Putins Dilemma:"Schlecht fürs Geschäft, schlecht für Russland"

Russia's President Vladimir Putin And Russian Billionaires At Russia Business Week Conference

Präsident Putin gerät unter Druck: Bislang haben sich die Reichen Russlands aus seiner Politik herausgehalten. Das wird womöglich nicht mehr lange der Fall sein

(Foto: Bloomberg)

Russlands Aussichten sind düster: Die Wirtschaft wird im laufenden Jahr nicht wachsen. Dazu kommen steigende Staatsausgaben, höhere Steuerlasten für die Bürger und unruhige Oligarchen. Nicht nur international sinkt Putins Ansehen rapide, auch im eigenen Land verliert er zusehends an Rückhalt.

Von Frank Nienhuysen, Kiew

Die Amerikaner jagen gern. Aus Sicht der mächtigen Schützen-Lobby ist das sicher erbaulich, aber es ist bisher auch stets sehr erfreulich gewesen für ein Unternehmen in der fernen russischen Stadt Ischewsk, das einen berühmten Namen trägt: Kalaschnikow. Die Produkte des legendären Waffenerfinders sind in den USA äußerst begehrt, doch vor einer Woche hat die US-Regierung die Einfuhr der Gewehre aus Russland wegen dessen Rolle im Ukraine-Konflikt verboten.

Die Europäische Union hat derlei Sanktionen gegen die russische Wirtschaft bisher gescheut, aber die Zeichen mehren sich, dass sich dies von diesem Donnerstag an ändern wird. Und das Land hat Grund, härtere Sanktionen zu fürchten.

Der Internationale Währungsfonds hat Russland vor einigen Wochen ohnehin schon eine düstere Zukunft vorhergesagt: Bei kümmerlichen 0,2 Prozent könnte das Wachstum für 2014 liegen; bis zu 74 Milliarden Euro könnten in diesem Jahr aus dem größten Flächenland der Welt abgezogen werden, schätzt der IWF. Und je mehr sich Russland aus Sicht der europäischen Staaten politisch isoliert, desto größer würden wohl in den westlichen Unternehmen die Bedenken, dort zu investieren. Statt die Kluft zu den großen Industrienationen zu schließen, droht Russland, sie zu vertiefen.

International geächtete Figur

Russian President Vladimir Putin visits Progress Space Rocket Cen

Präsident Wladimir Putin riskiert es, "zu einer international geächteten Person zu werden" - so ein russischer Milliardär, der sich anonym geäußert hat.

(Foto: Ria Novosti/dpa)

Der mögliche Unmut in Moskau über derlei Aussichten scheint derzeit noch vom Patriotismus erfolgreich zurückgehalten zu werden. Doch wie lange noch? Die Wirtschaftsagentur Bloomberg zitiert einen anonym bleibenden russischen Milliardär mit den nicht überraschenden Worten, dass die Ereignisse in der Ukraine rund um den Absturz der Boeing "schlecht für die Geschäfte und schlecht für Russland" seien. Und dass Präsident Wladimir Putin es riskiere, "zu einer international geächteten Person zu werden wie Weißrusslands Staatschef Alexander Lukaschenko".

Als Putin nach seinem Einzug in den Kreml die russischen Oligarchen drängte, sich aus der Politik herauszuhalten, gelang ihm dies, weil er versprach, sie dafür in Ruhe ihren Geschäften nachgehen zu lassen. Dass diese Abmachung funktionierte, zeigte der Fall des Milliardärs Viktor Wekselberg, der vor zehn Jahren für geschätzte 100 Millionen Dollar in New York eine beträchtliche Fabergé-Kollektion samt der legendären Eier ersteigerte und heim nach Russland brachte.

Bisher hat die EU enge Vertraute von Putin verschont

Was aber wird, wenn die Geschäfte jetzt immer schwieriger werden? Wenn die Russen plötzlich nicht mehr so leicht Kredite erhalten von europäischen Banken? Bisher standen auf der europäischen Sanktionsliste Namen vor allem derer, die die prorussischen Separatisten in der Ostukraine unterstützen. Anders als die USA, die auch einflussreiche Geschäftsleute wie Gennadij Timtschenko und Igor Setschin, den Leiter des Ölkonzerns Rosneft, auf ihre Liste setzten, hat die EU bisher sehr enge Vertraute des Kreml-Chefs ausgenommen.

