Ukraine:Rebellen verteilen Maulkörbe und Handschellen

Malaysia Airlines plane crashes in eastern Ukraine

Ein prorussischer Separatist kniet an der Absturzstelle von Flug MH17 in der Ostukraine.

(Foto: dpa)

Wo sie die Kontrolle haben, drangsalieren Rebellen in der Ostukraine lokale wie internationale Journalisten nach Kräften. Jüngstes Opfer: ein 25 Jahre alter Mitarbeiter der "Süddeutschen Zeitung".

Von Florian Hassel

Der Dienstag dieser Woche war Anton Skibas erster Arbeitstag als Fixer für den US-Fernsehsender CNN, als lokaler Journalist also, der ausländische Reporter unterstützt, Termine macht oder übersetzt. Je brenzliger eine Krise und eine Region, desto notwendiger sind solche Helfer mit Ortskenntnis für ausländische Korrespondenten, desto gefährlicher aber auch das Geschäft für die Fixer selbst. Trotz seiner erst 25 Jahre hatte Skiba, zuvor in seiner Heimatstadt Donezk Reporter beim lokalen Internet-Nachrichtendienst Novosti Donbassa, im Konflikt in der Ostukraine schon reichlich Erfahrung in diesem Job gesammelt, auch als Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung.

Ein lokaler Fixer muss zwischen den Fronten lavieren. In der Ostukraine heißt das: Kontakte sowohl zum ukrainischen Militär pflegen als auch zu den Separatisten. Skiba, der auch für ein Moskauer Magazin fotografierte, tat dies, doch weckte er offenbar trotzdem das Missfallen der Rebellen der selbst ausgerufenen "Volksrepublik Donezk".

Anton Skiba hilft ausländischen Medien als "Fixer"

Anton Skiba, 25, dient ausländischen Medien als "Fixer". Er hilft ihnen, sich ein unabhängiges Bild vom Konflikt in der Ukraine zu machen. Am Dienstagmorgen hatte er seinen ersten Auftrag bei CNN, am Abend entführten ihn die Rebellen.

(Foto: oh)

Am Dienstagabend kamen drei bewaffnete Separatisten in das Donezker Hotel Donbass Palace, in das die CNN-Crew mit Skiba nach Recherchen an der Absturzstelle der mutmaßlich von den Rebellen abgeschossenen Boeing der Malaysia Airlines zurückgekehrt war. Die Rebellen legten Skiba Handschellen an und entführten ihn, angeblich wird er in Donezk im früheren Hauptquartier des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU gefangen gehalten. Das SBU-Quartier ist seit Monaten von den Separatisten besetzt.

Redaktion verwüstet, Ausrüstung gestohlen

Die Entführung Skibas passt zum immer schärferen Vorgehen gegen unabhängige Berichterstattung. Wo die Rebellen die Kontrolle gewannen, schalteten sie ukrainische Fernsehsender ab und ersetzten sie durch russisches Staatsfernsehen. Schon in den vergangenen Monaten haben Separatisten Reporter oder Redakteure von Lokalzeitungen oder lokaler Internet-Nachrichtendienste wie Novosti Donbassa, Ostro oder 62.ua um freundliche Berichterstattung ersucht, und wenn das nicht half, bedrohten sie die Journalisten, verwüsteten Redaktionsräume, zündeten Wagen an, schossen gar auf sie.

In Slawjansk hielten Rebellen ukrainische Reporter, die sie als Kiewer Spione verdächtigten, teils mehrere Wochen gefangen. In Lugansk entführten sie am 6. Juli Darja Schatalowa und Sergej Sakadynsij vom Nachrichtenportal Politika 2.0. Als sie nach einem Tag freigelassen wurden, war ihre Redaktion verwüstet und die Ausrüstung gestohlen. Viele lokale Journalisten sind aus dem Osten der Ukraine geflohen, die wenigen, die bleiben, arbeiten oft incognito und von wechselnden Orten aus.

Auch die Kiewer Regierung ist wenig an unabhängiger Berichterstattung interessiert und verbreitet bei Briefings in Kiew oft übertriebene Erfolgsmeldungen, spielt Verluste des eigenen Militärs beim als "Anti-Terror-Operation" verbrämten Krieg im Osten ebenso herunter wie die bereits in die Hunderte gehenden Todeszahlen von ukrainischen Zivilisten, die bei fehlgehenden Bombardierungen des ukrainischen Militärs sterben. Anton Skiba gehört zu einer Handvoll lokaler Journalisten, die vor Ort blieben und neben eigener Arbeit ausländischen Reportern helfen, sich ein unabhängiges Bild zu machen. Skiba wusste, wo die Rebellen gerade gegen die ukrainische Armee kämpften und wo es vergleichsweise sicher war; wo man besser keinen Fuß von der Straße setzte, weil daneben noch nicht explodierte Munition eines vergangenen Gefechts liegen könnte. Und er wusste, welche Donezker Bürger, Lokalpolitiker, Aktivisten oder Geschäftsleute noch nicht vor dem Krieg oder Drohungen der Separatisten geflohen und womöglich zu einem Interview bereit waren.

In den ersten Monaten des Konflikts gaben die Vertreter der "Volksrepublik Donezk" zumindest an ausländische Journalisten unbürokratisch Presseausweise aus. Diese halfen, Straßensperren der Rebellen meist schnell zu passieren und Auskünfte von Rebellen zu bekommen. Rebellenführer wie Dennis Puschilin luden regelmäßig zu Pressekonferenzen in den elften Stock des von den Separatisten besetzten Sitzes des Gouverneurs der Region Donezk.

Die zumindest in Donezk vergleichsweise offene Informationspolitik begann sich zu ändern, nachdem der militärische Oberbefehlshaber der Rebellen, der russische Geheimdienstoberst Igor Girkin (Kampfname "Strelkow"), Anfang Juli vom vorherigen Rebellenstützpunkt Slawjansk nach Donezk umgezogen war. Girkin war Ende April von der Krim in die Ostukraine gekommen und "Verteidigungsminister" der Rebellen geworden. Seither äußerte er sich vor allem im Internet oder gegenüber geheimdienstnahen russischen Fernsehsendern, Zeitungen oder Infodiensten. In Slawjansk wurden auch ausländische Journalisten wiederholt festgenommen. Ein Reporter der liberalen Moskauer Wochenzeitung Nowaja Gaseta wurde entführt und ausgeraubt, nachdem er im Mai über den wenig demokratischen Verlauf eines "Referendums" der Rebellen berichtet hatte.

Nach dem Abschuss von MH17 nahmen die Rebellen zehn Journalisten internationaler Medien wie der BBC oder Time fest, die zur Absturzstelle wollten. Auch eine Reporterin der New York Times wurde mehrmals von Rebellen festgesetzt. Am Montag dieser Woche verbot Girkin allen Journalisten, sich "während Kampfhandlungen in oder in der Nähe militärischer Objekte aufzuhalten" oder Kämpfe zu fotografieren oder aufzunehmen. Da Girkin schon zuvor fast jedes Gebiet der Ostukraine als Zone militärischer Konflikte bezeichnet und mit dieser Begründung zunächst auch den Zugang zur Absturzstelle von MH17 eingeschränkt hatte, dürfte der Erlass vor allem den Zweck verfolgen, beliebig gegen Journalisten vorgehen zu können.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: