Kosovo:EU-Ermittler will UÇK-Kämpfer anklagen

SITF Chief Prosecutor Williamson speaks during a news conference at the EU Council in Brussels

SITF-Chef-Ankläger Clint Williamson bei der Vorstellung der Ergebnisse der Task Force in Brüssel

(Foto: REUTERS)

Verschleppung, Mord und illegaler Organhandel: EU-Chefermittler Clint Williamson will ehemalige Kosovo-Rebellenführer wegen Kriegsverbrechen vor Gericht sehen. Doch noch gibt es kein Gericht, an dem diese Anklagen verhandelt werden können.

Von Markus C. Schulte von Drach

EU-Ermittler wollen hochrangige Führer der ehemaligen "Befreiungsarmee des Kosovo" (UÇK) anklagen. Es gebe ausreichende Beweise für Kriegsverbrechen, begründete Chefermittler Clint Williamson in Brüssel diese Pläne. Die Sonderuntersuchungsgruppe SITF hat im Namen der EU Hinweise auf Verbrechen der UÇK während des Kosovo-Konflikts 1998 und 1999 überprüft.

Diese Mitglieder der UÇK, so erklärte der US-Amerikaner Williamson jetzt bei der Vorstellung der Untersuchungsergebnisse in Brüssel, "tragen Verantwortung für die Verfolgung von ethnischen Serben, Roma und anderen Minderheiten im Kosovo sowie gegen Kosovo-Albaner, denen sie Kollaboration mit den Serben vorwarfen, oder, noch häufiger, die politische Gegner der Führung der UÇK waren".

Die "Befreiungsarmee des Kosovo" kämpfte seit 1998 gegen die Sicherheitskräfte Jugoslawiens beziehungsweise Serbiens. Berichte von mutmaßlichen Gräueltaten der Serben und von angeblichen Plänen zur "ethnischen Säuberung" gegen Angehörige der albanischen Bevölkerungsmehrheit führten letztlich zum Eingreifen der Nato: 1999 flog das Militärbündnis - zur Unterstützung der UÇK im Kosovo - Luftangriffe auf die Bundesrepublik Jugoslawien. Nach deren Rückzug übernahmen Kfor-Truppen der Nato und Vertreter der UÇK die Kontrolle in der Provinz.

Seit 2011 sind die internationalen Experten der "Special Investigative Task Force" (SITF) den Vorwürfen gegen die kosovarischen Freiheitskämpfer nachgegangen. Es sind Vorwürfe, die der Schweizer Sonderermittler Dick Marty bereits 2011 in einem Bericht für den Europarat veröffentlicht hatte. Das SITF-Team hatte den Auftrag, den Bericht im Rahmen einer strafrechtlichen Ermittlung zu überprüfen - und sieht die meisten Vorwürfe bestätigt.

Informationen, die SITF zusammengetragen hat, zeigten Williamson zufolge, dass "bestimmte Elemente der UÇK" gezielt Verbrechen gegen Angehörige der ethnischen Minderheiten und auch der albanischen Opposition begangen hätten, darunter "ungesetzliche Tötungen, Entführungen, Vertreibungen, illegales Festhalten in Lagern im Kosovo und in Albanien, sexuelle Gewalt und andere Formen unmenschlicher Behandlung". Deshalb seien Anklagen aufgrund von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gerechtfertigt.

Es habe sich letztlich um "ethnische Säuberungen" von großen Teilen der Bevölkerung der Serben und Roma aus den Gebieten südlich des Ibar-Flusses gehandelt. Und man sei überzeugt, dass diese Verbrechen nicht die Taten von Einzeltätern, sondern organisiert waren und dass sie mit der Unterstützung bestimmter Personen in den höchsten Führungsebenen der UÇK erfolgten. Namen nannte der Chefankläger der SITF allerdings nicht. Etliche UÇK-Führer sind in die Politik gewechselt.

Ein Tribunal im Kosovo?

