Verlust trotz Milliardenumsatz:Anleger im Amazon-Dilemma

Amazon CEO Bezos demonstrates the Kindle Paperwhite during Amazon's Kindle Fire event in Santa Monica

Amazon macht unter Konzernchef Bezos mehr als 19 Milliarden Dollar Umsatz - und trotzdem Millionenverluste.

(Foto: REUTERS)

Der Online-Händler Amazon wächst, doch um welchen Preis: 126 Millionen Dollar Verlust im vergangenen Quartal - das kommende soll noch schlimmer werden. Fragt sich, wie lange Konzernboss Jeff Bezos die Geduld seiner Aktionäre strapazieren kann.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Bisweilen wirkt Jeff Bezos wie ein Kind, das am Straßenrand ein paar Dollar durch den Verkauf selbst gemischter Limonade verdient. Statt den Profit auszugeben, zum Beispiel für leckere Eiscreme, will es mehr. Viel mehr: Verkaufsstände an jeder Straßenecke, kostenlosen Lieferservice für besonders durstige Kunden, eine eigene Zitronenplantage, womöglich gar die Entwicklung einer neuen Frucht auf einem anderen Planeten. Wenn aber die Eltern dem Kind sagen, all diese Pläne seien zwar ganz wunderbar, jedoch auf Jahre hinaus keinesfalls profitabel, da zuckt dieses Kind nur mit den Schultern und sagt: "Na und?"

Bezos ist kein Kind, der 50-Jährige ist der Gründer und Chef von Amazon. Das Unternehmen verkündete am Donnerstag, dass der Umsatz - wie von Branchenexperten erwartet - im Vergleich zum Vorjahresquartal um 23 Prozent auf 19,3 Milliarden US-Dollar anstieg. Allerdings präsentierte Amazon auch - von Branchenexperten keineswegs erwartet - einen Verlust von 126 Millionen Dollar, also 27 Cent pro Anteil. Und es kam noch schlimmer: Im nächsten Quartal soll der Verlust zwischen 410 und 810 Millionen Dollar betragen. Das ließ denn auch Anleger unruhig werden, die Bezos' Strategie bislang durchaus goutiert hatten, die Aktie gab nach Handelsschluss um knapp zehn Prozent nach.

"Das ist schon ein gewaltiges Kunststück", sagt Colin Gillis vom Finanzdienstleister BGC Partners: "Es ist schwer, 20 Milliarden Dollar Umsatz zu machen, aber keinen Profit. Die Skepsis wächst, Anleger müssen ihre Aussicht auf Rentabilität wieder einmal nach hinten schieben." Andere Branchenexperten merken bereits seit Monaten an, dass Amazon noch immer nicht bewiesen habe, genug Profit erwirtschaften zu können, um den Wert der Firma zu rechtfertigen. Bereits im Frühling hatte die Amazon-Aktie gewaltige Verluste hinnehmen müssen, sich dann aber wieder erholt. Jeff Bezos dagegen scheint derzeit nur mit den Schultern zu zucken und zu sagen: Na und?

"Wir versuchen nicht, den kurzfristigen Profit zu erhöhen"

In einer Presseerklärung zählt Bezos die zahlreichen Investitionen von Amazon auf, wie schon zuvor, verzichtete er sowohl auf die Veröffentlichung von Details aus einzelnen Geschäftsbereichen wie auch auf das Telefonat mit Analysten. Er ließ sich von Finanzchef Thomas Szkutak vertreten, der bloß lapidar erklärte: "Wir versuchen nicht, den kurzfristigen Profit zu erhöhen. Wir investieren für unsere Kunden und Anleger, und wir sind froh, diese Möglichkeiten zu haben." Auf die Frage, ob überhaupt und wann sich denn all diese Investitionen auszahlen würden, forderte Szkutak die Zuhörer auf, doch einfach mal abzuwarten.

