Drohende Staatspleite Argentiniens:Es wird finster über Buenos Aires

Stadtteil Palermo in Buenos Aires

Die argentinische Hauptstadt Buenos Aires bei Nacht.

(Foto: istock)

Argentinien droht die Pleite: Bis Donnerstag hat die Regierung Zeit, Zinsen auf ihre Schulden bei Hedgefonds zu zahlen. Die amerikanischen Richter bleiben hart, die Anleger bangen - und Buenos Aires pokert. Einige Anleger geben sich plötzlich versöhnlich - denn auch sie haben viel zu verlieren.

Von Simone Boehringer

Am Donnerstag könnte es so weit sein: Argentinien wird nach allen formalen Kriterien insolvent sein, wenn sich die Regierung in Buenos Aires nicht doch noch in letzter Minute mit Gläubigern einigt - darüber wie, an wen und wann sie ihre Schulden bedienen wird.

Fast 13 Jahre nach der letzten Staatspleite ist es ausgerechnet das Urteil eines US-Gerichts, das Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner in eine Sackgasse manövriert hat, aus der es trotz diverser Vermittlungsversuche in den letzten Wochen keinen Ausweg gibt, mit dem die Regierung des südamerikanischen Landes nicht Recht brechen würde. Darin sind sich Experten einig.

Es geht um eine Entscheidung des US-Supreme-Court von Mitte Juni, das die Republik Argentinien verpflichtet hat zur Rückzahlung von Schuldentiteln über 1,5 Milliarden Dollar an amerikanische Hedgefonds. Diese verlangten die hundertprozentige Begleichung ihrer nach US-Recht begebenen Forderungen - deshalb das US-Gericht - und bekamen recht.

Argentiniens Exporterlöse reichen nicht aus

Bei früheren Schuldenschnitten infolge der Staatspleite 2001 hatte die Regierung Kirchner, damals noch durch Christinas Mann und Vorgänger Néstor Kirchner versprochen, dass alle Gläubiger, die bei der Umschuldung damals mitmachten und dadurch auf zwei Drittel ihres Einsatzes verzichteten, danach fristgerecht bedient würden. Alle anderen Gläubiger nicht. Entsprechende Gesetze wurden in Argentinien erlassen, so dass die Regierung in der Pflicht steht. Vor allem mit einer sogenannten Rufo-Klausel, die besagt, dass alle Gläubiger gleich behandelt werden müssen.

Erste Anzeichen für ein Einsehen mancher Gläubiger gab es in der Nacht zum Dienstag. Die Financial Times meldet, dass ein Teil von ihnen bereit sei, auf die Rufo-Klausel zu verzichten. Doch eine Enscheidung gibt es noch nicht.

Bekommen die Hedgefonds, wie es das US-Gericht will, die vollen 1,5 Milliarden Euro nun ausbezahlt, müsste Kirchner auch bei allen anderen Gläubigern, die einst verzichtet hatten, nachbessern. Das argentinische Außenministerium schätzt, dass dadurch Klagen und Mehrkosten von wenigstens 120 Milliarden Dollar auf die Regierung zukämen - ein Betrag, den sich das Land mit verbliebenen 30 Milliarden Dollar an Devisenreserven nicht leisten kann.

Zum einen bekommt Argentinien seit der Staatspleite Ende 2001 kein Geld mehr am internationalen Kapitalmarkt, zum anderen reichen die Exporterlöse ob der schwächelnden Konjunktur nicht aus, um dieses Manko zu kompensieren. Der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge schrumpfte die Wirtschaftsleistung Argentiniens sogar leicht im ersten Quartal, während die Inflation von Januar bis Juni offiziell um wenigstens 15 Prozent stieg und die Währung Peso zum Dollar um ein Fünftel abwertete.

Argentiniens Regierung hat vier Möglichkeiten

"Für Cristina Kirchner geht es jetzt um alles oder nichts. Und sie wird einen Rechtsbruch im Kleinen oder Großen begehen müssen", sagt Christoph Paulus, Rechtsprofessor und Spezialist für Staatsinsolvenzen an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach momentanem Stand hat die Regierung bis Donnerstag folgende Möglichkeiten:

Szenario 1 - Hedgefonds werden ausbezahlt

Diese Variante gilt als extrem unwahrscheinlich. Präsidentin Kirchner hat bei einem Auftritt vergangene Woche bereits gesagt, dass sie die bis Jahresende geltende Rufo-Klausel zur Gleichbehandlung aller Gläubiger nicht verletzen möchte. Sie würde damit zum einen die befürchtete Klagewelle lostreten, zum anderen ihre Glaubwürdigkeit verlieren, war doch ihre Politik bislang darauf ausgerichtet, sich nicht von Einzelgläubigern "erpressen zu lassen".

