Internationale Schiedsgerichte:Die Schatten der Schattenjustiz

Das Yukos-Urteil des internationalen Schiedshofs ist begrüßenswert - doch im Freihandelsabkommen TTIP der EU mit den USA darf es keine Schiedsklauseln geben. Sie schränken die Souveränität von Demokratien ein.

Von Markus Balser

Nach Jahren sibirischer Lagerhaft schien endlich ein Moment von Gerechtigkeit für Kreml-Gegner Michail Chodorkowskij gekommen zu sein. Ein Gericht des internationalen Schiedshofs in Den Haag erklärte jetzt die Enteignung von Aktionären des Ölkonzerns Yukos für unrechtmäßig; drei Juristen zwangen einen der mächtigsten Staaten in die Knie. Russland wurde zu 50 Milliarden Dollar Schadenersatz verdonnert. Es sei wunderbar, dass wenigstens Aktionäre die Chance auf Wiedergutmachung bekämen, befand Chodorkowskij.

Das Urteil löste nicht nur bei den Betroffenen Genugtuung aus. Russlands Machtzirkel um Wladimir Putin bekam die Quittung für die Enteignung eines politischen Gegners, obwohl die "gelenkte Macht" des Präsidenten keine unabhängige Justiz zulässt. Ein kleines internationales Schiedsgericht wurde zur Instanz der Gerechtigkeit - und setzte ein großes Zeichen.

Ein Vorgeschmack auf das Freihandelsabkommen TTIP

Selten zuvor war ein Staat und sein Führungspersonal angesichts politischer Verfehlungen so bloßgestellt worden. Doch so richtig die Entscheidung der Schiedsrichter von Den Haag auch sein mag - sie wirft auch ein Schlaglicht auf die Gefahren, die mit der Macht der Schiedsgerichte verbunden sind. Die Dimension des Falls Yukos könnte zum Vorgeschmack auf das werden, was das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und Europa ermöglichen soll: Es gibt Konzernen die Chance, Industriestaaten verstärkt vor Schiedsgerichte zu bringen - so wie man das einst nur mit Bananenrepubliken machen konnte.

Schon jetzt ist mit den Schiedsgerichten unbemerkt von der Öffentlichkeit eine machtvolle Instanz jenseits nationaler Gerichte entstanden. Die Anzahl der Klagen vor internationalen Tribunalen hat sich in den vergangenen 20 Jahren verzehnfacht. Das kann helfen, wo die Justiz versagt. Befürworter des Systems loben, dass Konzerne auf internationaler Ebene klagen - und so den Gang vor möglicherweise parteiische Gerichte eines Staates verhindern können.

Doch wer hinterfragt, wie solche Tribunale arbeiten, findet auch Antworten auf die immer bedeutendere Frage, wie viel Macht auf dieser Welt die Staaten haben und wie viel die Konzerne. Es geht um Fragen, die in die Welt einer Schattenjustiz führen, in der es um Rechte der Investoren auf Kosten der Demokratie geht.

Der Fall des Tabakkonzerns Philip Morris, der ein Land wie Australien wegen strengerer Rauchervorschriften vor ein Schiedsgericht zerrte, ist nur eines von vielen Beispielen. Auch Staaten nutzen die verschwiegenen Institutionen: So fordert die Bundesregierung in einem nationalen Verfahren Schadenersatz in Milliardenhöhe vom Maut-Konsortium Toll Collect. Seit acht Jahren wird hinter verschlossenen Türen verhandelt.

Angesichts der wachsenden Bedeutung von Schiedsgerichten wird zum immer größeren Problem, dass sie selbst kaum einer Kontrolle unterliegen. Mit nationalen Gerichten haben sie wenig gemein. Sie sind nicht mit Richtern, sondern mit juristischen Fachleuten - Branchenanwälten oder Professoren - besetzt, die von den Streitparteien ausgewählt werden. Da Schiedsgerichte meist hinter verschlossener Tür tagen, ihr Urteil kaum anfechtbar ist und oft noch nicht mal veröffentlicht wird, fehlt ihnen all das, was die Rechtsstaatlichkeit der Justiz ausmacht: Transparenz, Unabhängigkeit, Überprüfbarkeit.

Der Fall Yukos und der Rekord-Schadenersatz von Den Haag werden so auch zur Mahnung für westliche Politiker, den Einfluss von Schiedsgerichten zu begrenzen. Sie schränken die Souveränität von Demokratien auf bedenkliche Weise ein. Vor allem im Handelsabkommen zwischen funktionierenden Rechtsstaaten, also etwa zwischen den EU-Mitgliedern und den USA, hat dieses Instrument nichts zu suchen.

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