Szkutak verwies darauf, dass die Anzahl der Abonnements für Amazon Prime trotz eines Preisanstiegs von 79 auf 99 Dollar pro Jahr "schön gewachsen" sei, und dass das Unternehmen in den kommenden drei Monaten mehr als 100 Millionen Dollar für die Entwicklung eigener kreativer Formate ausgeben wolle. Kürzlich wurde etwa bekannt, dass der Oscar-prämierte Regisseur Steven Soderbergh damit beauftragt wurde, die Serie "Red Oaks" exklusiv für den Streamingdienst des Unternehmens zu produzieren.

Amazon bringt in 18 amerikanischen Städten auch am Sonntag Pakete zu den Kunden, es gibt in San Francisco, Manhattan und Los Angeles den Service "Shopping Express", bei dem bis 16.30 Uhr bestellte Waren noch am selben Abend ausgeliefert werden. Über das Projekt "AmazonFresh" bekommen die Kunden Lebensmittel, es gibt die E-Book-Flatrate "Kindle Unlimited", das Unternehmen experimentiert mit Lieferdrohnen - und natürlich kommt am Freitag das Telefon "Fire Phone" in den USA auf den Markt, auf das Technikfreaks jedoch eher zurückhaltend reagiert haben.

Bezos will nicht nur viel Geld verdienen

An Ideen scheint es dem Unternehmen nicht zu mangeln, und ja, Bezos hat noch immer den Traum, Menschen ins Weltall zu schicken. Auch dieses Projekt zeigt, wie dieser Mensch tickt - schließlich hatte er bereits im Alter von 18 Jahren in einem Interview mit dem Miami Herald erklärt, er würde gerne "Weltraumhotels, Freizeitparks und Kolonien für zwei oder drei Millionen Menschen errichten, die um die Welt kreisen". Bereits im Jahr 2000 hat er dafür die Firma Blue Origin gegründet, mittlerweile soll er mit dem Weltraumfanatiker Richard Branson zusammenarbeiten. Bezos will also nicht nur viel Geld verdienen, er will, dass seine Visionen Wirklichkeit werden.

Nur: Bezos führt ein Unternehmen, das an der Börse gehandelt wird. So sehr die Anleger bislang seiner gewaltigen Expansionsstrategie vertraut haben, so gerne würden sie dann doch auch irgendwann einmal von ihrer Geduld profitieren. Sie werden, das zeigen die gewaltigen Kursschwankungen in diesem Jahr, mittlerweile nervös. Zumal da Bezos zuletzt feststellen musste, dass er nicht mehr der einzige Limonadenverkäufer an den Straßenecken ist.

Konkurrenz aus China

Die chinesische Plattform Alibaba ist eine Art eierlegende Wollmilchsau im Internet, eine Mischung aus Amazon und Ebay, ein bisschen auch wie Facebook. Amerikanische Händler nutzen die Plattform bereits, um billig in China einkaufen zu können. Das Unternehmen erreichte im vergangenen Geschäftsjahr bei einem Umsatz von 8,4 Milliarden Dollar einen Gewinn von 3,7 Milliarden Dollar und plant gerade einen gewaltigen Börsengang. Von September an sollen Anteile des Unternehmens in New York gehandelt werden, Experten prognostizieren, Alibaba werde mehr als 22 Milliarden Dollar einnehmen und womöglich insgesamt höher bewertet als Amazon.

Die Reaktion von Bezos auf Alibaba: Na und? "Wir konkurrieren mit allen möglichen großartigen Unternehmen, der Börsengang macht keinen Unterschied", sagte er kürzlich in Seattle bei einem Treffen der Aktionäre - und erwähnte ganz nebenbei, dass Amazon auch in China Waren ausliefere. Bezos lässt also nicht erkennen, ob er sich Sorgen macht. Die Frage ist aber, wie lange die Anleger diese Haltung goutieren, wie lange sie darauf vertrauen, dass die Visionen dieses Mannes nicht nur wahr werden, sondern auch Profit abwerfen.

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