Frauen im Ersten Weltkrieg:Heimatfront im Dienste der Männer

Frauen bei der Produktion von Seife, 1917

Frauen stellen Seife her, 1917.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Männer an die Front, Frauen an die Macht? Vielen gilt der Erste Weltkrieg als Motor der Gleichberechtigung. Auf den ersten Blick spricht einiges für diese These. Doch renommierte Forscherinnen widersprechen.

Von Hannah Beitzer

Auf einmal waren so viele Männer weg, an der Front, um das Vaterland zu verteidigen und zu siegen. Zurück in der Heimat blieben nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914 die Frauen: als Straßenbahnführerinnen, Fabrikarbeiterinnen und in der Sozialarbeit waren sie im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben bald so sichtbar wie nie. Nach Kriegsende erhielten sie im nunmehr demokratischen Deutschland erstmals das Wahlrecht. Trieb der Erste Weltkrieg also die Frauenemanzipation in Deutschland voran? Diese These war lange populär. Inzwischen relativieren sie zahlreiche Forscherinnen und Forscher.

Frauen wollten zeigen, was sie können: Den Kriegsausbruch sahen viele Frauenrechtlerinnen tatsächlich als Möglichkeit, sich zu beweisen. Die meisten von ihnen wollten ihren Teil zur Verteidigung des Vaterlandes beitragen. Die Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF), Gertrud Bäumer, gründete zu diesem Zweck den Nationalen Frauendienst (NFD). Sozialdemokratische und konservative Frauenverbände arbeiteten im Krieg erstmals gemeinsam, in erster Linie waren sie an der "Heimatfront" damit beschäftigt, die rasch um sich greifende Not zu lindern. Sie unterstützten Familien gefallener oder verwundeter Soldaten, engagierten sich in der Wohnungs-, Kranken- und Kinderfürsorge, errichteten Volksküchen und koordinierten die dringend benötigte Heimarbeit der in Deutschland zurückgebliebenen Frauen. Ein kleinerer Teil der Frauenbewegung spaltete sich ab und vertrat eine konsequent pazifistische Politik. Linke Feministinnen wie Clara Zetkin und Anita Augspurg wurden für ihre Kriegsverweigerung angefeindet, überwacht und verhaftet. Von dieser Spaltung sollte sich die Frauenbewegung lange nicht erholen.

Die Heimat war der Front untergeordnet: Vor allem zu Beginn des Krieges wurden Frauen von der Obrigkeit in ihrer "natürlichen" Rolle gefordert, schreibt die österreichische Forscherin Christa Hämmerle in ihrem Buch "Heimat/Front" - etwa als Kriegskrankenschwester oder als Versenderin von "Liebesgaben". Obwohl Frauen im Laufe des Krieges neue Räume im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben besetzten, "blieb immer der Front und den Frontkämpfern uneingeschränkt die ökonomische, soziale und kulturelle Priorität eingeräumt". Zwar sei die von oben propagierte Trennung zwischen Heimat und Front in Wahrheit natürlich keine absolute gewesen, schreibt Hämmerle. So hätten Frauen zum Beispiel in Briefen Einfluss auf die im Krieg befindlichen Männer genommen. Doch auf der anderen Seite habe die Obrigkeit sehr genaue Vorstellungen verbreitet, wie die Briefe sein sollten: fröhlich, bestärkend, keine "Jammerbriefe". Damit sollte die Unterordnung der Frau unter den Mann zementiert werden. Die "Heimatfront" wurde im Krieg ebenso instrumentalisiert wie die Soldaten, die in ihm ihr Leben ließen.

Auswirkungen des Krieges auf die Lohnarbeit: Auch die Entwicklung der Lohnarbeit beurteilen die meisten Wissenschaftler inzwischen zurückhaltend. Die Historikerin Ute Daniel etwa schreibt in "Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft: Beruf, Familie und Politik im Ersten Weltkrieg", dass sich das "statistisch erfassbare weibliche Arbeitskräftepotential" zwischen 1914 und 1918 gar nicht überdurchschnittlich vergrößerte. Auch andere Quellen weisen darauf hin, dass die Lohnerwerbstätigkeit der Frauen schon vor dem Krieg kontinuierlich angestiegen war und sich diese Entwicklung relativ stringent fortsetzte. Der Anstieg der Beitragszahlerinnen in den Sozialversicherungen hat in den Kriegsjahren sogar weniger stark zugenommen als in den Vorjahren.

