Orte ohne Banken:Geld vom Bäcker

Einzahlungsautomat, 1931

Schon in den 1930er Jahren gab es Automaten in deutschen Banken, wie dieses Modell aus dem Jahre 1931. Heute schrumpft ihre Zahl.

(Foto: Scherl/SZ Photo)

Online-Banking lässt Bankfilialen sterben, manche Orte haben gar keine Bank mehr. Das hat teils bizarre Folgen für die Einwohner. Ein Besuch in Jöhstadt im Erzgebirge.

Von Pia Ratzesberger, Jöhstadt

Es wirkt fast so, als hätte man die Geschäftsstelle gar nicht schnell genug räumen können. Die Topfpflanzen stehen noch immer in dem sonst leeren Raum, als wären sie beim überstürzten Auszug vergessen worden. Welk hängen die Blätter über dem Boden, neben dem verlassenen Bankschalter prangt in großen Lettern das Versprechen "Beratung". Seit Januar befindet sich an der Eingangstür der Jöhstädter Sparkasse allerdings ein zweites, kleineres Schild, das das andere außer Kraft setzt: "Wir sind umgezogen", heißt es dort. Treffender wäre wohl: "Wir haben dichtgemacht".

Die Filiale am Marktplatz ist direkt im Erdgeschoss des Rathauses untergebracht. Sie ist eine von 38 Geschäftsstellen der Erzgebirgssparkasse, die zu Beginn des Jahres geschlossen wurden. Die Beratung am Schalter lohne sich in Zeiten von Onlinebanking nicht mehr, gerade in einem Landkreis wie dem Erzgebirge, in dem die Einwohnerzahl jährlich sinke, begründete der Vorstand seine Entscheidung.

Eine Entscheidung, die in den vergangenen Jahren viele Banken trafen: Seit 2003 sind einer Studie der KfW und der Universität Siegen zufolge in Deutschland mehr als 4500 Filialen zugemacht worden - mehr als jede zehnte, betroffen sind vor allem ländliche oder wirtschaftlich schwache Regionen. Meist werden die Geschäftsstellen geschlossen, um die hohen Fixkosten an Personal und Immobilien einzusparen. Bis 2020 könnte es der Studie nach sogar bis zu einem Drittel weniger Bankfilialen geben.

Im Eingang des Jöhstadter Rathauses steht momentan noch ein Geldautomat wie eine letzte Bastion vor den verschlossenen Türen der Geschäftsstelle. Er soll zum Ende des Jahres abgebaut werden, bis dahin können sich die mehr als 2800 Jöhstädter dort noch Geld und Kontoauszüge holen - wem fehlt da schon die Filiale, könnte man meinen.

"Ich merke am Umsatz, dass die Filiale weg ist"

Beate Klabuhn deutet auf diese Frage hin schweigend auf den Marktplatz. Die 62-Jährige führt seit mehr als zehn Jahren den Laden "Haus und Hof". In den Schränken findet sich ein Sammelsurium aus Rührbesen, Töpfen und Briefumschlägen. Doch im Gegensatz zu den prall gefüllten Regalen stehen draußen auf dem Parkplatz nur wenige Autos.

Genau das ist Klabuhns Problem: "Ich merke es am Umsatz, dass die Filiale weg ist. Die Leute müssen jetzt sechs Kilometer weiter ins benachbarte Königswalde, um zur Bank zu gehen. Dann kaufen sie dort auch gleich ein." Gerade ältere Leute, die auf den Enkel mit dem Auto angewiesen seien, kämen seltener. Klabuhn seufzt und verschränkt die Arme. "Ist ja auch klar, ich nehme das keinem persönlich übel", sagt sie. Weil der Bankautomat bald wegkommt, hat sich die Ladenbesitzerin vorsorglich ein EC-Kartengerät angeschafft. Bisher nutzen das nur wenige. Die Kunden sind Bargeld gewöhnt, außerdem sind die Beträge meist klein. "Wir hier sind einfach enttäuscht, wie das alles gelaufen ist", sagt Klabuhn.

