Kolumne "Er sagt, sie sagt":"Willst du uns vergiften?"

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Sie kauft nur bio. Er findet: Man kann es auch übertreiben mit der gesunden Ernährung.

(Foto: iStock)

Beim Lebensmittelkauf gehen die Meinungen öfter mal auseinander. Sie legt Wert auf bio, er mag es schnell und günstig. Ein Beziehungsdrama in Dialogform.

Von Violetta Simon

Sie: Huch, was ist das denn - Fertigpizza, Salatsoße aus der Flasche, Wurst in der Packung? Jedes Mal, wenn du einkaufen gehst, ist unser Kühlschrank vollgestopft mit Plastikverpackungen und Fertiggerichten. Allein diese Wurst, die ist total ungesund! Weißt du überhaupt, was da alles drin ist? (Sie liest aus der Zutatenliste vor) Nitritpökelsalz! Und Geschmacksverstärker! Außerdem Stabilisatoren, Säuerungsmittel, Antioxidationsmittel, Konservierungsstoffe und Farbstoff. Warum kaufst du nur immer diesen Schrott? Willst du uns vergiften?

Er: Das ist kein Schrott. Das ist praktisch. Und außerdem um einiges günstiger als dein Biozeug. Wenn ich mitansehen muss, wie du Woche für Woche unser Haushaltsgeld in den Bioladen trägst, treibt es mir die Tränen in die Augen. Ich habe das Gefühl, unsere Ersparnisse verschwinden nach und nach in einer Art Wurmloch. Die reiben sich bestimmt jedesmal die Hände, wenn du mit deiner Jutetasche um die Ecke kommst.

Sie: Verstehst du denn nicht? Es geht hier um unsere Gesundheit! Das sollte keine Frage des Geldes sein. Ich rette dich vor Allergien, wenn nicht gar vor Darmkrebs und noch Schlimmerem! Aber du bist ja schon aus Prinzip gegen alles, was im Verdacht steht, gesund zu sein.

Er: Das ist eine hundsgemeine Unterstellung. Im Gegensatz zu dir bin ich nämlich äußerst tolerant, was Essen angeht. Wegen mir darf es auch gerne mal was Gesundes sein, hab ich kein Problem damit! Und das werde ich dir jetzt beweisen! Ich werde, ohne mit der Wimper zu zucken, unsere Altersvorsorge in mondumtanztes Mineralwasser und biologisch-dynamisches Himalayasalz investieren. Nur, damit du zufrieden bist. Schau! (Schnappt sich die Jutetasche und wedelt damit vor ihrer Nase herum) Ich nehme sogar diesen dämlichen Beutel mit.

Sie: Na prima, da wünsch ich viel Spaß. Und du bist sicher, dass ich nicht mitkommen soll?

Er schüttelt wild entschlossen den Kopf. Dann rollt er den Jutebeutel zu einer Wurst, steckt ihn in seine Jackentasche und verlässt das Haus. Nach zehn Minuten läutet das Telefon.

Er: Ich bin's. Ich dachte, wir könnten unser Brot mal selber machen, mit so einer Backmischung. Aber es gibt hier so viele verschiedene Getreidesorten, dass mir schon ganz schwindlig ist! Warte, ich les mal vor: Dreikorn, Vollkorn, Multikorn, Dinkel-Vollkorn, Roggen-Dinkel-Vollkorn, Keimling-Dinkel, Dinkel hell, Roggen, Buchweizen, Kürbiskern, Kamut ... was zum Teufel ist Kamut?

Sie: Nimm einfach Dinkel-Vollkorn.

Er: Alles klar, bis dann.

Es läutet wieder.

Er: Ich bin's nochmal. Einige von den Backmischungen sind glutenfrei - ist das gut oder schlecht?

Sie: Beides. Gut für den Bauch, schlecht für die Form des Brotes. Kommt darauf an, was dir wichtiger ist. Und sonst, kommst du klar so weit?

Er: Absolut. Ich hab's im Griff. Äh ... fällt dir noch was ein, was wir brauchen?

Sie: Gemüsebrühe ist aus.

Nach einigen Minuten läutet es erneut.

