Nissan GT-R im Test:Beim ersten Mal tut's noch weh

Der Nissan GT-R im Fahrbericht

Der Nissan GT-R ist schneller als ein Porsche 911 Turbo S - kostet mit 96 400 Euro aber nur die Hälfte.

(Foto: Nissan)

Ein Sportwagen soll Spaß machen. So wie der Nissan GT-R mit 550 PS. Aber wie viel bleibt davon übrig, wenn man auf der Autobahn stundenlang jede Bodenwelle spürt? Ein Selbstversuch.

Von Felix Reek

Zuerst fallen diese riesigen Auspuffrohre auf. Vier Stück an der Zahl, in der Größe der Oberschenkel von Ben Johnson bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul. Als dieser vollgepumpt mit illegalen Substanzen den Startblock in Grund und Boden trat und die Goldmedaille über 100 Meter gewann.

Doping ist auch der einzige passende Begriff, der einem beim Nissan GT-R einfällt: 550 PS, V6-Biturbomotor, Doppelkupplungsgetriebe, von null auf 100 in 2,7 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 315 km/h, zum Preis von etwa 96 000 Euro. Auf der Teststrecke des britischen Automagazins Top Gear schlug er bei seinem Debüt 2008 Aston Martin DB9, Ford GT und Lamborghini Murciélago LP640.

Die Sinnfrage sollte man bei solch einem Auto besser nicht stellen. Es gibt keinen, vom Spaß mal abgesehen. Dabei gilt der Nissan GT-R als alltagstauglicher Sportwagen. Der Kofferraum ist mit 315 Litern geradezu opulent für ein Auto dieser Art, auf den Notsitzen können tatsächlich zwei Personen Platz nehmen - wenn keiner von ihnen über 1,70 Meter groß ist. Aber es gibt auch die ruppige Seite des GT-R. Das straffe Fahrwerk zum Beispiel oder der Geräuschpegel, der nicht nur von Motor und Auspuff herrührt, sondern auch vom Fahrwerk, dem Getriebe und den Differentialen. Kein Problem bei einer ein- oder zweistündigen Tour am Wochenende durch die Berge. Führt der Weg über mehrere Stunden auf der Autobahn stur geradeaus, bleibt vom Fahrspaß jedoch nicht viel übrig. Oder?

Um das zu testen, mache ich mich an einem Freitagabend im Nissan GT-R auf den Weg von München in das rund 420 Kilometer entfernte Wiesbaden. Die Sitze des Sportwagens empfangen mich wie die Hände eines türkischen Masseurs. Hin- und Herrutschen unmöglich. Ich starte den Motor und der Nissan grollt tiefbrummend auf. Nur ein kleiner Druck auf das Gaspedal genügt und der Sportwagen schießt nach vorn. Separate Kupplungen sorgen dafür, dass es beim Schalten keine Verzögerungen gibt. Eine von ihnen übernimmt die geraden Gänge, die andere die ungeraden. Die Automatik wechselt blitzschnell die Gänge, im Sportmodus "R" in 0,15 Sekunden. Die Beschleunigung ist immens und presst mich in den Sitz. Das ist besser als jede Achterbahn. Während Standardfahrzeuge jede Bodenwelle schlucken, spürt man sie im GT-R. Selbst die Beschaffenheit des Fahrbahnbelags ist durch das Lenkrad zu erahnen. Trotzdem ist der Nissan irgendwie bequem.

Der Innenraum des Nissan GT-R

Herumrutschen gibt es nicht in den Sitzen des Nissan GT-R. Sie umfassen seinen Fahrer wie die Hände eines türkischen Masseurs.

(Foto: Nissan)

Ein Bordcomputer direkt aus der PlayStation

Nach einer Stunde stehe ich im ersten Stau. Zeit, sich mit dem Innenleben des Sportwagens zu beschäftigen. Auf dem Display in der Mitte des Cockpits gibt es Anzeigen zu Motoröldruck, Getriebeöldruck, Ladedruck. Hauptsache Druck. Eigentlich fehlt nur eine Anzeige zum eigenen Blutdruck. Dass diese Spielerei an die PlayStation von Sony erinnert, ist kein Wunder. Nissan entwickelte sie zusammen mit Polyphony Digital, dem Erfinder von "Gran Turismo". Ähnlich wie bei der Rennsimulation gibt es im Nissan GT-R aber eh nur eine Richtung, in der sich die Anzeigen bewegen: nach oben.

Der Motor des Nissan GT-R

Der V6-Motor des GT-R leistet 550 PS. Das beschleunigt ihn in 2,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h.

(Foto: Nissan)

Auf der Autobahn geht es derweil weiter. Ein BMW M3 prescht vorbei, bremst, hupt, lässt das Fenster herab und reckt seinen Daumen nach oben. So sieht wohl das internationale Erkennungszeichen für PS-Liebhaber auf deutschen Straßen aus. Ich quittiere es damit, dass ich mühelos an dem Daumen vorbeiziehe.

