Krebsvorsorge bei Senioren:Zu viel des Guten

Krebsabstrich an einem Organ, das bereits entfernt wurde: Forscher kritisieren die übertriebene Früherkennung bei Senioren. Sie steigere nicht nur die Gesundheitsausgaben, sondern schädige auch die Patienten.

Von Werner Bartens

Es gibt viele Argumente, die gegen Früherkennungsuntersuchungen auf Krebs sprechen: Die Tests sind ungenau, die Fehlalarme zahlreich - und an der Lebenserwartung ändert sich häufig auch nichts. Doch selbst glühende Anhänger des flächendeckenden Tumor-Screenings müssen zugeben, dass sich die spärlichen Vorteile der Untersuchungen - wenn überhaupt - nur in einer bestimmten Alterspanne erzielen lassen, die zumeist zwischen 50 und 70 Jahren liegt. Wird in jüngerem Alter regelmäßig untersucht, sind die Tumoren entweder so selten oder so schwer zu entdecken, dass Nebenwirkungen den potenziellen Nutzen überwiegen.

Umso überraschender sind die Befunde, die Ärzte um Trevor Royce von der University of North Carolina jetzt im Fachblatt JAMA Internal Medicine (online) zusammengetragen haben, nachdem sie eine landesweite Gesundheitserhebung mit mehr als 27 000 Seniorinnen und Senioren ausgewertet hatten.

Demnach wurden in der Altersgruppe jenseits von 65 Jahren zwischen 47 und 64 Prozent der Teilnehmer auf eine bestimmte Krebsform untersucht, obwohl die voraussichtliche Lebenserwartung der Probanden entweder nur noch wenige Jahre betrug oder der Test in diesem Alter schlicht nicht mehr empfohlen wurde. Besonders absurd: Bei 34 bis 56 Prozent der Frauen jenseits der 65 wurde noch ein Krebsabstrich am Gebärmutterhals entnommen, obwohl ihnen das Organ schon Jahre vorher entfernt worden war.

"Wir haben angesichts unserer Ergebnisse ziemliche Bedenken, dass es bei älteren Menschen zu einem massiven Über-Screening kommt", sagt Royce. "Das steigert nicht nur die Gesundheitsausgaben, sondern schädigt auch die Patienten." Ärzte wie Patienten müssten besser über die Grenzen der Früherkennung aufgeklärt werden - und zudem wieder Vernunft in der Klinik einkehren, damit Alte und Kranke nicht unnötigen Untersuchungen ausgesetzt sind.

In einer weiteren Studie im selben Fachblatt zeigen Ärzte um Frank van Hees, dass häufigere Darmspiegelungen bei älteren Menschen keine Vorteile bringen. Der Test wird von 55 an alle zehn Jahre empfohlen, aber nicht mehr jenseits der 75. "Das Krebs-Screening verliert im 21. Jahrhundert seinen Glanz", schreibt Cary Gross in einem begleitenden Kommentar. "Wir sehen immer mehr Beweise dafür, dass viele Formen der Früherkennung nicht so nützlich sind, wie anfangs gedacht."

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