Anzing:20 Flüchtlinge aus Eritrea

Im Forsthaus sind am Dienstagnachmittag die seit langer Zeit angekündigten Asylbewerber eingezogen. Weil die Vorgeschichte Restzweifel an einem konfliktfreien Ablauf ließ, blieb die Ankunftszeit geheim. Ein Besuch.

Von Korbinian Eisenberger

Spielende Kinder auf der Straße, ein Nachbar, der seinen gemauerten Grill mit weißer Farbe anstreicht. Nur mehr ein blauer Stoffrest an einer Hauswand erinnert noch an die Schmähplakate, die dort bis vor einer Woche im Wind flatterten. In der Anzinger Wendelsteinstraße herrscht eine Idylle, von der man fast meinen könnte, sie sei trügerischer Art, an diesem Dienstagmittag, an dem das Landratsamt die Ankunft der Asylbewerber angekündigt hat.

Aufgrund der Vorgeschichte - einem monatelangem Anwohnerstreit, der in einer Klage gipfelte - hält das Landratsamt die Ankunftszeit der Flüchtlinge an diesem Tag geheim.

Dies mache es schwierig, die Helfer bei der Stange zu halten, weil sie nicht informiert würden, sagt Gemeinderat Reinhard Oellerer, Mitbegründer der Bürgerinitiative "Offenes Anzing". Wie knapp 80 weitere Anzinger stünde er in den Startlöchern, um die Neuankömmlinge beim Einleben zu unterstützen.

Es ist bereits nach 14 Uhr, als der blaue Kleinbus mit Ebersberger Kennzeichen am Hintereingang des Landratsamts hält. Sechs dunkelhäutige Männer mit Umhängetaschen steigen ein, einer trägt einen Strohhut. Ein lockiger Mann in kurzer Hose und Hemd hat das Handy am Ohr, beim Lachen blitzen seine weißen Zähne in der Sonne.

Vom Landratsamt ist jetzt zu erfahren, das ein Omnibus die 20 jungen Eritreer gegen Mittag aus der überlaufenen Bayernkaserne in München Freimann hierher gefahren habe. Gegen halb drei hat jeder von ihnen seine Unterschrift unter einen Sozialhilfeantrag gesetzt - die Grundlage dafür, zukünftig Leistungen vom Staat zu erhalten. Auf französisch oder englisch werde den Neuankömmlingen erläutert, wie die Krankenhilfe funktioniere, sagt eine Sprecherin des Landratsamts. Sechs Männer haben das gesamte Prozedere bereits bewältigt. Hinter ihnen schließt eine blonde Frau die Schiebetür des Kleinbusses, dann geht es los nach Anzing.

Ankunft der Asylbewerber in Anzing

In seinem Kofferraum hat Helmut Furtmair von der Bürgerinitiative eine Kiste Obst verstaut. Damit will er den Flüchtlingen die Ankunft versüßen.

(Foto: Eisenberger)

Oellerer erzählt von abschreckenden Beispielen in Norddeutschland. Von Fällen, in denen Flüchtlinge 90 Minuten mit einem Bus fahren müssen, um die nächstgelegenste Ortschaft zu erreichen. "Gut, dass das Anzinger Asylbewerberheim in ein Wohngebiet kommt", sagt er. An weitere Protestaktionen der Nachbarn glaube er nicht. Er sei überzeugt, dass die Anwohner den Gerichtsentscheid ohne weitere "künstlerische Versuche" akzeptieren würden. Das Verwaltungsgericht hatte vergangene Woche die Klage eines Anwohners gegen das Asylbewerberheim im Wohngebiet abgewiesen - und damit den Einzug der 20 Flüchtlinge aus Nordost-Afrika ermöglicht.

Dort verlassen nach Schätzungen der Vereinten Nationen inzwischen 2000 bis 3000 Eritreer jeden Monat ihr Land. Die wenigsten nehmen dabei den gefährlichen und kostspieligen Weg über das Meer, sondern flüchten auf dem Landweg. Einer der am häufigsten genannten Gründe für die Flucht ist der Militärdienst. In Eritrea muss jeder Mann ab 18 Jahren einen Grundwehrdienst leisten, der offiziell auf 18 Monate begrenzt ist. Tatsächlich kann der Dienst ein Jahrzehnt lang dauern, ohne dass dem Rekruten Gründe genannt werden. Seit einem Grenzkrieg mit Äthiopien ist das Land im Ausnahmezustand.

Die hellen Stimmen der Nachbarskinder schallen in der Nachmittagssonne durchs Wohngebiet, als der Kleinbus in die Wendelsteinstraße einbiegt. Der Nachbar mit dem Farbtopf pinselt seelenruhig weiter. Nur vor dem Forsthaus haben sich jetzt drei Gestalten aufgebaut.

Mit Obstkörben und Essenspaketen erwarten Elisabeth Stanglmeier und zwei Helfer der Bürgerinitiative die ersten sechs Neuankömmlinge. Stanglmeier hievt eine Kiste mit Süßigkeiten aus ihrem Kofferraum. "Die Männer machen einen guten Eindruck", sagt sie. Auch die anderen 14 werden später heil im Anzinger Forsthaus angekommen sein. Warum sie alle den knapp 5000 Kilometer weiten Weg nach Deutschland aufgenommen haben, erfährt heute freilich niemand mehr. "Sie sollen erst mal ankommen", sagt Jan Thoms vom Landratsamt. Auf Englisch erklärt er, wie im Heim der Müll getrennt wird, testet mit dem Mann im Sonnenhut, ob die Schlüssel am Briefkasten passen. Das Adressschild am Postschlitz ist noch leer.

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