Zu einem Vorwurf, der 2011 besondere Aufmerksamkeit erregt hatte, äußerte Williamson sich nur zurückhaltend. Er könne sagen, dass es "überzeugende Hinweise darauf gibt, dass eine kleine Zahl von Individuen getötet wurde mit dem Ziel, ihnen Organe zu entnehmen und diese zu verkaufen" - doch keine ausreichenden Beweise. Außerdem gebe es keinen Anlass anzunehmen, dass diese Praxis weit verbreitet gewesen wäre. Die Zahlen zu übertreiben, würde nur zusätzlich Angst und Schrecken in den Familien verbreiten, deren Angehörigen noch immer vermisst werden.

Wie der Chefankläger der Sonderermittler sagte, müsse nun ein Gericht installiert werden, vor dem die mutmaßlichen Täter angeklagt werden könnten. Es gibt in der EU Pläne, ein solches unabhängiges Gericht einzurichten, das möglicherweise 2015 seine Arbeit beginnen könnte. Eventuell könnte der Standort des Tribunals im Kosovo selbst sein, während Zeugen etwa in den Niederlanden befragt werden könnten.

Williamson dankte der Regierung des Kosovo und der Nachbarstaaten, die die Untersuchung unterstützt hätten, sowie den Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen. Allerdings kritisierte er, dass es Versuche gegeben hätte, Zeugen einzuschüchtern. "Wenn einige mächtige Personen weiterhin versuchen, die Untersuchung ihrer kriminellen Handlungen zu durchkreuzen, wird die ganze Bevölkerung des Kosovo darunter leiden, denn das wirft einen Schatten auf das Land", warnte er.

Bereits Dick Marty hatte in seinem Bericht für den Europarat schwere Vorwürfe gegen frühere Kämpfer der UÇK gerichtet: Organisierte Kriminalität, Drogenhandel, aber vor allem auch Mord und Organraub. Der Sonderermittler war Hinweisen nachgegangen, um die zu dieser Zeit schon seit Jahren gestritten wurde: Bevor die Kfor-Truppen der Nato die Kontrolle über die Provinz vollständig übernommen hatten, wurden angeblich mehrere Hundert Menschen von Kämpfern der UÇK in geheime Gefängnisse in Nordalbanien verschleppt, misshandelt und etliche getötet. Einigen sollen Organe entnommen und ins Ausland verkauft worden sein.

Hinweise und Gerüchte

Diesen Gerüchten war seit 2002 ein Team von Journalisten um den Amerikaner Michael Montgomery nachgegangen. Ihre Hinweise führten dazu, dass das UN-Büro für Vermisste im Kosovo (OMFP) der Sache nachging, allerdings ohne offizielles Ergebnis. Immerhin nahm 2003 auch der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag (Haager Tribunal) entsprechende Ermittlungen auf. Es wurde eine ganze Reihe von Indizien für Verschleppungen und sogar einen illegalen Organhandel gefunden. Allerdings kam auch diese Untersuchung zu keinem konkreten Ergebnis.

Bewegung kam in die Angelegenheit dann erst wieder, als die ehemalige Chefanklägerin des Haager Tribunals, Carla Del Ponte, 2008 ihre Autobiografie veröffentlichte. Darin erhob sie schwere Vorwürfe gegen das Tribunal, die UN sowie den Staat Albanien.

Sonderermittler Dick Marty ging den Hinweisen im Auftrag des Europarats nach. Im Januar 2011 erschien sein Bericht, wonach nach dem Abzug der serbischen Sicherheitskräfte aus dem Kosovo mehrere Hundert Personen verschwunden waren. Auch von Organraub war die Rede. Der Schweizer erhob auch Vorwürfe gegen die Regierung Albaniens, die geheime Gefangenenlager der UÇK geduldet haben soll. Sogar westliche Regierungen sollen über Verbrechen wie den Drogenhandel der UÇK-Mitglieder informiert gewesen sein, sie hätten jedoch aus politischen Motiven nichts dagegen unternommen. Doch auch Marty konnte in seinem Bericht nicht genug Material zusammentragen, um eindeutig zu belegen, wer für die Verbrechen verantwortlich war.

Clint Williamson bedankte sich nun ausdrücklich bei jenen UÇK-Mitgliedern, die mutig genug waren, sich als Zeugen von Verbrechen zu melden. Verbrechen, die ihre Führungspositionen auf kriminelle Weise missbraucht hätten, "um Gewalt auszuüben mit dem Ziel, politische Macht und persönlichen Wohlstand zu erringen".

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