Besonders die Übernahme der Krim kostet die Russen viel Geld

Es dürfte eine Menge heftiger Debatten geben in Moskau, natürlich nicht öffentlich. Es gibt auch Stimmen wie die von Michail Schamolin, dem Präsidenten der Holding Sisteam, der in einem Wedomosti-Interview die Auswirkungen für Russland für unwesentlich hält, solange die Preise auf dem Energiemarkt nicht fallen. Er habe auch bisher nicht den Eindruck, dass sich westliche Banken gegen Kreditwünsche sperren würden.

Aber eine Ahnung über die verschiedenen Interessen kann Putins langjähriger Finanzminister Alexej Kudrin verschaffen. Beide haben sich in der Vergangenheit oft ihrer Freundschaft versichert, was Kudrin jetzt nicht davon abhält, den Kurs des Kremls zu geißeln. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur Itar-Tass sagte er dieser Tage, dass sich Russland nicht militärisch in den Osten der Ukraine einmischen dürfe. Dies hätte nicht zu kontrollierende Risiken für die Wirtschaft, für die Politik, für das Militär. Und falls sich der Militärhaushalt weiter erhöhe, würden die Wirtschaft und der Lebensstandard in Russland leiden. Geradezu süffisant sagte Kudrin:"Das ist, als könnten wir gleich 15 bis 20 Prozent unseres Gehalts abgeben."

ukraine

Quelle: SZ-Grafik

Moskau durchdenkt derweil einige Modelle, wie es die Folgen möglicher Sanktionen abmildern könnte. "Lokalisierung" ist eines der Stichwörter. Russland will die heimische Industrie ankurbeln, auch ausländische Unternehmen dazu bewegen, ihre Produktionsstätten nach Russland zu verlegen, das würde dort Arbeitsplätze schaffen. Ob dies in dem gewünschten Maß allerdings funktioniert, ist fraglich in Zeiten, in denen Russland mehr denn je auf Investitionen und technisches Know-how aus dem Ausland angewiesen ist.

Schon jetzt aber gibt es Lasten, die verteilt werden müssen - zum Beispiel, weil die Übernahme der Halbinsel Krim viel Geld kostet. Strom, Wasser, der Bau einer Landbrücke, Löhne, Renten, die - wie von Moskau versprochen - auch noch höher sein sollen als die, welche die Krim-Anwohner bisher vom ukrainischen Staat erhalten haben.

Am Mittwoch beriet das russische Parlament deshalb über einen Solidaritätszuschlag für Reiche, die mehr als eine Millionen Rubel im Monat verdienen (etwa 21 300 Euro). Deren Einkommensteuer könnte mit dem Gesetzentwurf von 13 auf 30 Prozent steigen.

Erste Konsequenzen sind im Land schon spürbar. Nach einem Bericht des britischen Telegraph haben russische Unternehmer nach dem Absturz des Fluges MH17 damit begonnen, wegen der scharfen Sanktionsdrohungen von Premierminister David Cameron Aktiva aus London abzuziehen, dem wohl wichtigsten Finanzplatz für russische Oligarchen. Allenthalben scheint es also unbequemer zu werden. Und dazu passt auch ein Bericht von Moody's, demnach der staatliche Ölkonzern Rosneft mit Problemen rechnen müsse, in den nächsten Jahren seine Schulden zu refinanzieren.

Wie schnell die europäisch-russischen Kalamitäten auf einzelne Unternehmen durchschlagen können, selbst wenn sie gar nicht direkt von Sanktionen betroffen sind, zeigt das Beispiel des St. Petersburger Reiseanbieters Newa, das von Wladimir Strschalkowskij mitgegründet wurde, einem Freund Putins, wie das russische Medienportal newsru.com schreibt. Newa ist seit einigen Tagen bankrott, und in der Firma kursiert der Vorwurf, dies habe auch mit "einigen ausländischen Partnern zu tun". Diese reagierten wegen der angespannten Beziehungen zwischen Russland und Europa "schon auf kleinste finanzielle Verzögerungen gerade besonders scharf".

Das darf einen nicht wundern.

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