"Emanzipation auf Leihbasis"

Mädchen und Frauen in einer Munitionsfabrik

Mädchen und Frauen in einer Munitionsfabrik.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Lohnarbeit als "Emanzipation auf Leihbasis": Dennoch hat es sie natürlich gegeben, die oben beschriebenen selbstbewussten Straßenbahnführerinnen, Fabrikarbeiterinnen und Kriegskrankenschwestern. Ute Daniel bezeichnet diese Form der Frauenarbeit in den Kriegsjahren jedoch als "Emanzipation auf Leihbasis". Die meisten weiblichen Arbeitskräfte, die es in die Kriegsindustrie verschlug, hätten vorher in anderen Industriezweigen gearbeitet, etwa im Textilbereich. Auch Christa Hämmerle schreibt, dass es zwischen 1914 und 1917 weniger einen überproportionalen Anstieg weiblicher Lohnarbeit, als eine Verschiebung bereits vorhandener Arbeitskräfte auf die Kriegsindustrie gegeben habe. Nach dem Krieg seien diese Frauen aus den besser bezahlten "männlichen" Branchen wieder verdrängt worden. Auch die vorübergehende Annäherung von Frauen- und Männerlöhnen sei eher auf einen stark gesunkenen Reallohn zurückzuführen als auf mehr Gleichberechtigung, schreibt Daniel. Zudem sei in der zweiten Kriegshälfte ohnehin für Geld nicht mehr viel zu haben gewesen, weswegen Frauen wie Männer mit ihren Löhnen nicht mehr viel anfangen konnten.

Frauen als Teil der Dolchstoßlegende: Auch nach dem Krieg wurden Frauen nach Meinung von Forscherin Hämmerle instrumentalisiert. Sie wurden demnach zu einem Teil der Dolchstoßlegende: Die Heimat habe die Front nicht ausreichend unterstützt, die Moral der Männer durch "Jammerbriefe" untergraben. Hämmerle sieht das ebenso wie die Verdrängung der Frauen aus den "Männerberufen" als Versuch, Frauen wieder in ihre traditionellen Rollen hineinzuzwängen - also dem Mann und seinem heroischen Kampf für das Vaterland unterzuordnen. In den folgenden Jahren taten Arbeitslosigkeit und Inflation ihr Übriges, um den Kampf der Geschlechter anzustacheln. Oft mussten die Frauen in der Erwerbstätigkeit wie in der Gesellschaft den zurückkehrenden Männern Platz machen.

Emanzipation begann schon vor dem Krieg: Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen heute die Ereignisse im Ersten Weltkrieg, die 1919 im Erlangen des Frauenwahlrechts gipfelten, nur als eine von vielen Phasen der Emanzipation, die tatsächlich schon viel früher begann. Bereits im 19. Jahrhundert engagierten sich Frauenrechtlerinnen in Bildungs- und Gesundheitsfragen, beschäftigten sich mit Sexualität und Familie und kämpften für die Rechte erwerbstätiger Frauen. Ende des 19. Jahrhunderts gelangten erste Frauen als Gasthörerinnen an die Universitäten, allmählich öffneten sich mehr und mehr Hochschulen für Studentinnen. Anfang des 20. Jahrhunderts gründeten Feministinnen außerdem "Frauenstimmvereine" und forderten vehement das Wahlrecht für Frauen. Viele Forscher sehen heute die Einführung des Frauenwahlrechts 1919 als Folge des politischens Wandels, der sich nach dem Weltkrieg in Deutschland und Österreich vollzog, etwa dem gestiegenen Einfluss der Sozialdemokraten. Diese hatten das Frauenwahlrecht schon 1891, lange vor dem Krieg, im Programm stehen.

Kann Krieg zu Emanzipation führen? Einig sind sich die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in dem Befund, dass eine Emanzipation im Sinne einer echten Verbesserung der Lage der Frauen gerade in den Kriegsjahren nicht stattgefunden habe. Vielmehr hätten vor allem die unteren Gesellschaftsschichten enorm unter den Entbehrungen des Krieges gelitten. Angesichts der Gewalterfahrungen, der Mangelverwaltung und der Not von einem "Motor der Emanzipation" zu sprechen, kommt nicht nur Christa Hämmerle falsch vor. Ute Daniel betont, dass hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und der Qualifikation von arbeitenden Frauen der Krieg sogar eine Verschlechterung mit sich brachte.

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