Er: Ich glaube, die wollen mich hier auf den Arm nehmen: Auf der Gemüsebrühe steht "vegetarisch". Die andere ist "vegan". Soll ich nicht doch lieber Rindsbrühe nehmen? Da weiß ich wenigstens, was drin ist.

Sie: Um Himmels willen, bloß nicht. Nimm am besten die vegane Gemüsebrühe, sicher ist sicher.

Das Telefon.

Er: Ich bin jetzt bei den Nudeln. Da gibt es welche, die sind laktosefrei. Seit wann ist in Nudeln Milch enthalten?

Sie: In Nudeln ist keine Milch.

Er: Wenn keine Laktose drin sein kann, in den Nudeln. Dann darf da auch nicht laktosefrei draufstehen, auf den Nudeln. Also, warum steht das dann da?

Sie: Vermutlich, damit Menschen mit Laktose-Intoleranz sicher sein können, dass sie keinen Milchzucker erwischen.

Er: Aber das ergibt keinen Sinn! Ebenso könnte man darauf hinweisen, dass die Nudeln keinen Alkohol enthalten.

Sie: Interessanter Vorschlag, warum fragst du nicht die Verkäuferin? Ach ja: Bringst du noch etwas Käse mit?

Horror an der Käsetheke

Das Telefon.

Er: Wie hältst du das nur aus? Ich stehe hier seit geschlagenen zehn Minuten in der Schlange an der Käsetheke und darf einen Menschen dabei beobachten, wie er ein Brötchen belegt. Hier noch ein Scheibchen Gurke, dort ein bisschen gemahlenen Pfeffer. Und das Beste daran: Ich scheine der Einzige zu sein, den das juckt.

Sie: Das nennt man Service, mein Lieber. In so einem Laden nimmt man sich eben Zeit für seine Kunden.

Er: Der macht mich wahnsinnig! Wie der schon geht - in Zeitlupe! Wie kann man mit dieser Einstellung in der offenen Marktwirtschaft bestehen! Hoffentlich geht das später an der Kasse ein bisschen schneller. Ah, endlich. Jetzt bin ich dran. Ich meld mich später.

Wieder klingelt das Telefon.

Er: Ich wollte Käse! Einfach nur Käse! Und der will von mir wissen, ob ich Käse mit Kuhmilch möchte, laktosefreien Käse oder doch lieber Ziegenkäse. Was sag ich dem denn jetzt?

Sie: Ganz ruhig bleiben. Nimm einfach einen laktosefreien Gouda.

Es läutet noch einmal.

Sie: Persönliche Einkaufsberatung, was kann ich für Sie tun?

Am anderen Ende meldet sich eine unbekannte Stimme; sie gehört einer Verkäuferin aus dem Biosupermarkt. Verzeihung, sind Sie die Ehefrau von diesem komischen Kauz?

Sie: Was ist denn passiert?

Verkäuferin: Ihr Mann hat den Kollegen an der Käsetheke mit einem Stück laktosefreiem Gouda beworfen, weil er gefragt wurde, ob er an einer Intoleranz leide. Danach hat er jede einzelne Verkäuferin gefragt, ob in unseren Nudeln auch wirklich kein Alkohol enthalten ist. Außerdem hat er die Backmischungen nach Getreidesorten alphabetisch geordnet. Als es ihm an der Kasse nicht schnell genug ging, hat er sich einen Träger Mineralwasser - Vollmondabfüllung - geholt und ist um ihn herumgetanzt.

Sie: Er hat getanzt?

Verkäuferin: Ja. Anschließend hat er in der Gemüseabteilung randaliert und eine Kundin mit einer Salatgurke bedroht. Am Ende hat er ein bisschen in unser Kräutersortiment geweint. Soeben ist er beim Anblick der biologischen Brotaufstriche zusammengebrochen. Wäre nett, wenn Sie ihn abholen könnten, das macht keinen guten Eindruck, wenn Sie verstehen.

Im Hintergrund hört man ihn jetzt rufen.

Er: Auf dem Rote-Beete-Aufstrich von Zwergenwiese tanzt die kleine Hildegard von Bingen und schlürft Harmonie-Tee. Schubiduu!

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