Ukraine-Krise:Klitschkos neue Gegner

Barrikaden Maidan Kiew Ukraine

Türme aus Autoreifen, Holzbalken, Pflastersteinen - ein paar hundert Aktivisten denken nicht daran, den Maidan zu räumen.

(Foto: dpa)

Vor wenigen Monaten noch rief Vitali Klitschko selbst inmitten der Demonstranten auf dem Maidan zu Reformen auf. Nun ist er Bürgermeister - und will, dass dort endlich Ruhe herrscht.

Von Frank Nienhuysen

Vitali Klitschko macht sich selber ein Bild von der Szenerie, das heißt, er kennt sie schon allzu gut, und entsprechend scharf sind seine Fragen. "Gegen wen sind diese Barrikaden? Gegen wen sind die-se Ba-rri-ka-den? Gegen wen? Halten Sie das etwa für normal?" Klitschko ist Freitagmorgen auf den Kiewer Unabhängigkeitsplatz gegangen, hinter sich eine Traube aus Passanten und Maidan-Bewohnern, die er allesamt um einen Kopf überragt. Die Barrikaden sind Türme aus Autoreifen, Holzbalken, Pflastersteinen, Gerümpel. Klitschko will, dass sie verschwinden, und mit ihnen am besten auch die Zelte und deren Bewohner. Kiews neuer Bürgermeister will Ordnung schaffen.

Aber das ist nicht so leicht. Die Spezialeinheiten "Kiew 1" und "Kiew 2" scheiterten mit einem ersten Versuch, das Zeltlager abzureißen. Am Freitagabend machen sich Reinigungskräfte und genervte Anwohner an die Arbeit - mit ungewissem Ausgang. Die Aktivisten hätten zugestimmt, auch die Fahrbahn der angrenzenden Straßen zu säubern, berichten ukrainische Medien.

Bei früheren Versuchen gab es Zusammenstöße zwischen Aktivisten und Einsatzkräften. Molotowcocktails flogen, die Bewohner steckten Autoreifen in Brand, und da waren wieder die Bilder von Widerstand und schwarzen Rauchsäulen, die Klitschko gern vermeiden will. Zehn Menschen wurden festgenommen, die Polizei zog sich zurück. Doch auf dem angrenzenden, blockierten Kreschtschatik-Boulevard soll der Verkehr wieder fließen. Die Bewachung der Kiewer Stadtverwaltung wurde vorsorglich verschärft.

Rollenwechsel auf dem Maidan

Monatelang war der Maidan Herz und Symbol der friedlichen ukrainischen Protestbewegung. Auch der frühere Boxweltmeister und sein Bruder Wladimir betraten beinahe täglich die Bühne, riefen zu Reformen auf, zum Rücktritt des verhassten damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch. Jetzt haben sich die Rollen geändert, sind Vitali Klitschko und die Maidan-Aktivisten so etwas wie Gegner geworden. Weil Klitschko seit einigen Wochen Kiews Stadtoberhaupt ist, und weil er findet, dass auch der Maidan sich gewandelt hat. Es geht also nun um Klitschkos Ruf, um seine Autorität als Bürgermeister, aber auch darum, welche symbolische Visitenkarte das Kiewer Zentrum dem Ausland zeigt.

Anwohner beklagen Zunahme von Kriminalität

Die Anwohner beklagen seit Wochen eine Zunahme von Kriminalität am Unabhängigkeitsplatz. Bewaffnete Überfälle, Diebstähle, auch Morde hat es bereits gegeben. Ukrainische Medien berichten von Handgranaten, automatischen Waffen und gestohlenem Schmuck, die gefunden worden seien. Klitschkos Partei Udar erklärte, "die Ideale des Maidan werden völlig diskreditiert, das ist nicht akzeptabel".

Ein paar hundert Aktivisten leben derzeit noch in den Zelten auf dem Maidan, eine unübersichtliche Gruppe von Menschen, von denen viele zur Revolution aus dem Westen gekommen sind und wenig Grund darin sehen zurückzugehen, weil sie dort keine Arbeit haben oder keine Wohnung. Auch Veteranen und Nationalisten gehören dazu. Sie alle wollen das Areal nicht verlassen, zumal das ukrainische Parlament noch immer nicht neu gewählt wurde und aus vielen ehemaligen Anhängern Janukowitschs besteht. Klitschko, ein Vertrauter von Präsident Petro Poroschenko, sieht hingegen die Aufgabe der Maidan-Bewegung als erfüllt an.

"Klitschko wird es nicht schaffen, er ist zwar ein politischer Star, aber er wird den Maidan nicht räumen können", sagt Wadim Karassjow, Leiter des Kiewer Instituts für globale Studien. "Zunächst muss die Korruption aus der Politik verschwinden. Viel hat sich ja bisher noch nicht geändert", sagt er. Und warnt, dass der Maidan im Herbst wieder zum Ort von Massenprotesten werden könnte. "Wenn der Konflikt mit Russland die Wirtschaft erfasst und soziale Probleme sich verschärfen, dann könnte aus dem Platz ein sozialer Maidan werden."

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