Debatte um Prothesen-Springer Rehm:Springt der Mensch oder das Material?

Leichtathletik-DM in Ulm

Die Debatte um Karbonfuß-Weitspringer Markus Rehm bringt die Leichtathletik-Szene in Bedrängnis.

(Foto: dpa)

Der Behinderten-Sportverband fordert, den unterschenkel-amputierten Weitspringer Markus Rehm für die Leichtathletik-EM zu nominieren. Doch was sagen die Experten?

An diesem Mittwoch gibt der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) in Frankfurt bekannt, ob er den Paralympics-Sieger und Prothesen-Weitspringer Markus Rehm für die EM in Zürich vom 12. bis 17. August nominiert. Und die Debatte um die Frage, ob Rehm, der am Samstag in Ulm mit 8,24 Metern deutscher Meister der olympischen Klasse wurde und damit die EM-Norm des DLV erfüllte, wirklich in Zürich starten darf, läuft auf Hochtouren.

Grundlage der Nominierungsentscheidung sind Daten, die im Ulmer Weitsprungfinale von allen Teilnehmern erhoben wurden, sowie Referenzgrößen von früheren Messungen. Die sollen zeigen, ob die Leistung des einseitig unterschenkel-amputierten Rehm mit der von Sportlern ohne Behinderung vergleichbar ist. Es geht um die Frage: Sind Prothesen-Weitsprung und Weitsprung dieselbe Sportart?

Großer Spielraum, große Spannung

Sollten die Analysen ergeben, dass Rehms Art zu springen markant andere biomechanische Werte zeigt, würde er nicht nominiert. Rehm hat bereits erklärt, dass er gegen ein solches Ergebnis nicht klagen würde. Allerdings bieten auch Datensätze Spielraum für Interpretationen, die Spannung ist groß, welche Schlüsse der DLV ziehen wird.

Vorerst mischen sich in der Diskussion die Meinungen. Der Deutsche Behindertensportverband (DBS) hat sich für eine EM-Nominierung Rehms ausgesprochen. "Der DBS wünscht, dass Markus Rehm die Chance erhält, sich bei den bevorstehenden Europameisterschaften der Leichtathleten zu präsentieren. Wir erwarten, dass der DLV ihn in das deutsche Team aufnimmt", sagte DBS-Vizepräsident Karl Quade und bezeichnet Rehm als "Symbol dafür, wozu Menschen mit Handicaps fähig sind. Nicht die Prothese springt 8,24 Meter weit, sondern der Mensch."

Dagegen erklärte der Tübinger Biomechanik-Professor Veit Wank, warum er Prothesenweitsprung und Weitsprung für nicht vergleichbar hält. Unter anderem wegen der geschwungenen Karbonprothese: "Das ist wie bei einer Feder. Wenn man die Feder zusammendrückt, steckt man Energie hinein, wenn sich die Feder entspannt, erhält man Energie zurück. Bei einer Karbonfeder kriegt man, je nach Bauart, ungefähr 80 Prozent an Energie zurück. Die nötige Energie dafür muss der Athlet gar nicht investieren, das macht die Feder von selbst. Bei einer menschlichen Sehne sind es deutlich unter 50 Prozent."

Wanks Kölner Kollege Gert-Peter Brüggemann wiederum ist der Meinung, dass die EM-Nominierung Rehms nicht auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse erfolgen oder verweigert werden darf. "Es kann keine datenbasierte und seriöse Beurteilung sein", sagte der Biomechaniker der dpa. "Es ist und muss eine politische Entscheidung sein." Die in Ulm vorgenommenen biomechanischen Messungen genügten nicht für eine fundierte Entscheidung. "Was im Wettkampf gemacht werden kann, reicht absolut nicht aus, um zu beurteilen, ob und wie eine Prothese im Vergleich zu gesunden, leistungsfähigen Gelenken funktioniert", sagte Brüggemann. "Da muss man etwas mehr machen als Videoaufnahmen und etwas Geschwindigkeit messen."

Der Mittwoch soll Klarheit bringen, allerdings wohl noch kein echtes Ende der Debatte, wie DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher andeutet: "Wie auch immer jetzt die Entscheidung ausfällt - sie wird umstritten sein", schreibt Beucher, "die einen werden auf dem Recht von Spitzensportlern mit Behinderung bestehen, an Sportfesten und Titelkämpfen mit den Nichtbehinderten teilzunehmen. Die anderen werden Rehms Startberechtigung anzweifeln, jede seiner Platzierungen anfechten und Protest einlegen."

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