Frage an den SZ-Jobcoach:Wie beendet man die Selbstausbeutung?

Leser Martin R. möchte seiner Frau helfen: Sie ist in ihrem Job unverzichtbar, bekommt aber trotzdem seit Jahren zu wenig Gehalt. Soll er ihr zur Kündigung raten?

SZ-Leser Martin R. fragt:

Meine Frau ist äußerst engagiert und macht einen unverzichtbaren Job. Selbst wenn sie mal ein paar Tage krank ist, geht sie nicht zum Arzt, sondern bummelt Überstunden ab. Trotzdem hat sie in den letzten acht Jahren lediglich 100 Euro Gehaltsaufbesserung erhalten. Eine Tarifbindung gibt es in der kleinen Firma nicht.

Sie hat studiert, kann sich aber nicht gut verkaufen. Als Mann hätte ich mir längst einen anderen Job gesucht. Aufgrund des in einigen Jahren bevorstehenden Ruhestandes und des guten Betriebsklimas erduldet sie die frustrierende Situation, was die Anerkennung betrifft. Wie kann ich ihr helfen?

Christine Demmer antwortet:

Lieber Herr R., der Arbeitgeber Ihrer Frau ist zu beneiden. Viele wünschten sich solche verständnisvollen und geduldigen Mitarbeiter, denen mehr an der Arbeit als an sich selbst gelegen ist. Diese Haltung findet man oft bei lebenserfahrenen Frauen in sozialen, pflegenden, erziehenden und lehrenden Berufen. Sie wissen, dass ihre Arbeit wichtig und für die Gesellschaft wertvoll ist. Und dass sie eigentlich ein hohes Gehalt verdienen würden. Sie verstehen aber auch die wirtschaftlichen Zwänge des Arbeitgebers, und sie sehen die vielen Wettbewerberinnen auf dem Arbeitsmarkt. Nach den Gesetzen des Marktes spricht das für ein niedriges Gehalt.

In diesem Zwiespalt messen viele Frauen dem Tauschwert ihrer Arbeit, das ist die Summe aus Einkommen und materiellen Nebenleistungen, ein geringeres Gewicht bei, als es einem Außenstehenden wie Ihnen geboten scheint. Denn aus ihrer Sicht gleicht der hohe Wert der Arbeit die nicht dazu passende Vergütung aus. Jedenfalls wenn der Chef das auch anerkennt!

Das Lob für die geleistete Arbeit, die Bestätigung der Wichtigkeit des Tuns, der ehrlich gemeinte Dank für die Verzichtsbereitschaft beeinflusst bewusst oder unbewusst ihre individuelle Arbeitszufriedenheit, und zwar nicht wenig. Spart der Chef mit dieser Anerkennung, dann macht sich Enttäuschung breit. Und mit der Frustration wächst das mulmige Gefühl, irgendeinen Faktor in der Rechnung falsch kalkuliert zu haben.

Menschen, die sich ihres Wertes bewusst sind, ziehen an diesem Punkt einen Schlussstrich und versuchen, anderswo eine neue, auf fairen Ausgleich zielende Rechnung aufzumachen. Sie zum Beispiel würden sich einen neuen Job suchen. Aber vielen anderen ist das nicht die Mühe wert. Sie rechnen sich den Deal irgendwie schön.

Was zu der Frage führt, wobei Sie Ihrer Frau helfen wollen. Soll sie sich auf die Hinterbeine stellen und mehr Gehalt verlangen? Dann gehen Sie mit ihr zusammen die Rechnung durch: Wie hoch ist ihr Arbeitsaufwand, wie hoch ist ihr Arbeitsertrag, wie groß ist die Lücke, und welche Argumente könnten den Arbeitgeber überzeugen? Oder soll sie Ihrer Meinung nach beim Vorgesetzten mehr Anerkennung einfordern? Dazu muss sie den Mund aufmachen. Es könnte ihr Selbstvertrauen steigern, wenn Sie das Gespräch vorher mit ihr einstudieren.

Oder soll sie, im ersten Schritt ganz allgemein und im zweiten sowohl auf das Gehalt als auch auf die Anerkennung zielend, den Wert ihrer Arbeit als den erkennen, den Sie darin sehen? Das wird ein gutes Stück schwieriger. Denn niemand wechselt seine Wertvorstellungen so leicht wie Kleider. Beginnen Sie deshalb lieber pragmatisch und seien Sie Ihrer Frau ein verständnisvoller Coach. Einer, der weiß, dass letztlich jeder Mensch seines Schicksals eigener Schmied ist.

Christine Demmer arbeitet als Wirtschaftsjournalistin in Deutschland und Schweden. Sie ist Managementberaterin, Coach und Autorin zahlreicher Sachbücher zu Management-, Kommunikations- und Personalthemen.

Haben Sie auch eine Frage zu Bewerbung, Berufswahl, Etikette, Arbeitsrecht, Karriereplanung oder Führungsstil? Schreiben Sie ein paar Zeilen an coaching@sueddeutsche.de. Unsere sechs Experten beantworten ausgewählte Fragen im Wechsel. Ihr Brief wird selbstverständlich anonymisiert.

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