Nach zwei Stunden meldet sich mein Körper

Nach zwei Stunden in den Armen des türkischen Masseurs meldet sich mein Körper zum ersten Mal. Ein feiner Schmerz zieht den Rücken hinauf. Der Nissan GT-R mag zwar bequem sein für einen Sportwagen, aber er ist eben doch: ein Sportwagen. Die einzige Antwort darauf kann nur der Tritt aufs Gaspedal sein. Sagenhaft, wie der GT-R beschleunigt! Und der Schmerz ist vergessen.

Das geht für eine Weile gut. Nach drei Stunden melden sich Rücken, Fuß und Fingerspitzen. Deutschland mag zwar eines der besten Straßennetze haben, perfekt ist es aber nicht. Und im Nissan spürt man jede Bodenwelle. Ich trete wieder aufs Gaspedal. Sagenhaft, wie der GT-R beschleunigt! Und der Schmerz ist vergessen.

Nach vier Stunden melden sich neben Rücken, Fuß und Fingerspitzen auch noch die Ellenbogen. Ich bin mir nicht sicher, ob darauf der Tritt aufs Gaspedal die einzige Antwort ist. Ich versuche es trotzdem. Und schalte vorsorglich auf "Comfort". Das ist laut Nissan der "Spezialmodus für lange Strecken", aber natürlich immer noch straff. Das versichert mir zumindest mein Nacken, der langsam steif wird. Fünf Stunden später bin ich endlich angekommen - und der Tank des GT-R leer. 8,8 Liter gibt der Hersteller außerorts als Verbrauch an, in der Realität sind es eher zwölf bis 13 Liter.

Heckansicht des Nissan GT-R

Die vier Auspuffrohre des japanischen Sportwagens sind riesig.

(Foto: Nissan)

"Wenn du fährst, wollen wir aber was hören"

An der Tankstelle in einem kleinen Ort bei Wiesbaden mache ich eine interessante Erfahrung: Während das eigene Auto in Großstädten seinen Status als liebstes Kind der Deutschen verliert und von Carsharing-Angeboten verdrängt wird, sieht das auf dem Land ganz anders aus. Dort reiht sich Porsche 911 an aufgemotzten Fünfer BMW und bedrohlich tiefliegenden Audi A4. Die Fahrer stehen schon bereit, um meine Ankunft zu begutachten. Selbst der Tankwart begrüßt mich persönlich. "Ein Kollege von mir fuhr den mal kurz", sagt er zu mir und zeigt auf den Nissan. "Das issen escht brutales Gerät", fährt er in breitem Hessisch fort. "Brutal, wirklisch, brutal!" Einer der Umstehenden deutet auf seinen ausladenden Bauch und sagt: "Da passt du doch gar nicht rein." Der Tankwart entgegnet nur trocken: "Das glaubst du aber. Und wenn sie mich mit dem Schuhlöffel reinzwängen müssen." An der Kasse gibt er mir noch mit auf den Weg: "Wenn du fährst, wollen wir aber was hören." Ich zahle peinlich berührt - und lasse zum Abschied den Motor aufheulen. Die Herrenrunde nickt zufrieden.

Am nächsten Tag mache ich einen Ausflug an den Mittelrhein und von dort aus auf die kurvenreiche Wisperstrecke. Natürlich im konsequent kompromisslosen "R"-Modus. Der GT-R ist zwar ein Allradler, doch er verteilt seine Kraft maximal zu 50 Prozent an die Vorderreifen - und bis zu 100 Prozent an die Hinterreifen. In der Praxis heißt das, dass sich der Nissan wie ein Hecktriebler mit dem Grip eines Allradlers fährt. Ein Computersystem überwacht permanent Geschwindigkeit, Drehmoment, Seitenbeschleunigung und Bremsverhalten. Egal wie schnell ich auch in die Kurven gehe, der japanische Sportwagen hält die Spur und beschleunigt brachial wieder heraus. Mit den Schaltwippen am Lenkrad ist das noch unterhaltsamer und lässt Formel-1-Feeling aufkommen - ohne Angst haben zu müssen, die Kontrolle über das Auto zu verlieren.

An die Schmerzen vom Vortag kann ich mich bereits jetzt nicht mehr erinnern. Ich gebe noch einmal Gas. Tatsächlich, der Schmerz ist kaum noch zu spüren. Und selbst wenn: Manchmal muss Spaß eben auch weh tun.

Technische Daten Nissan GT-R:

V6-Benzinmotor mit 3,8 Litern Hubraum und Bi-Turboaufladung; Leistung 404 kW (550 PS); max. Drehmoment: 632 Nm bei 3200 - 5800/min; Leergewicht: 1740 kg; Kofferraum: 315 l; 0 - 100 km/h: 2,7 s; Vmax: 315 km/h; Testverbrauch: 12,3 l / 100 km (lt. Werk: 11,8; CO2-Ausstoß: 275 g/km); Euro 5; Grundpreis: 96 400 Euro

Das Testfahrzeug wurde vom Hersteller zur Verfügung gestellt.

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