Eine Hotelbar. Sie sitzen nebeneinander, haben zwei Weingläser vor sich stehen. Sie dreht gedankenverloren an ihrem Ehering. Er schaut sie abwartend von der Seite an.
Er: Und, hast du es ihm endlich gesagt?
Sie: Was gesagt? Wem?
Er: Das ist jetzt nicht dein Ernst.
Sie: Hab doch ein bisschen Geduld! Ich muss die richtige Situation abwarten.
Er: Das sagst du jedes Mal.
Sie: Diesmal hätte ich es ihm beinahe erzählt, wirklich! Aber es hat sich einfach noch nicht ergeben.
Er: Schon klar. Genau wie letztes Mal.
Sie: Da bekamen wir unerwartet Besuch.
Er: Und vorletztes Mal?
Sie: Puh, das war ganz ungünstig. Wir mussten unsere Steuererklärung fertig machen. Da ist er immer so gereizt.
Er: Eine gemeinsame Steuererklärung - was für eine Heuchelei.
Sie: Du musst das verstehen. Ich konnte es ihm doch nicht gerade dann sagen, wenn er ohnehin schon schlechte Laune hat.
Er: Hast du nicht erzählt, dass er endlich den Job bekommen hat, den er schon immer wollte? Dann wäre doch jetzt der perfekte Zeitpunkt!
Sie: Ich weiß nicht. Jetzt ist er gerade so gut drauf - das mache ich ihm lieber nicht kaputt.
Er: Du kannst also deinen Mann weder verlassen, wenn es ihm gutgeht, noch wenn es ihm schlecht geht - mit anderen Worten: nie. Willst du wirklich, dass unsere Liebe an einer Steuererklärung scheitert?
Sie: Hätte ich es ihm vielleicht zwischen Gastronomiebelegen und Lohnsteuerbescheinigung sagen sollen?
Er: Ja, warum denn nicht? Hauptsache, du sagst es ihm endlich!
Sie: Es ist ja nicht so, dass wir es eilig hätten, oder?
Er: Allmählich beschleicht mich das Gefühl, du stehst nicht zu mir. Deinen Freundinnen hast du mich auch noch nicht vorgestellt.
Sie: Aber wie soll das denn gehen, solange mein Mann nichts von uns weiß?
Er: Du hast es erfasst. Das geht gar nicht!
Sie: Ich sag's ihm ja. Jetzt dann bald. Also demnächst. Spätestens, wenn wir zurück sind aus dem Urlaub. Dann sag ich es ihm. Versprochen.
Ihr macht Urlaub?
Er: Moment mal, Urlaub? Welcher Urlaub?
Sie: Malta. 14 Tage. Das hatten wir schon vergangenes Jahr gebucht.
Er: Ihr fliegt gemeinsam in Urlaub? Als Paar? Ganze zwei Wochen?
Sie: Was heißt das schon, als Paar. Aber ich kann ja wohl schlecht mit ihm Urlaub machen, wenn ich mich zuvor offiziell von ihm getrennt habe.
Er: Du kannst überhaupt nicht mit ihm Urlaub machen!
Sie: Soll ich auf das schöne Hotel und die Erholung etwa verzichten - oder ihn allein fahren lassen? Sehe ich gar nicht ein.
Er: Also allmählich verstehe ich überhaupt nichts mehr. Ich dachte immer, eure Beziehung sei die Hölle! Wolltest du ihn nicht verlassen, weil er so besitzergreifend war? So ein jähzorniger Egoist?
Sie: Ehrlich gesagt: Wenn ich mir so ansehe, wie du in letzter Zeit drauf bist, nehmt ihr euch da wenig.
Er: Wenn das so ist, kannst du ja gleich bei ihm bleiben. Das wäre zur Abwechslung mal eine plausible Ausrede.
Sie: Das sind keine Ausreden, und das werde ich dir beweisen: Nach dem Urlaub sag' ich es ihm. Ganz bestimmt. Ach nee, da ist ja die Goldene Hochzeit seiner Eltern! Also gut, danach aber wirklich. Hundertprozentig.