Ernährung:Wertvolles Grünzeug

Ernährung: Pasta mit Grünkohl - das Gemüse soll reich an Folsäure sein

Pasta mit Grünkohl - das Gemüse soll reich an Folsäure sein

(Foto: Sweetonveg / Flickr / CC-by-2.0)

Keine Frage, der Körper braucht Folate. Und die meisten Menschen nehmen zu wenig der B-Vitamine zu sich. Aber sollte wirklich jeder Folsäure-Pillen schlucken, wie einige Forscher fordern?

Von Kathrin Burger

Ob grüne Smoothies, Micro Greens oder Grünkohl-Salate - Menschen, die auf die Gesundheit achten, versorgen sich zunehmend mit einer täglichen Portion Grüngemüse. Natürlich stammt der Trend aus den USA. In New York beispielsweise ist "kale", der eigentlich bodenständige Grünkohl, aus kaum einem Szene-Restaurant mehr wegzudenken. Ernährungsphysiologisch gesehen ist der Hype um das Grünzeug positiv. Es ist tatsächlich gesund, reich gefüllt unter anderm mit dem B-Vitamin Folat. Dieses Vitamin ist auf deutschen Tellern Mangelware. Laut der zweiten Nationalen Verzehrstudie aus dem Jahr 2008 bringen es Männer auf 207 Mikrogramm Folat pro Tag, während Frauen sogar nur 184 Mikrogramm schaffen. Bis zum vergangenen Sommer empfahlen die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) und ihre Schwesterorganisationen in der Schweiz und in Österreich jedoch eine tägliche Ration von 400 Mikrogramm, seither wurde dieser Wert auf 300 Mikrogramm gesenkt. Eine Neuauswertung der Studien habe angeblich gezeigt, dass eine höhere Zufuhr keine gesundheitlichen Vorteile bringe.

Folat umfasst eine Gruppe natürlich vorkommender Substanzen. Von Folsäure spricht man nur, wenn es sich um das synthetische Pendant handelt, wie es beispielsweise in Tabletten oder als Zusatz in einigen Lebensmitteln zu finden ist. Folate sind vor allem für die Zellteilung und die Blutbildung unverzichtbar. Bei Mangel kommt es zu Blutarmut und neurologischen Störungen, das Krebsrisiko steigt. Zudem reguliert ein Folat-Abkömmling das Homocystein im Blut herunter, eine Substanz, die mit einem erhöhten Risiko für Herzkrankheiten und Schlaganfall einhergeht. Laut einem kürzlich von der DGE und anderen Wissenschaftlern veröffentlichten Arbeitspapier zu den neuen Referenzwerten, konnten mehrere Studien einen Vorteil von Folsäure-Pillen jedoch nicht bestätigen, obwohl die Homocystein-Pegel im Blut sanken. Folsäure-Tabletten zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Leiden werden daher nicht empfohlen.

Sind 300 Mikrogramm pro Tag ausreichend? Nein, Schwangere sollten mehr bekommen

Sehr gut belegt ist dagegen, dass eine ausreichende Folsäure-Versorgung während der Schwangerschaft das Risiko für sogenannte Neuralrohrdefekte des Fötus, wie den "offenen Rücken" um mindestens ein Drittel reduziert. Die Fehlbildungen entstehen dadurch, dass sich in den ersten Schwangerschaftswochen das Neuralrohr, Vorläufer von Gehirn und Rückenmark, nicht vollständig schließt. Jährlich gibt es zwischen 600 und 800 Fälle in Deutschland. Die DGE-Experten empfehlen darum weiterhin Frauen, die schwanger werden wollen oder könnten, mindestens vier Wochen vor der Empfängnis und Schwangeren in den ersten drei Monaten ein Folsäure-Präparat mit 400 Mikrogramm täglich einzunehmen. Allerdings: Nur jede fünfte betroffene Frau folgt bislang diesem Ratschlag.

Darum haben die neuen Referenzwerte Kritiker auf den Plan gerufen. Rima Obeid, Medizinerin am Universitätsklinikum des Saarlandes hat gemeinsam mit zwei Kollegen einen Meinungsartikel in der Fachzeitschrift Clinical Nutrition publiziert. Dabei moniert sie, ein Zeitfenster von vier Wochen vor der Schwangerschaft sei zu kurz, um optimale Folat-Pegel im Blut zu erzielen, wenn nicht 400 Mikrogramm Folat pro Tag mit der Ernährung zugeführt werden. Die neuen Empfehlungen könnten darum erhebliche gesundheitliche Folgen für die Bevölkerung haben. Neben den jungen Frauen seien auch ältere Menschen betroffen. Ein hoher Folat-Spiegel im Blut schütze sehr wohl vor altersbedingten Krankheiten, etwa vor Schlaganfall oder Makuladegeneration, einer Auflösung der Netzhaut. Insgesamt wird in dem Schreiben die Vorgehensweise der DGE, einen Referenzwert abzuleiten, als teilweise "obskur" bezeichnet.