Ein paar Häuser weiter die gleichen Reaktionen: Ein Seufzen. Ein Kopfschütteln. Klabuhn ist nicht die Einzige, die seit der geschlossenen Filiale weniger Kundschaft hat. Ob im Blumenladen oder der Bäckerei, überall ist man sich einig - mit dem Weggang der Sparkasse hat Jöhstadt mehr verloren als nur Bankschalter. "Da will man den Ort attraktiver machen, auch für Touristen, und dann so etwas. Irgendwann wird Jöhstadt wahrscheinlich einschlafen, wenn das so weitergeht", sagt Annett Schröder, die im Backwarengeschäft neben dem Rathaus arbeitet. Nach Königswalde ist sie bisher kein einziges Mal gefahren, aus Prinzip nicht. Bald wird sie das wohl müssen.

Mit dem Shuttle-Bus zur Bank?

Bürgermeister Olaf Oettel hat lange versucht, die Filiale zu halten. Der 46-Jährige hat sein Büro nur zwei Stockwerke über der ehemaligen Sparkasse, vor ihm liegen Tabellen. Nachdem der parteilose Bürgermeister im vergangenen Jahr von den Sparplänen erfahren hatte, startete er eine Umfrage. Denn erklärtes Ziel der Sparkasse war, dass der nächste Schalter zumindest für jeden Autofahrer in maximal 20 Minuten erreichbar sein sollte. Doch ohne Pkw kommt man nur schlecht zur nächsten Sparkasse im sechs Kilometer entfernten Königswalde. Auf den Busfahrplänen klaffen teils Lücken von mehreren Stunden. "Wer früher nur ein paar Straßen zur Bank lief, ist heute den ganzen Tag unterwegs", sagt Oettel. Seiner Umfrage zufolge betrifft das etwa zwölf Prozent der Bürger.

"Gerade weil die meisten im Landkreis schon lange Sparkassen-Kunden sind, enttäuscht das einmal mehr", sagt Tobias Andrä, Vorstandsmitglied im SPD-Kreisverband und Initiator der Bürgerinitiative "Allianz für unser Erzgebirge", in der sich im vergangenen Jahr Bürger, Vereine und Gewerkschaften zusammengeschlossen haben, um gegen die Einsparung der fast 40 Geschäftsstellen zu protestieren. Etwa 14 000 Unterschriften kamen zusammen, allein in Jöhstadt mehr als 800 - die Filialen machten trotzdem zu. "Klar sind die jüngeren Generationen technisch affin, aber den Älteren ist mit Onlinebanking eben nicht geholfen. Die wollen am Ersten des Monats ihre Rente am Schalter abholen", sagt Andrä.

Dafür gibt's mehr Automaten

Damit das möglich wird, bemüht sich die Erzgebirgssparkasse nun um sogenannte Agenturlösungen. Vorhandene Geschäfte wie zum Beispiel Bäckereien werden Partner der Sparkasse und können Geld an Kunden ausgeben. Für die Sicherheitsvorkehrungen müssen die Ladenbetreiber teils selbst aufkommen. "30 solche Agenturen gibt es bereits", sagt André Leonhardt, Sprecher der Erzgebirgssparkasse.

Außerdem sei geplant, im Landkreis sechs neue Bankautomaten aufzustellen. An Kreuzungen oder Bundesstraßen, also an Stellen, an denen möglichst viele Menschen vorbeikommen - mit dem Auto. Für Jöhstadt gebe es noch keine Lösung, räumt Leonhardt ein. "Wir haben bisher noch keinen Agenturpartner direkt im Ort gefunden. Ein mobiler Geldautomat kommt aus finanziellen und geografischen Gründen nicht infrage". Unter anderem war als Alternative im Gespräch, einen Shuttle-Bus einzusetzen, der Kunden ohne Pkw nach Königswalde bringt.

Das mag hilfreich sein fürs Geldabheben. Doch die verlorene Kundschaft kann ein Bus den Ladenbesitzern am Markt nicht zurückbringen. "Die Kaufkraft wandert ab", sagt Bürgermeister Oettel, rückt seine Brille zurecht und blickt noch einmal auf die Umfragetabelle vor ihm. Unter dem Punkt "Anzahl Aus- und Einzahlung in der Filiale" haben viele Jöhstädter geschrieben "mehrmals wöchentlich". Eines ärgert ihn dabei besonders: Zur Filiale nach Königswalde fahren jetzt viel mehr Leute als früher - doch Parkbuchten gebe es dort gerade einmal eine Hand voll. Auf dem Marktplatz in Jöhstadt dagegen, da finde man nun immer einen Parkplatz.

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