Hamas im Nahostkonflikt:Strategie des Sterbens

Palästina Israel Hamas

Ein von Israel diktierter Waffenstillstand, bei dem Gazas Grenzen geschlossen bleiben, wäre für die Menschen die Rückkehr zum Status-quo - nach 1400 Toten.

(Foto: REUTERS)

24 Tage Krieg, 1400 Tote - die Hamas kann diesen Krieg gegen Israel militärisch nicht gewinnen. Doch sie kann auch nicht nachgeben. Wenn Kinder und Zivilisten sterben, UN-Schulen beschossen werden und Israel jede Verhältnismäßigkeit ignoriert, könnte ihre Niederlage zu einem politischen Sieg werden.

Kommentar von Tomas Avenarius

Wie weit geht die Hamas? 24 Tage Krieg, bereits 1400 Tote, zerbombte Häuser, Straßen, Felder: Die palästinensische Islamisten-Organisation scheint ihr Volk samt ihrem Territorium zu Grunde richten zu wollen. Die israelische Militärmaschine greift das winzige Palästinensergebiet Gaza zu Land, zu Wasser und aus der Luft erbarmungslos an. Jede Stunde, die dieser Krieg länger dauert, wirkt wie ein von der Regierung erzwungener Opfergang eines Volks und wie das Harakiri einer Miliz: Die Hamas kann diesen Kampf militärisch nicht gewinnen.

Doch das ist für die Islamisten nicht die entscheidende Frage. Hamas will, ja muss diesen Krieg politisch gewinnen. Die arabische Welt hat sich seit 2011 so stark verändert, dass die Palästinenser 2014 fast allein stehen in ihrem politischen Kampf um ein Land für ihr Volk. Früher konnte die Hamas auf Krokodilstränen aus Ägypten, Saudi-Arabien oder Jordanien hoffen, aber auch auf diplomatische Unterstützung und echte Hilfe. Heute bekämpfen Kairo und Riad ihre eigenen Islamisten, wenn diese den Muslimbrüdern nahestehen. Die Hamas ist eine Tochterorganisation der 2013 von der Macht weggeputschten ägyptischen Oberislamisten. Wenn sie es sich wegen des Kriegs verscherzt mit ihrem leidenden Volk, so findet manche arabische Regierung: umso besser.

Politisch und wirtschaftlich isoliert bleibt den 1,8 Millionen Hamas-Bürgern nur dumpfes Vor-sich-hin-leben

Ägypten, das mit der Hamas eine Rechnung offen hat aus der Zeit des arabischen Frühlings von 2011, trägt zu dieser Haltung entschlossen bei. Die neue Regierung unter dem Islamistenfresser Abdel Fattah al-Sisi hat die Tunnel an der Gaza-Grenze zerstört. Seit Herbst 2013 kommen kaum noch Waffen zu den Palästinensern, aber auch immer weniger billige Lebensmittel, Medikamente und Gebrauchsgüter. Die israelische Blockade, die 2007 an den anderen Grenzen verhängt wurde, ist ohnehin wasserdicht; Israel hat allem internationalen Druck zum Trotz nie größere Zugeständnisse gemacht. Politisch und wirtschaftlich isoliert bleibt den 1,8 Millionen Hamas-Bürgern nur dumpfes Vor-sich-hin-leben als Zukunft. Der Gazastreifen ist ein 360 Quadratkilometer großes Gefängnis, bewacht von Israelis und Ägyptern.

Will die Hamas weiter regieren und später vielleicht auch die Konkurrenten von der Fatah im Westjordanland verdrängen, muss sie Handfestes erreichen jenseits der Parolen vom "Widerstand gegen Israel". Die Islamisten müssen Israelis und Ägypter zwingen, ihre Doppelblockade aufzuheben und den Gazastreifen an die Welt anzukoppeln.

Die Hamas-Vordenker haben sich überlegt, wie ihre Zukunftschancen stehen. Sie wissen, dass Israel die Organisation zerschlagen will und stets einen international akzeptierten Grund zum Angriff findet unter Verweis auf seine Sicherheit. Die politische Landschaft der arabischen Welt wird sich so schnell nicht ändern zu Gunsten der Palästinenser. Dafür sinkt die Schlagkraft der Hamas. Die finanzielle Unterstützung Katars und die militärische Hilfe Irans kommen ohne die ägyptischen Tunnel nicht ins Land, die Anti-Netanjahu-Rhetorik aus der Türkei bringt nichts.

So geht es um alles oder nichts: Ein von Israel diktierter Waffenstillstand, bei dem Gazas Grenzen geschlossen bleiben, wäre für die Menschen die Rückkehr zum Status-quo - nach 1400 Toten. Das würden die Bewohner der Hamas kaum verzeihen. Aus diesem Grund können die Islamisten kaum nachgeben in diesem Krieg. Wenn Kinder und Zivilisten sterben, wenn UN-Schulen beschossen werden, wenn Israel jede Verhältnismäßigkeit ignoriert, während die Bilder des Grauens in Echtzeit um die Welt gehen - dann erst geraten Israel und Ägypten international unter Druck. Dann müssen sie irgendwann nachgeben. Dann wäre die militärische Niederlage der Hamas ihr großer politischer Sieg.

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