"Schön doof": Anteilnahme auf Facebook:Tote zwischen Katzenvideos

"Schön doof": Anteilnahme auf Facebook: Blutige Realität zwischen Katzenvideos: Wer grausame Bilder getöteter Kinder teilt, will zeigen, dass er vor keinem Anblick zurückschreckt, um sein Interesse an der Weltrettung zu symbolisieren.

Blutige Realität zwischen Katzenvideos: Wer grausame Bilder getöteter Kinder teilt, will zeigen, dass er vor keinem Anblick zurückschreckt, um sein Interesse an der Weltrettung zu symbolisieren.

Wer auf Facebook die Gesichter getöteter Kinder postet, will damit sein Interesse an der Weltrettung zeigen. Doch solche Bilder zu veröffentlichen, zeugt von moralischer Überheblichkeit und Respektlosigkeit gegenüber den Opfern.

Von Vera Schroeder

In meiner aktuellen Facebook-Timeline fragt mein Freund F., ob jemand ein paar geheime Urlaubstipps für den Gardasee hat. Darunter zeigt M. ein lustiges Video, in dem ein großer, brauner Hund mit riesigen Schlappohren versucht, einen auf dem Küchentisch stehenden Fressnapf zu erwischen, wobei die haarigen Ohren bei jedem Hüpfer sehr komisch in die Luft fliegen.

Und noch eins darunter hat G. gerade eine Bildergalerie geteilt. Fünf Bilder, auf denen die zerfetzten Körper getöteter Kinder zu sehen sind. Erloschene Gesichter, tote, noch geöffnete Augen, verstaubte, blutbefleckte Reste von Kleidungsstücken oder Körperteilen. "Gaza 2014. Ohne Worte" schreibt G. dazu.

Ich habe überhaupt kein Problem damit, dass meine Handylektüre gerade mein Frühstück versaut. Es stört mich auch nicht, dass diese Bilder unmittelbar vor den süßen Babykatzenfotos auftauchen, die L. so gerne postet. Ich frage mich nur, was genau G. mir damit sagen will, wenn er solche Bilder über Facebook teilt. Oder, wie es die Journalistin Suzanne Moore vor ein paar Tagen in einem Artikel für den Guardian formulierte: "Ich muss keine Bilder von toten Kindern mehr sehen, um einen Waffenstillstand zu wollen!"

Fehlender Respekt gegenüber den Toten und ihren Familien

Moore regt sich vor allem über den fehlenden Respekt den Toten und ihren Familien gegenüber auf. Es habe mal eine Zeit gegeben, schreibt sie, in der Medien sehr genau darüber nachdachten, welche Bilder man veröffentlichen darf und welche lieber nicht. Diese Grenzen seien in den sozialen Netzwerken komplett gefallen.

Egal woher, egal wie alt, egal wie überprüfbar oder eben nicht: Auf Twitter und Facebook würde das offensichtliche Drama getöteter Kinder geteilt, als könne jeder Konflikt dieser Erde auf diese simple optische Botschaft reduziert werden: Tote Kinder sind schrecklich. Irgendjemand trägt hier die Schuld.

Nur wer? Leider sind die aktuellen Konflikte viel komplexer als diese Bilder. "Ohne Worte" schreibt G. zu seiner Bildergalerie des Grauens. "Zu kompliziert, aber sauschlimm auf jeden Fall", hätte es noch genauer getroffen. Was nicht heißt, dass ich von G. verlange, auf Facebook den Israelkonflikt zu lösen. Auch nicht, dass ich ernstere Debatten im Internet generell ablehne.

Im Gegenteil: Die vielen Diskussionen im Netz einer vermeintlich unpolitischen Generation, die beim Grillen an der Isar ja tatsächlich fast nur noch über Wurstsorten und Fernsehserien spricht, finde ich neu, gut und wichtig.

Der wütende, sendungsbewusste Slacktivist

Was an den Retweets dieser Bilder viel mehr stört, ist die moralische Überheblichkeit, die dahintersteckt. Das plakative behauptete politische Engagement, in Abgrenzung zu all den anderen Facebook-Nutzern, die doch lieber nur Selfies vor der Eisdiele posten. "Seht her, ich nehme teil, ihr ignoranten, hedonistischen Dumpfbacken", schreit mich G. mit diesen Bildern an. "Ich zeig euch mal, was neben eurem Kuschelleben in der echten Welt noch alles abgeht. Ich weck euch mal auf, vor eurem Frühstücksei. Ich symbolisiere hier mal mit einem grausamen Bild die Schizophrenie, in der wir leben - und die ihr blöden Hundebabymenschen ja nicht zu kapieren scheint."

Der wütende, sendungsbewusste Slacktivist*, der wahllos möglichst grausame Bilder getöteter Kinder teilt, will zeigen, dass er vor keinem Anblick zurückschreckt, um sein Interesse an der Weltrettung zu symbolisieren. Auch wenn's wehtut und nur in der besten Absicht, die Unwissenden aus ihrem Tiefschlaf zu wecken.

Dass er dabei die Privatsphäre der Toten missachtet, vergisst er. Dass es sein könnte, dass seine Facebook-Freunde gar nicht geweckt werden müssen, sondern schon erkannt haben, wie dramatisch real die Widersprüchlichkeit unserer Welt gerade ist, kann er schlicht nicht glauben. Und dass er die Quellen dieser Bilder nicht überprüfen kann, ist ihm ganz einfach egal. Oder, wie es Suzanne Moore formuliert: "Indem man solche Bilder großflächig verbreitet, wird die Währung geteilter Menschlichkeit abgewertet. Wir zeigen keinen Respekt vor denen, die in diesen schrecklichen Konflikten leben, indem wir ihre Toten respektlos behandeln."

Dienen Bilder rein zur Illustration?

Der britische Sender BBC fand zuletzt einmal mehr heraus, dass einige der auf Twitter unter dem Hashtag #GazaUnderAttack verbreiteten Fotos bereits aus den Jahren 2007 oder 2009, aus Syrien oder dem Irak stammten. Mit diesen Rechercheergebnissen wurde in der Sendung auch eine junge Frau konfrontiert, die die Bilder zuvor über soziale Netzwerke verbreitet hatte.

Die Frau bedauerte das Missverständnis. Sie habe nicht gewusst, dass die Bilder schon älter waren. Dann rechtfertigte sie sich: Im Grunde, sagte sie, habe sie die Bilder ja nur als eine Art Illustration geteilt. Man müsse das in diesem Fall nicht so genau nehmen. Schließlich sähe Krieg überall ähnlich aus. Das kann aus ihrer Perspektive natürlich so sein. Für die Mütter der getöteten Kinder unterscheidet sich mit Sicherheit jedes einzelne Gesicht.

*Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels war an dieser Stelle von "Gutmenschen" die Rede. Dieser Begriff ist unpassend und wurde deshalb geändert.

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