Antisemitismus und die Linke:Linke streitet über Auftritte bei israelkritischen Demos

Linken-Politiker in Nordrhein-Westfalen reagieren gereizt auf Vorwürfe aus den eigenen Reihen, sie hätten gemeinsam mit Antisemiten gegen Israel demonstriert. Statt sich selbstkritisch zu hinterfragen, gehen die NRW-Linken zum Gegenangriff über.

Von Thorsten Denkler, Berlin

An diesem Freitag werden viele Israelhasser durch die Straßen von Berlin-Charlottenburg ziehen. Wie jedes Jahr am sogenannten "Al-Quds-Tag", dem "Jerusalem-Tag", den einst der iranische Revolutionsführer Ayatollah Chomeini ins Leben gerufen hat. Mehr als 1500 Demonstranten werden erwartet. Ob Politiker der Linken hier mitmarschieren? Der Parteivorstand ist dagegen.

Anders war das auf israel-kritischen Kundgebungen am vergangenen Wochenende in Nordrhein-Westfalen. Führende Mitglieder aus dem Landesvorstand der NRW-Linken und der Bundestagsfraktion hatten alle Warnungen in den Wind geschlagen, besser nicht an den Demos in Köln oder Essen teilzunehmen. Sie unterstützten die Kundgebungen, die von der Linksjugend-NRW und dem linken NRW-Studierendenverband SDS mit organisiert wurden.

Und so redeten der Linken-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat und der Landesvorsitzende Ralf Michalowsky in Essen, sowie Landeschefin Özlem Alev Demirel in Köln. Sie fanden sich vor Menschen wieder, die zum Teil "Adolf Hitler!" oder "Kindermörder Israel!" gerufen haben. So zeigen es zumindest Videos vom Tag der Demonstrationen.

Die große Verschwörung

Im Nachgang rechtfertigten die NRW-Linken die Teilnahme. Sollten Linke an solchen Demonstrationen teilnehmen? "Unsere Antwort darauf lautet selbstverständlich: Ja!", heißt es in einer Stellungnahme.

Es sind Vorgänge, die den Antisemitismusexperten des American Jewish Committee, Stephan Kramer, im Handelsblatt zu dieser Einschätzung bringen: "Ich behaupte nicht, die Linke an sich sei antisemitisch. Sie hat aber ganz offenkundig ein Problem damit, die letztendlich doch bräunlichen Flecken von ihrer roten Fahne zu entfernen."

Matthias Höhn, Bundesgeschäftsführer der Linken, hat genau solche Situationen befürchtet. Plötzlich hat es den Anschein, als gäbe es eine zu große Nähe zwischen israelkritischen Linken und Antisemiten. Auf Facebook hatte er sich nach den Demonstrationen "beschämt" gezeigt.

Statt sich in Selbstkritik zu üben, keilen die Linken in NRW jetzt zurück. Abgeordnete der linken NRW-Landesgruppe im Bundestag haben ein gemeinsames Papier verfasst, in dem sie Höhn namentlich angreifen. "Die Einmischung" von Höhn sei "besonders bedauerlich". Sie halten ihm vor, sich allein aus der Presse über die Vorgänge in Essen und Köln informiert zu haben.

"Offener Affront gegen die Landespartei"

Für die NRW-Linke ist auch der Bundestagsabgeordnete Harald Petzold ein rotes Tuch. Der hatte in Essen auf einer pro-israelischen Demonstration gesprochen. Um, wie er sagte, zu zeigen, dass die Linke nicht "sozusagen automatisch all diejenigen unterstützt, die zu Hass gegen Jüdinnen und Juden aufrufen".

Von den zehn NRW-Abgeordneten der Linken im Bundestag haben neun das Papier unterschrieben. Darunter Fraktionsvize Sahra Wagenknecht und die als Hardliner bekannten Linken-Politikerinnen Sevim Dagdelen, Ulla Jelpke und Inge Höger.

Letztere ist vor einigen Jahren aufgefallen, weil sie auf einem umstrittenen Hilfsschiff für Palästina mitfuhr, das von radikalen türkischen Aktivisten organisiert wurde. Auf ihrer Facebook-Seite hat Höger ein Bild von sich auf der Essener Demo gepostet. Genau hinter ihr ein Plakat mit der Aufschrift: Palästina (als Wort im Bild nicht zu erkennen) "besitzt keine Wehrmacht! Israel! Das ist kein Krieg sondern Völkermord".

Lob für umstrittene Demos

Für seine Abgeordneten-Kollegen aus NRW ist Petzolds Rede ein "offener Affront gegen die Landespartei". Es sei "nicht nachvollziehbar für uns", dass "Petzold auf der antideutschen Gegenkundgebung" gesprochen habe. Das habe es "bisher nicht gegeben, dass prominente Mitglieder unserer Partei direkt daran mitwirken, eine Aktion einer Landesgliederung zu diskreditieren", heißt es in dem Papier. Ungewöhnlich ist allerdings auch, dass sich mit Sahra Wagenknecht eine stellvertretende Fraktionsvorsitzende gegen einen einzelnen Abgeordneten stellt.

Für die umstrittenen Demos finden die NRW-Abgeordneten stattdessen nur Lob. Es seien mit angeblich 5000 Teilnehmern "die größten Veranstaltungen, die von der Linken in NRW seit langem durchgeführt worden sind." Dass es dort keinen Antisemitismus gegeben habe, begründen sie mit einer Meldung der Polizei. Die hatte in Essen von einem friedlichen Verlauf der Demos berichtet. Im direkten Anschluss aber hätten 200 Teilnehmer der Anti-Israel-Demo versucht, die parallele Pro-Israel-Demo zu stören. Es gab acht Festnahmen.

Die Linke NRW will mit all dem nichts zu tun haben. Im Gegenteil:

"Wir halten es für unerträglich, dass nun ausgerechnet aus der eigenen Partei völlig verzerrte, ehrenrührige Vorwürfe kommen, die nicht nur den Erfolg der NRW-Genossinnen und -Genossen schlecht machen, sondern sie gar in die Nähe von AntisemitInnen rücken", heißt es in dem Papier.

Nicht noch mehr Öl ins Feuer

Immerhin appellieren sie an "alle Genossinnen und Genossen, jede einseitige Parteinahme für eine der kämpfenden Parteien zu vermeiden". Das wurde in den Reden der Linken-Politiker auf den Anti-Israel-Demos allerdings so deutlich nicht gesagt.

Inzwischen haben sich - fünf Tage nach Beginn der Debatte - auch die beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger, sowie Fraktionschef Gregor Gysi zu Wort gemeldet. In einer gemeinsamen Erklärung vom 22. Juli erinnern sie ihre Parteigänger an dies: Die deutsche Vergangenheit "verpflichtet auch uns, für das Existenzrecht Israels einzutreten".

Außerdem komme "gemeinsames Agieren mit Antisemiten, mit Menschen, die gegen 'die Juden' offen oder unterschwellig agitieren und mit Menschen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen" für die Linke "nicht in Frage". Ein Satz, der als klare Botschaft an den Landesvorstand der Linken in NRW verstanden werden muss, nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen.

Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau von der Linken kommentierte die Erklärung via Twitter so:

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