. Es gilt, den Mond auf die Erde zu holen.

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