Höhere Löhne:Wann, wenn nicht jetzt?

Waggonbau in Niesky

Höhere Löhne, wenn die Wirtschaft stark und die Inflation gering sind: Das fordert Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Im Bild: Schweißer in einem Werk der Deutschen Bahn in Niesky.

(Foto: dpa)

Die Arbeitgeber reagieren so wie immer. Deutlich höhere Löhne? Nicht mit ihnen! Das Problem ist nur, dass die Forderung diesmal von der Bundesbank kommt - und ziemlich weitsichtig ist.

Kommentar von Marc Beise

Die deutschen Arbeitgeber haben sich in den vergangenen Monaten gehäutet. Die beiden wichtigsten Verbände, die Bundesvereinigung BDA und die Metallarbeitgeber, werden nun von neuen, jüngeren Präsidenten geführt, die erkennbar bemüht sind, aus alten Ritualen auszubrechen. Insofern ist es sehr schade, wie altbacken sie nun auf einen bemerkenswerten Vorstoß der Bundesbank reagieren, die ihnen doch sonst als Hort einer stabilitätsorientierten Wirtschaftspolitik hochheilig ist.

Die deutschen Währungshüter haben schon vor Wochenfrist für höhere Löhne in Deutschland plädiert. Drei Prozent mehr sei ein guter Richtwert, hieß es in Frankfurt am Main. Keine sehr mutige Forderung angesichts einer in der Summe kraftstrotzenden deutschen Wirtschaft. Trotzdem herrscht im Arbeitgeberlager eine Mischung aus Kopfschütteln und Empörung. "Überflüssig und wenig hilfreich" sei die Drei-Prozent-Rechnung, beschied Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer, und das Institut der deutschen Wirtschaft attestierte der Bundesbank "wenig Weitblick". Als die Bundesbank noch zu hohe Lohnforderungen der Gewerkschaften geißelte und auf die gesamtwirtschaftlichen Gefahren derselben hinwies, haben die Arbeitgeber - natürlich - nicht protestiert; glaubwürdig ist das nicht.

Die Jünger der Bundesbank sind verunsichert. Das Lohnplädoyer kam so überraschend, dass seitdem zwei Szenarien diskutiert werden. Erstens ein Missverständnis, eine Panne - das allerdings hat Präsident Jens Weidmann an diesem Mittwoch persönlich widerlegt, indem er sich ausdrücklich zu den drei Prozent bekannte. Zweitens wird der Bundesbank sozusagen niedere Gesinnung unterstellt, sie wolle die Preise treiben und damit die drohende Deflation bekämpfen. Auf diese geldpolitischen Zusammenhänge muss man sich gar nicht einlassen, denn schon arbeitsmarktpolitisch hat die Bank die Kraft der Argumente auf ihrer Seite - und bleibt dabei sogar noch maßvoll.

Höhere Kosten können die Konzerne derzeit wegstecken

Denn das erwähnte Drei-Prozent-Plus errechnet sich laut Weidmann aus einem Prozent Produktivitätssteigerung und zwei Prozent Preisanstieg. Bei Letzterem ergänzt der Präsident: "mittelfristig" - aus gutem Grund, denn im Moment liegt die Inflationsrate in Deutschland deutlich drunter, im Juli bei 0,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Das ist extrem wenig, und es gibt keine Anzeichen, dass die viel beschworene Inflation schon in den nächsten Monaten einsetzt.

Das IW spricht der Bundesbank die Weitsicht ab mit dem Argument, dass die Gleichung "höhere Löhne = höhere Preise" angesichts der Risiken von Weltpolitik und -wirtschaft nicht stimmen muss. Es könne durchaus sein, dass die Unternehmen höhere Löhne nicht einfach auf die Preise übertragen könnten, sondern stattdessen an Investitionen sparen und Unternehmensgewinne schmälern. Diese Argumentation übersieht, dass die Lage der deutschen Wirtschaft in der Summe so gut ist, dass höhere Kosten weggesteckt werden können und die Unternehmen trotzdem zukunftstauglich bleiben. Zudem ist der Arbeitsmarkt, ein wichtiger Indikator für die Lohnpolitik, in bester Verfassung, in vielen Branchen und Regionen herrscht praktisch Vollbeschäftigung. Wann, wenn nicht jetzt können die Löhne nachziehen?

In der Logik dieser Argumentation liegt allerdings, dass es keine allgemeinen Richtwerte geben kann, auch die Bundesbank propagiert sie nicht. Die Lohnabschlüsse, die die Tarifparteien Arbeitgeber und Gewerkschaften festlegen, müssen der jeweiligen Branche und Region angemessen sein. Und natürlich muss wieder Zurückhaltung einziehen, wenn die Lage sich zu verschlechtern droht - so wie um das Jahr 2003, als die deutsche Wirtschaft auch dank maßvoller Lohnpolitik vom "kranken Mann Europas" zum Superstar des Kontinents aufstieg.

Wichtig ist, dass die Entwicklung sich nicht verselbständigt, dass man nicht in eine Lohnerhöhungsorgie hineingerät wie einst in den Siebzigerjahren zu Zeiten des Bundeskanzlers Willy Brandt, als die Gewerkschaft ÖTV (heute Verdi) im Jahr 1974 sage und schreibe ein Plus von 11 Prozent durchsetzte. Weil es immer leichter ist, mehr zu verlangen als weniger, muss man dann gut argumentieren. Da hilft es, wenn man glaubwürdig ist. Wenn man den Forderungen nach mehr Geld nicht immer mit einem kategorischen "Nein" begegnet und mit lamentohaften Warnungen vor einer Überforderung der Unternehmen. Besser, man passt seine Argumentation der Lage an.

In diesem Sinne sind die Bundesbanker klüger als die Arbeitgeber. Weitsichtig eben.

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