Szenario 2 - Kirchner bedient neue Schulden

Ein New Yorker Gericht hat Ende Juni Zinszahlungen an die Gläubiger gestoppt, die sich an den früheren Umschuldungen beteiligten. Diese dürften erst bezahlt werden, wenn auch die Hedgefonds ihr Geld bekämen. Seither ist etwa eine Milliarde Dollar bei US-Banken eingefroren, was die akute Insolvenzgefahr herbeiführte und Argentinien in akuten Zahlungsverzug brachte. Eine Gnadenfrist (grace period) läuft Ende Juli ab.

Da fast alle internationalen Zahlungen Argentiniens in irgendeiner Weise das US-Bankensystem betreffen, bliebe Kirchner nur eine Möglichkeit, die Zahlungen an dem Gerichtsentscheid vorbei zu leisten, meint Insolvenzexperte Paulus: "Sie müsste sich über die Sparkassen in ihren Provinzen das Geld für die Zinszahlungen besorgen. Ob deren Kapitalausstattung dafür reicht, ist fraglich."

Szenario 3 - Argentinien bezahlt vorerst nichts

Dieses Szenario gilt als das Wahrscheinlichste. "Für mich ist klar, dass Argentinien auf einen neuen Zahlungsausfall zusteuert", erklärte der frühere Finanzstaatssekretär Guillermo Nielson in einem Interview. Präsidentin Kirchner selbst beschäftigt sich derzeit vorwiegend mit ihrem innenpolitischen Ruf und betont ihre ,,historische Verantwortung, vor den Augen der Kinder und Enkelkinder Argentiniens"; sie werde keine Verträge unterschreiben, die sie ,,kriminell werden ließen" gegenüber ihrem Volk.

Nach Meinungsumfragen ist die Zustimmung zu ihrer Haltung in der Schuldenfrage in der Bevölkerung gestiegen. Kabinettschef Jorge Capitanich ließ am Montag wissen, dass eine Delegation am Dienstag in New York auf den vom US-Gericht bestellten Vermittler Daniel Pollack treffen werde - nur, um nochmals einen Aufschub zur Auszahlung der Hedgefonds zu erbitten. "Kirchner wird auf Zeit spielen, um die Rufo-Klausel nicht ziehen zu müssen", schätzt Jurist Paulus. Die gilt bis Ende des Jahres, dann kann Kirchner separate Deals verhandeln.

Szenario 4 - Die Regierung begleicht alles

Dazu fehlt Argentinien derzeit schlicht das Geld. Möglich wäre dies nach Meinung von Experten nur, wenn die Hedgefonds und/oder die US-Gerichte ein Einsehen hätten und dem Land mehr Zeit geben würden zur Bedienung der Schulden nach Ablauf der Rufo-Klausel. Wegen der wenig verlockenden Aussicht auf einen weiteren längeren Rechtsstreit könnten die klagenden Fonds in New York vor Donnerstag doch noch einknicken, meint Ökonom Alejo Costa von der Investmentbank Puente: "Sie haben bei einer Staatspleite mehr zu verlieren als zu gewinnen."

Wenn der Vorstoß von den Klägern komme, könne der maßgebliche US-Richter Thomas Griesa sogar zustimmen, ohne sein Gesicht zu verlieren, spekulierten Analysten am Montag.

Gläubiger, die dem Land freundlicher gesinnt sind als die Hedgefonds, zahlt Argentinien nach wie vor pünktlich aus. Am Montag hat das Land eine erste Tranche zur Begleichung seiner Schulden an die Staaten zurückgezahlt, die im sogenannten Pariser Club zusammengeschlossen sind. Sie hätten 642 Millionen Dollar bekommen, teilte das Wirtschaftsministerium in Buenos Aires mit. Doch über die Zukunft des Landes entscheiden wird der Streit mit den hartnäckigen Hedgefonds.

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