Anna Netrebko bei den Salzburger Festspielen:Besser als Maria Callas

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Anna Netrebko als Leonora, hier mit Plácido Domingo als Graf Luna, war umjubelter Star in der Salzburger Festspielproduktion von Verdis "Trovatore". (Foto: B.Gindl/dpa)

Italienische Renaissance im Überfluss: Anna Netrebko verzaubert das Publikum in Guiseppe Verdis "Troubadour", während Placido Domingo, der einstige Startenor, zur Schau stellt, was er noch zu bieten hat.

Von Helmut Mauró, Salzburg

Lustig ist es nicht, das Zigeunerleben in Giuseppe Verdis Oper "Der Troubadour" - "Il Trovatore". Für die Zigeunermutter endet es auf dem Scheiterhaufen. Für die Tochter, die versehentlich das eigene Kind ins Feuer wirft, beinahe auch.

Doch was die Librettisten Salvadore Cammarano und Leone Emanuele Bardare an Theatertragik in die Waagschale werfen - am Ende bringt der Bruder, wieder tragisch-versehentlich, den Bruder um -, es kann alles nicht mithalten mit der rauschhaften musikalischen Umsetzung von Giuseppe Verdi. Und schon gar nicht mit der glamourösen Gesangsbesetzung in der Neuproduktion, die jetzt im Großen Festspielhaus zu Salzburg zur Aufführung kam.

An erster Steller hierbei, natürlich, Anna Netrebko, la Divina, auch diesmal ohne Fehl und Tadel, mit geradezu erschütternder Intensität. Nur ein einziges, winziges Mal innerhalb von drei Stunden hört man einen zarten Übergang - Netrebkos Ausdrucksstärke beruht nicht auf Kraft und Protz, obwohl sie beides gerade bei Verdi auch zur Schau stellen kann, sondern auf einer phänomenalen Technik und einer Naturwunderstimme.

Ihre Höhe lässt einen erzittern, und wenn sie abrupt in die Tiefe wechselt, öffnet sich ein rauer, warmer, herber Abgrund. Man denkt an die Callas und fühlt sich bei Netrebko musikalisch doch besser aufgehoben. Ihr Ausdruck, ihre Effekte kommen ganz ohne Affront aus.

Netrebko gibt hier die unglücklich verliebte Leonora, sie verzaubert das Publikum mit der Arie "D'amor sull' ali rosee". Nicht alle ihr zugedachte Musik ist von dieser Qualität - am schlimmsten sind die Abschnitte, in denen gute Nachrichten kommen. Denn Freude bedeutet bei Verdi: Die Musik fängt wahlweise an zu hüpfen wie Schulmädchen im Pausenhof oder kichert die Tonleiter herunter wie ein Tischtennisball auf Drogen. Da klaffen Kluften in Verdis Partitur.

Lyrisches und heldisches Fach wie selbstverständlich vereint

Und was macht die Regie daraus? Für seine Salzburger Inszenierung hat der lettische Regisseur Alvis Hermanis die Handlung in eine Gemäldegalerie verlegt. Dies verleiht der arg märchenhaften Handlung ein wenig Glaubwürdigkeit - indem ihr die Wahrheit von vornherein komplett abgesprochen wird.

Leonora ist also Museumswärterin und verliebt sich in das Bild eines Barden, in der Opernhandlung ist es Manrico, der verlorene Sohn und Gegenspieler seines nichts ahnenden Bruders Graf Luna junior.

Unterschiedlicher als in dieser Aufführung können Brüder kaum sein: Francesco Meli als Manrico mit großer Stimme, glamourösem Belcanto-Tenor, relativ tief veranlagt, aber mit strahlender Höhe. Nur in den obersten Spitzentönen fehlt ihm der letzte Kick. Der 34-jährige Meli vereint wie selbstverständlich lyrisches und heldisches Fach, könnte dennoch sowohl stimmlich wie darstellerisch noch mehr bieten. Die Erwartungen sind hoch hier.

Sein ungleich älterer Opern-Duellant Graf Luna dagegen, der hochverdiente und mit 74 Jahren noch immer putzmuntere, sehr bühnenpräsente einstige Startenor Plácido Domingo, tut sich schwer an diesem Abend. Die Stimme hat noch Schmelz, ein Forte ist noch vorhanden, kommt aber so unvermittelt, dass man zusammenzuckt. Domingo stellt aus, was er noch zu bieten hat, aber die Auslage hat sich gelichtet, in der oft frei flottierenden Intonation flattert Trauerflor.

Dagegen nutzte die kanadische Altistin Marie-Nicole Lemieux die Gunst der Stunde. Sie sang und spielte sich als Zigeunertochter Azucena an der Seite der Netrebko hochleidenschaftlich und stimmstark auf ein beachtliches Niveau, sie füllte die Rolle überzeugend, die ja im Drama der Leonora eigentlich ebenbürtig ist.

Der Rest des musikalischen Abends war Orchester, im Großen und Ganzen wunderbar aufspielende Wiener Philharmoniker unter souveräner Leitung von Daniele Gatti, der auch den guten bis manchmal sehr guten Wiener Staatsopernchor einigermaßen fest im Griff hatte.

Was fehlte also zum Glück? Möglicherweise eine doch psychologisch ein wenig tiefer schürfende Herangehensweise der Regie, eine zeitentrückte Plausibilisierung des Stoffes anstelle historisch-ästhetischer Übertünchung. Man hätte die hier verhandelte Opernfrage (Wie stark sind familiäre Bande wirklich? Bestimmen Gene oder Sozialisation den Menschen?) durchaus aufarbeiten können. Aber man wollte es nicht.

Die Bilder werden von dieser Aufführung wohl bleiben

Stattdessen italienische Renaissance im Überfluss, ein Meer an großformatigen Meisterwerken, so hervorragend reproduziert, dass man sich zeitweilig dabei erwischte, sich in die Malerei von Raffael, Tizian, Bronzino, Perugino, Correggio, Botticelli und wer weiß wem noch zu versenken, anstatt dem Handlungsgang der Oper zu folgen.

Das Programmheft müsste dringend durch einen Bildkatalog ergänzt werden. Diese Bilder sind es wohl auch, die von dieser Aufführung bleiben werden - neben der Netrebko, die aus jeder Oper und jeder Inszenierung ein nahezu heiliges Ereignis macht.

© SZ vom 11.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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