Foodmakers Share Kitchen Space At Organic Food Incubator

Gesund sind die Smoothies, die grünes Gemüse verarbeiten, im Trend sind sie auch - über Geschmack und Aussehen lässt sich aber streiten.

(Foto: Ron Antonelli/Bloomberg)

"Unser Vorgehen ist State-of-the-Art und wird etwa auch von dem amerikanischen Institute of Medicine (IOM) angewandt", kontert Daniela Strohm, Ernährungswissenschaftlerin der DGE. Der aktuelle Wert wurde anhand von Studien berechnet, die die Folat-Aufnahme mit dem Folat-Spiegel im Blut verglichen. Obeid hingegen hält die drei hierbei verwendeten Studien für veraltet, und zwei davon für fragwürdig. Die Kritik kann die DGE jedoch nicht nachvollziehen und hat in einem Antwortschreiben ihre Vorgehensweise erneut dargelegt.

Die Kritiker finden auch, dass genetische Unterschiede der Menschen bei der Verstoffwechslung von Folat nicht genügend berücksichtigt worden seien. Tatsächlich erhöht eine Variante im so genannten MTHFR-Gen das Risiko für Bluthochdruck, möglicherweise auch für Neuralrohrdefekte. "Es gibt Hinweise, dass Frauen mit den entsprechenden Polymorphismen sehr viel mehr Folsäure brauchen", bestätigt Mary Ward, Wissenschaftlerin an der Universität im nordirischen Ulster. In Deutschland trägt rund jeder Achte eine solche Besonderheit im Erbgut. Ob betroffenen Frauen und ihren Kindern eine Extraportion an Folsäure hilft, ist aber noch nicht endgültig bewiesen. Michael Krawinkel, Ernährungswissenschaftler an der Universität Gießen, der an der Erstellung der DGE-Referenzwerte beteiligt war, meint: "Bei den Empfehlungen ist der Kenntnisstand hinsichtlich des MTHFR-Polymorphismus berücksichtigt."

Einer generellen Anreicherung von Lebensmitteln widerspricht das Grundgesetz

Ihrerseits weist die DGE darauf hin, die Forschergruppe um Rima Obeid habe nicht korrekt angegeben, dass sie dem "Arbeitskreis Folsäure", einer von der Nahrungsmittel- und Pharmaindustrie gesponsorten Forschergruppe angehörten. So schreiben die Autoren etwa, dass Lebensmittel nicht der beste Weg seien, eine optimale Folat-Versorgung zu erreichen. "Falsch", findet das Strohm. "Wir haben sogar für Schwangere, die einen Bedarf von 550 Mikrogramm haben, berechnet, dass es geht." Mit Folsäure angereicherte Lebensmittel wie Salz oder Frühstückscerealien brauche es dazu nicht. Schon eine Portion Grünkohl liefert 100 Mikrogramm Folat. Und das Vitamin steckt auch in Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten, Kartoffeln, Tomaten und Orangen. Allerdings darf man die Lebensmittel nicht zu lange lagern, waschen oder kochen, da die Folate leicht zerstört werden. Nichtsdestotrotz findet man auch bei der DGE, dass die Folat-Aufnahme in der Bevölkerung dringend gesteigert werden müsse. "Es wäre schön, wenn sich der Arbeitskreis Folsäure stärker dafür einsetzen würde, dass junge Frauen im gebärfähigen Alter Folsäure als Tablette einnehmen", sagt Strohm. Entsprechende Gesundheitskampagnen gibt es hierzulande nämlich nicht.

Einer verpflichtenden Anreicherung von Lebensmitteln wie in den USA widerspricht hingegen das Grundgesetz. In den USA dürfen Bäcker seit 1998 nur noch mit Folsäure versetztes Mehl verwenden. Das bedeutet ein tägliches Plus von rund 100 Mikrogramm pro Verbraucher. Lange Jahre stand die Anreicherung jedoch in der Kritik, denn eine massive Überdosierung kann, so wie jedes andere Vitamin, Risiken bergen, zum Beispiel eine erhöhte Anfälligkeit für Darmkrebs. "Bei einer generell folsäurearmen Ernährung der Bevölkerung wird das Risiko einer flächendeckenden Anreicherung heute jedoch als gering eingeschätzt", sagt Krawinkel.

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